Studentenproteste in der Türkei: LGBTIQ*-Symbole „Verunglimpfung des Islam“?

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Vier Studierende einer Istanbuler Universität wurden von der türkischen Polizei festgenommen, weil sie das Heiligtum des Islam gemeinsam mit einer Regenbogen- und Transgender-Flagge gezeigt und damit religiöse Werte beleidigt haben sollen. Zwei weitere Verdächtige werden noch gesucht.

Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu nahm die Polizei am 30. Januar vier Studierende fest, die bei einem Protest auf dem Campus der renommierten Istanbuler Boğaziçi-Universität ein Plakat aufgehängt hatten, auf dem die Kaaba in Mekka gemeinsam mit einer Regenbogen- und einer Transgender-Flagge abgebildet war. Nach zwei weiteren Verdächtigen wird noch gesucht.

„Verunglimpfung des Islam“ in der laizistischen Türkei

Die würfelförmige Kaaba, die in Mekka in Saudi-Arabien steht, ist die heiligste Stätte für Muslime. Sie in Verbindung mit Symbolen der queeren Community zu zeigen sei eine „hässliche Attacke“ auf einen heiligen Ort des Islam. Demnach lautet der Tatvorwurf „Verunglimpfung des Islam“. 

Innenminister Süleyman Soylu schrieb auf Twitter, an der Boğaziçi-Universität seien „4 LGBT-Perverse, die die Missachtung des Kaaba-i Muazzama begangen haben“, festgenommen worden.

Ein Sprecher von Staatschef Recep Tayyip Erdoğan ließ verlautbaren, das beanstandete Plakat falle weder unter die Meinungsfreiheit noch unter die Demonstrationsfreiheit, Vizepräsident Fuat Oktay twitterte: 

„Als Regierung tun wir, was nötig ist, und ich bin sicher, dass die türkische Justiz dieser Abartigkeit die Strafe geben wird, die sie verdient.“

Hintergrund: Proteste an Boğaziçi-Universität 

Die renommierte Boğaziçi-Universität in Istanbul ist Anfang dieses Jahres Schauplatz heftiger Proteste gegen den von Präsident Recep Tayyip Erdoğan eingesetzten neuen Direktor Melih Bulu.

Bulu, ein Parteifreund Erdoğans, wurde per 1. Januar 2021 zum Rektor der Universität ernannt. Unter den Studierenden, aber auch beim Lehrpersonal und der Öffentlichkeit löste seine Ernennung heftige Gegenwehr aus. Denn die Boğaziçi-Universität galt lange Zeit als einer der letzten Orte in der Türkei, an dem Diskurs und freie Lehre noch möglich waren. Mit einem Rektor, der der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP nahesteht.

Foto: Hilmi Hacaloğlu - VOA, CC BY 2.5, wikimedia.org

Am 7. Januar schlug die Polizei die Proteste gewaltsam nieder. Dutzende Demonstrant*innen wurden festgenommen, schwerbewaffnete Antiterroreinheiten führten Hausdurchsuchungen durch, weitere Festnahmen waren die Folge. Seitdem gleicht der Campus einem Polizeilager. Dennoch hatten die Studierenden auf dem Campus friedlich weiterprotestiert und am 29. Januar das betreffende Plakat mit Kaaba und LGBTIQ*-Flaggen vor dem Rektorat der Uni aufgehängt.

Neue Stufe der Eskalation 

Foto: Kremlin.ru, CC BY 4.0, commons.wikimedia.org

Erdoğan hat in seiner gesamten politischen Karriere immer auf den großen Anteil konservativer Muslime in der Türkei gesetzt. Lange konnte der laizistisch organisierte Staat aber ihren Einfluss von innen heraus abwehren. Bürger*innen konnten ihre Freiheitsrechte vor Gerichten durchsetzen, so wurden unter anderem CSD-Verbote revidiert. Seit der Umbau des Staates in eine Präsidialrepublik vollendet ist, kann Erdoğan aber fast ungestört durchregieren.

Doch mit dieser Aktion treibt er das gefährliche Spiel mit der Ausnutzung religiöser Dogmen und Lehren zur Machtabsicherung auf ein neues Niveau. Denn: In den Augen religiöser Extremisten steht das Strafmaß bereits fest. Auf Facebook wird die Hinrichtung der beteiligten Studenten gefordert wie auch die sofortige Aufhebung des Istanbuler Vertrags, der LGBTIQ*-Gruppen Rechte einräumt. Mit einem Referendum über die Todesstrafe hat der Präsident von Allahs Gnaden übrigens auch schon Wahlkampf gemacht ...

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