#ihrkönntau­funs­zählen • Zwischenrufe von Mr. Gay Germany und Fußballprofi Héctor Bellerín

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Homosexualität im Fußball: Durch die Kampagne von 800 Fußballer*innen, die Mut machten und Philipp Lahm, der eher entmutigte, ist das Thema wieder in aller Munde. Héctor Bellerín, Spieler vom Arsenal London, stimmte Philipp Lahm nun zu – während der amtierende Mr. Gay Germany ihn für seine Worte kritisierte.

Es war ein starkes Zeichen: 800 Fußballer*innen erklärten in einer Kampagne der Fußballzeitschrift 11 Freunde, sie würden schwule Fußballer bei einem Coming-out unterstützen und versprachen: Ihr könnt auf uns zählen! Fast zeitgleich riet Philipp Lahm schwulen Fußballern in seinem neuen Buch von einem Coming-out während der aktiven Karriere ab. Die Chancen, halbwegs unbeschadet davonzukommen, seien gering (wir berichteten).


Kritik von Mr. Gay Germany

Die Worte von Phillipp Lahm, die in so direktem Gegensatz zu der Kampagne stehen, sorgten nicht nur für Zustimmung, sondern auch für Kritik. Benjamin Näßler, Mr. Gay Germany 2020 (wir berichteten) bezeichnete sie als „einen Schritt zurück“. Näßler hat sich mit seiner Kampagne „Doppelpass“ zum Ziel gesetzt, Homophobie im Fußball sichtbar zu machen und zu bekämpfen.

Workshops, Aufklärungsarbeit, Sensibilisierung für homophobe Sprache – Näßler hat sich große Aufgaben vorgenommen. Trainer und Verantwortliche sollen ebenso sensibilisiert werden wie die Fans der Profiklubs. Vor Corona bahnten sich erste Erfolge an, Landesverbände wollten Beauftragte für den Kampf gegen Homophobie einrichten. Auch beim DFB konnte Näßler seine Ideen bereits hinterlegen. Er betonte jedoch: Corona verhagelt den Zeitplan.

Foto: Weigang Photography

Im radioWelt-Interview auf Bayern 2 äußerte der 31-Jährige nun sein Bedauern darüber, dass Philipp Lahm homosexuellen Spielern nicht mehr Mut gemacht habe. Menschen wie der ehemalige Kapitän der deutschen Fußballnationalmannschaft seien ein sehr großes Vorbild für junge Nachwuchsspieler*innen, sein Wort habe viel Gewicht.

Näßler sagt:

„Da würde ich mir einfach wünschen, dass gerade Personen wie er, die so eine Strahlkraft haben, einfach den homosexuellen Spielerinnen und Spielern Mut machen, um auch zu zeigen, dass er sie unterstützen würde.“

Dennoch räumte auch der leidenschaftliche Hobbyfußballer ein: Homosexualität ist im Fußball immer noch ein Tabuthema. Die aktuelle Kampagne der 800 Fußballer*innen nannte er ein „richtiges Zeichen“. Er forderte den Deutschen Fußball-Bund auf, weitere Zeichen zu setzen. Eine große Kampagne müsse her. Aber nicht nur die Verantwortlichen der großen Vereine sieht er in der Pflicht, sich gegen Homophobie einzusetzen, sondern ebenso die Leitungen der kleinen Vereine und der Amateurligen.


... und Zustimmung von anderen Profis

Héctor Bellerín (25), Rechtsverteidiger vom FC Arsenal, stimmte Lahm nun zu – er glaubt nicht, dass der Fußball schon für einen schwulen Profi bereit ist. Gegenüber der britischen Tageszeitung The Times sagte er, das Stigma sei noch immer allgegenwärtig, ein Coming-out für einen Fußballer sehr schwierig.

Foto: joshjdss / CC BY 2.0 / wikimedia.org

Bellerín machte sich in der Vergangenheit einen Namen als Fürsprecher von LGBTIQ*-Rechten im Fußball, unterstützte unter anderem den queeren Fanklub von Arsenal, die Gay Gooners. Im Interview sagt der 25-Jährige, Mitglieder der Gooners hätten ihm schockierende Geschichten über Diskriminierung im Fußball erzählt. So bekamen sie in Pubs bereits öfter Probleme mit anderen Fans – nicht von gegnerischen Klubs, sondern auch vom FC Arsenal! Warum? Weil sie einen Regenbogenschal trugen.

Bellerín fassungslos:

„Was für mich verrückt ist. Wir sind doch alle Teil der gleichen Familie.“


Schwule Fußballer in Englands Profiliga

Im Interview erklärt Bellerín, er selbst kenne keinen schwulen Fußballprofi. Im selben Atemzug aber deutet er an: Wenn er einen kennen würde, würde er es für sich behalten – um denjenigen zu schützen.

„Wir können in der Umkleidekabine über all dieses Zeug reden, aber ich habe noch nie von jemandem gehört, der schwul ist. Niemand hat je von jemandem gehört. Ich würde sagen, wenn es jemanden gibt, der jemanden kennt, dann wird er es sowieso für sich behalten.“

Foto: photographer695 / CC BY 2.0 / wikimedia.org

Im letzten Jahr sorgten zwei offene Briefe für Schlagzeilen. Sie stammten von schwulen englischen Fußballprofis. Darin erklärten die Fußballer ihre Ressentiments vor einem Coming-out und wie das Versteckspiel ihr Leben beeinflusst. Die Schreiben wurden anonym von der Justin Fashanu1 Foundation (wir berichteten) veröffentlicht. 

Amal Fashanu, Leiterin der Foundation und Nichte von Justin Fashanu, offenbarte der Zeitung The Sun im Mai 2020, sie kenne fünf schwule Fußballprofis in Großbritannien. Alle hätten unabhängig voneinander Kontakt mit der Foundation aufgenommen – und alle hätten Angst vor einem öffentlichen Coming-out. Keiner von ihnen wolle der erste sein.

„In ihren Köpfen sind diese Männer gefangen, schämen sich. Sie denken, die Gesellschaft würde sie nicht akzeptieren, also leben sie stattdessen ihr Leben im Verborgenen. Es ist traurig, dass das [Coming-out] stattfinden muss. Aber sie wären ein Wegbereiter.“


1 Justin Fashanu outete sich 1990 als homosexuell – während seiner aktiven Karriere. 1998 behauptete ein 17-Jähriger, Fashanu habe ihn vergewaltigt. Es begann eine mediale Hetzjagd, woraufhin Fashanu sich das Leben nahm. In seinem Abschiedsbrief erklärte er, offen schwul und berühmt zu sein, sei sehr hart gewesen. Er würde sich das Leben nehmen, weil er wisse, dass er wegen seiner Homosexualität keinen fairen Prozess bekäme. Der Junge hätte bereitwillig mit ihm Sex gehabt, am nächsten Tag aber Geld dafür gewollt. Als er dies abgelehnt habe, habe der 17-Jährige ihm gedroht. 

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