Ich glaub, mich laust der Affe

Ein Erfahrungsbericht eines nicht ganz harmlosen Verlaufs einer Infektion mit MPX

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Über MPX („Affenpocken“) wird zurecht viel gesprochen, die Weltgesundheitsorganisation stuft den Ausbruch inzwischen zur Notlage hoch. Noch immer warten selbst im reichen Deutschland viel zu viele auf einen Impftermin. Aber wie geht es eigentlich denen, die die Krankheit durchleiden? Einer davon, nennen wir ihn Max Musterschwuler, hat sein Rendezvous mit MPX sehr eindrücklich und schonungslos dokumentiert.

Die Redaktion weist darauf hin, dass es sich beim folgenden Text nicht um einen fachlichen Beitrag, sondern einen subjektiven Erfahrungsbericht eines MPX-erkrankten Mannes handelt, dem wir Anonymität zugesichert haben. Die Erkrankung führt in den meisten Fällen zu wesentlich weniger drastischen Auswirkungen.

Triggerwarnung: Schmerz, Blut, Wunden, Sex

Eigentlich war es nur ein Pickel

Auch wenn ich Pelz liebe, so gehört für mich dennoch an mancher Stelle ein wenig mit dem Rasierer korrigiert. Wie immer: Da wo rasiert wird, gibts auch mal Rasierpickel oder eingewachsene Haare. Man spricht nicht gerne drüber, aber so ist es halt. Und so habe ich wohl das erste Anzeichen auch einfach geschmeidig ignoriert. Kleine Rötung, nicht mal ein echtes Püstelchen an einem Haaransatz. Das ging auch erstmal weg – also kein Problem. Daten, Sauna oder auch mal auf eine ausschweifenderen Fetischveranstaltung. Schwules Leben, wie es halt so ist. Dann kam dieses lästige Rasierpickelchen wieder. Es folgten ein paar Nachbarn. Nichts Wildes. Okay. Lass ich die Gegend mal ein paar Tage ruhen. Das wird schon wieder.

Eine gigantische Fehleinschätzung

Es entwickelten sich Entzündungsherde, richtig fies und fett. Mein erster Verdacht war erstmal, „Mist, Syphilis + X“. Aber die Vehemenz, die Stärke dieses Ausschlags war ungeheuerlich. Es brannte, mein Geschlechtsteil fett geschwollen und ich hatte Schmerzen. Man wollte sich schon gar nicht mehr anfassen – alles tat weh. Rohes, inflammatorisches Fleisch. Eines stand fest: Auf eine ärztliche Meinung im Rahmen meines Regeltermins zum Check-up konnte DAS nicht mehr warten. Zum Glück gab es einen Spontantermin. Der Arzt stellte kühl und trocken fest:

Die Pocken. Ich war bedient.

Was hatte ich eigentlich so getan? Nicht viel, nur an den Wochenenden, meist privat. Und irgendwie und überhaupt – das trifft doch nur dieses Party-Tunten von Gran Canaria, die im Bunker eher ne Sprengladung als meine Aufmerksamkeit abbekommen würden. Waren das nicht gerade mal eine Hand voll Fälle irgendwo in den Sumpfgebieten von Spree und Rhein? Die ganze Klischeebox, mit der ich meinesgleichen gerne so verachtend strafe, fiel in sich zusammen. Ich war also einer von diesen ominösen, schmuddeligen 200 Fällen in Deutschland, wovon die Mehrheit laut Presse in Berlin ist? Nicht nur das, ich befand mich sogar unter den ersten zehn, die mein Schwerpunkt-Arzt je gesehen hatte. What? Na, da fiel ich nicht nur von meinem ländlichen, moralischen Ross. Nein, der Gaul hat dann nochmal nachgetreten.

„Die ganze Klischeebox, mit der ich meinesgleichen gerne so verachtend strafe, fiel in sich zusammen.“

Therapie? Fehlanzeige. 

Antivirale Medikamente sind in Europa noch nicht erhältlich. Also vermachte man mir zur „symptomatischen Behandlung“ eine ziemlich unhübsche Salbe (Rivanol) und den freundlichen Tipp: „Abdecken, nicht anfassen, Hände waschen und desinfizieren, sonst verteilst du die Dinger auch noch.“ Andere Tipps und Hilfen? Woher denn?! Außer den üblichen Käsemeldungen der Tagespresse konnte mir nur Wikipedia ein wenig helfen. Ich vermachte mir dann erstmal in Eigentherapie ein Antibiotikum. Glauben wollt ich das mit den Pocken nicht so ganz und gegen die Entzündungen sollte das wenigstens helfen. Die Verträglichkeit war mäßig, der Effekt tendierte gegen Null. Pech gehabt. Vielleicht hatte der Arzt ja doch recht. Aus den vulkanähnlichen Gebilden rund um meinen Penis entwickelten sich binnen zwei Tagen mit Salbe und Verband regelrechte Krater – etwa fingernagelgroße, flächige, schwarze, tiefe Wunden, die immer noch nässten und höllisch wehtaten.

„Nein, die „Banane“ sah auch noch aus, als hätte mich der Affe dort tatsächlich heftigst gebissen!“

Kofferraum und Werkzeugkiste

Für das Wundmanagement wusste ich mir nur noch mit dem Verbandskasten aus dem Auto zu helfen. Wundauflagen, Verbandsmaterial und Panzertape statt Pflaster zum Zusammenheften der Mullbinden fand sich in der Heimwerkerschublade. Ich erinnerte mich auch noch an dunkel an Creme mit Betäubungsmittel. Emla, eigentlich für bzw. gegen Hämorrhoidenschmerz. Aber die Apotheke meinte: „Anaesthesin Salbe? Die ist schon seit Jahren vom Markt verschwunden“. Restbestände an Novalgintropfen und frische Paracetamol halfen mir über die erste Woche. Ibuprofen brachte mir so gut wie gar nichts. Auch das bisschen Fieber und der Nebel im Kopf verschwanden nach gut einer Woche wieder. Dafür bildeten sich nach und nach überall am Körper Wasserbläschen bzw. Quaddeln. Mal größer, mal kleiner, fast wie fiese kleine Mückenstiche, denn die Biester fingen auch noch an zu jucken wie Hölle. Mir tat also nicht nur alles unter der Gürtellinie weh. Nein, die „Banane“ sah auch noch aus, als hätte mich der Affe dort tatsächlich heftigst gebissen! Und der Rest meines astralen, leicht übergewichtigen Körpers schrie nach, „Los kratz mich“. Diesem Drang zu widerstehen – gar nicht so leicht. Ich erinnerte mich dunkel an die Windpocken meiner Kindheit – auch so ein übles Jucken.

„Ich erinnerte mich dunkel an die Windpocken meiner Kindheit – auch so ein übles Jucken.“

Zwischenfazit

Foto: Charles Deluvio / Grafik: J. Cimbulis

Ein Auto-Verbandskasten für die Wundversorgung durchgejagt, eine Packung Paracetamol und Doxi vernichtet, eine halbe Flasche Novalgin getrunken und vom Rivanol war auch nicht mehr allzu viel übrig, als ich begann, mich der diversen Hausmittelchen zu erinnern. Das Erste, was mir wirklich Linderung verschaffte, war der gute alte Honig. Medizinischer Honig, dünn aufgetragen, sorgte über Nacht für ein Stoppen des Wundnässens. Der Schmerz lies auch deutlich nach. Salbeitee – super lange durchgezogen war er zwar etwas bitter im Geschmack, aber das Jucken ging deutlich zurück. Es bildeten sich auch keine neuen Quaddeln mehr.

Nun rücken die härteren Geschütze der Hausapotheke in den Fokus:

Ich will keine Schleichwerbung machen und ich bin auch kein Arzt oder Apotheker. Es ist mir einfach ein Anliegen, anderen Betroffenen zumindest ein wenig unter die Arme zu greifen. Bei einer Krankheit, bei der außer verbinden, pflastern, abwarten und Tee trinken anscheinend nichts zu machen ist, hoffe ich, dass mich diese Helferchen schnell(er) über den Rest des Berges bringen. Denn ich stand bzw. stehe gefühlt doch irgendwie unbe- und ungeholfen in einer ziemlich dummen Situation da. *Max Musterschwuler

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