Trans*-ausschließender Schutz vor Hassverbrechen in der EU?

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Alle EU-Mitgliedstaaten sollen eine einheitliche Gesetzgebung gegen Hassrede und Hassverbrechen erhalten. Bis Ende 2021 will die EU-Kommission hierfür eine Initiative vorlegen, um die in Art. 83 Abs. 1 AEUV angeführten EU-Verbrechen um Hate Speech und Hate Crime zu erweitern. So weit, so gut. Doch während Transgender und Intersexuelle EU-weit am anfälligsten für Hassverbrechen und Hassrede sind, finden Geschlechtsidentität und Geschlechtsmerkmale im Gegensatz zur sexuellen Orientierung im Fahrplan der Initiative keine ausdrückliche Erwähnung.

Das Arbeitsprogramm der Kommission 2021 und die LGBTIQ*-Gleichstellungsstrategie 2020–2025 lassen durchblicken, dass die EU-Kommission plant, die Liste der in Artikel 83 Absatz 1 AEUV („Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“) angeführten EU-Verbrechen um Hassrede und Hassverbrechen zu erweitern. Bis Ende 2021 soll die entsprechende Initiative „Extension of the list of EU crimes to hate speech and hate crime” vorliegen, die das Strafrecht in allen EU-Mitgliedstaaten harmonisieren soll.

Sobald der Beschluss angenommen ist, wird die Kommission in einem zweiten Schritt eine substanzielle, harmonisierende Gesetzgebung vorschlagen. Im Fahrplan der Initiative heißt es, dass die Liste der EU-Straftaten auf Grundlage der im Rahmenbeschluss 2008/913/JI erfassten Gründen, das sind „Rasse, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationale oder ethnische Herkunft“, erweitert werden könnte. Ausgehend von Artikel 19 AEUV sollen weitere Gründe wie Geschlecht und sexuelle Orientierung, Behinderung und Alter in Betracht gezogen werden.

Alarmierende Entwicklung bei anti-queeren Verbrechen

Und das ist auch dringend notwendig: Hassrede und Hassverbrechen gegen LGBTIQ*s passieren jeden Tag und überall. In ihrer jüngsten Veröffentlichung stellte ILGA-Europe einen wachsenden Trend von Anti-LGBTI-Hassreden fest. Laut Jahresbericht über die Menschenrechtssituation von LGBTI-Personen im Jahr 2020 hat es in Europa einen erheblichen Anstieg von Hassrede im Internet und in den Medien gegeben, auch unterstützt von offiziellen Quellen, einschließlich Politiker*innen und religiösen Führer*innen. 

Zudem belegt die fünfte Evaluierung des Verhaltenskodexes zur Bekämpfung illegaler Hassrede im Internet, dass die sexuelle Orientierung der am häufigsten gemeldete Grund für Hassrede ist (33,1 %), gefolgt von Fremdenfeindlichkeit einschließlich Hass gegen Migrant*innen (15 %) und Antiziganismus (9,9 %).

Gleichzeitig gibt es eine klare Stagnation bei Gesetzesänderungen, die den alarmierenden Anstieg von Anti-LGBTI-Hassverbrechen und Hassreden stoppen würden und queeren Personen einen ausreichenden Schutz garantieren. Gegenwärtig haben 7 Mitgliedstaaten die sexuelle Orientierung nicht ausdrücklich als erschwerenden Faktor in ihre Gesetze gegen Hassrede miteinbezogen, 15 EU-Länder beziehen die Geschlechtsidentität nicht mit ein. In den Gesetzen zu Hassverbrechen findet in 10 Mitgliedstaaten die sexuelle Orientierung keine Erwähnung, in 16 Ländern wird die Geschlechtsidentität nicht erwähnt und 25 EU-Mitgliedstaaten haben in ihrer Gesetzgebung zu Hassverbrechen das Motiv der Voreingenommenheit aufgrund der (wahrgenommenen) Geschlechtsmerkmale oder des Intersexualitätsstatus eines Opfers nicht einbezogen.

Von allen befragten LGBTIQ*-Personen berichteten trans* und inter* Personen noch häufiger als Schwule, Lesben und Bisexuelle von vorurteilsmotivierter Belästigung und Gewalt. Transidente und intersexuelle Menschen sind EU-weit am anfälligsten für Hassverbrechen und Hassrede. Dennoch werden Geschlechtsidentität und Geschlechtsmerkmale im Fahrplan der Initiative nicht ausdrücklich erwähnt.

Queere EU-Parlamentarier schreiben Helena Dalli

Foto: EU Kommission

Auf dieses Versäumnis hat die LGBTI Intergroup aufmerksam gemacht. In einem offenen Brief an Gleichstellungskommissarin Helena Dalli schreibt die Intergroup, sie begrüße zwar den Vorschlag der Kommission, sei jedoch besorgt darüber, dass in der bevorstehenden Erweiterung der Liste der EU-Straftaten „Geschlechtsidentität“ und „Geschlechtsmerkmale“ als Gründe für die Motivation, Straftaten zu begehen, nicht ausdrücklich erwähnt werden. 

„Nach den in diesem Schreiben dargelegten Informationen sind trans- und intergeschlechtliche Menschen in der gesamten EU am stärksten von Hassverbrechen und Hassreden betroffen, ungeachtet dessen stellen weniger Mitgliedstaaten Straftaten, die durch Vorurteile gegenüber der Geschlechtsidentität und den Geschlechtsmerkmalen motiviert sind, unter Strafe, als dies bei der sexuellen Orientierung der Fall ist. Dies ist eine Realität, der sich die Kommission bewusst ist und die sich auch in der LGBTIQ-Gleichstellungsstrategie widerspiegelt. Dementsprechend sind wir der Meinung, dass die EU garantieren sollte, dass die vorgeschlagene Gesetzgebung allen LGBTI-Personen gleichen Schutz bietet und niemanden zurücklässt.“

„In Anbetracht des Vorstehenden“, so das Schreiben, „fragen wir Sie, Frau Kommissarin: 

Wird sich der Legislativvorschlag der Kommission zur Erweiterung der Liste der EU-Verbrechen auf Hassrede und Hassverbrechen auch auf Geschlechtsidentität und Geschlechtsmerkmale beziehen?

Wenn nicht, warum nicht, und wie plant die Kommission, Trans- und Intersexuellen den gleichen Schutz vor Hassrede und Hassverbrechen zu garantieren?

Wenn die Entscheidung über die Änderung der Art. 83 AEUV angenommen wird, wann plant die Kommission, auf dieser Grundlage die inhaltlichen, harmonisierenden Rechtsvorschriften vorzuschlagen, und welchen Umfang wird der Vorschlag haben?“

Erst in der vergangenen Woche war in Deutschland ebenfalls ein Gesetz für besseren Schutz vor Hassgewalt im Bundestag behandelt worden, bei dem die Geschlechtsidentität unter den Tisch fiel. Ein immer deutlicher erscheinendes Muster? 

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