„Wir waren schon immer überall“

Mit einem neuen Audioguide wollen Berliner Sexarbeitende ihre Geschichte erzählen und damit gegen die Stigmatisierung und den Missbrauch ihres Berufs einstehen. Die Tour führt Teilnehmende durch das berühmte historische Rotlichtviertel im Stadtteil Schöneberg.

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In 12 Stationen durch die Geschichte der Sexarbeit in Berlin

Geschichtlich beginnt der Spaziergang bei den Anfängen des Sexhandels in Zeit der liberalen Weimarer Republik in der Bülowstraße und geht weiter in die Nazizeit, in der „sexuell Abweichende“ in Konzentrationslager geschickt wurden. In den Nachkriegsjahren entstand in West-Berlin eine mutige Schwulenrechtsbewegung und ein kaum verborgener Sektor der Sexarbeit. Schöneberg wurde zu einer lebendigen Mischung aus deutschen Mittelschichtler:innen, Prostituierten, türkischen Einwanderer:innen, und einer LGBTIQ*-Szene, in der sich Nonkonformist:innen wie David Bowie zu Hause fühlten. Diese Gemeinde wurde von der AIDS-Epidemie der 1980er- und 1990er-Jahre und dem Fall der Berliner Mauer erschüttert, welcher einen Zustrom osteuropäischer Sexarbeiter:innen mit sich brachte, der die Preise drückte.

Sexarbeit und die LGBTIQ*-Community

Initiiert wurde das Projekt von lokalen Sexarbeitenden, unterstützt von der Stadtverwaltung und dem Schwulen Museum. Es verdeutlicht, dass Prostitution ein altehrwürdiger – aber auch immer noch tabuisierter – Teil der Stadt ist. 

„Wir sind seit Generationen hier, wir gehören hierher und wir verdienen es hier sicher zu arbeiten,“

erklärt Emma Pankhurst, eine der Initiatorinnen des Projekts. 

Foto: John MacDougall / APF

Sexarbeit und die LGBTIQ*-Community sind oftmals eng miteinander verbunden und konzentrieren sich an den gleichen Orten. Die 35-jährige Pankhurst beschreibt Schöneberg als „eines der Schwulenparadiese der Welt“.  

„Das liegt zum Teil daran, dass die Sexarbeiter-Community zuerst hier war und die Schwulen-Community dann nachzog“,

eine Entwicklung, die in Städten rund um den Globus üblich ist. Birgit Bosold vom Schwulen Museum erklärt, dass es die Tour aufgrund der langjährigen „Solidarität“ zwischen Sexarbeitenden und der queeren Community unterstützt habe, die

„wissen was es bedeutet marginalisiert und aus der Geschichte herausgeschrieben zu werden (...) Wir haben in den letzten 30 bis 40 Jahren Netzwerke und Know-how aufgebaut, das wir unseren Brüdern und Schwestern anbieten können.“

Sexarbeit entkriminalisieren oder legalisieren?

Pankhurst zog vor drei Jahren von der US nach Deutschland, um ihr Gewerbe legal und ohne Angst vor Verhaftung ausüben zu können. Zwar seinen die relativ liberalen Prostitutionsgesetze in Deutschland eine Verbesserung gegenüber der vollständigen Kriminalisierung in ihrer Heimat, jedoch würde selbst Berlin dessen Ruf als sicherer Hafen für Sex nicht gerecht. 

Prostitution ist in Deutschland legal, aber seit 2017 müssen sich alle Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter registrieren lassen, sich regelmäßigen Gesundheitsuntersuchungen unterziehen und Kondome benutzen. Ende 2021 waren etwa 23.700 Personen registriert - ein kleiner Bruchteil der geschätzten 400.000 die in Deutschland arbeiten.

Foto: John MacDougall / AFP

Viele Aktivist:innen würden eine Entkriminalisierung der vollständigen Legalität vorziehen, weil eine Registrierungspflicht einen Großteil des Sektors wieder in den Untergrund treibe. Das begünstigt Menschenhandel, der laut der deutschen Bundespolizei im vergangenen Jahr um 10 Prozent gestiegen ist, wobei ein Drittel der Opfer von Zwangsprostitution unter 21 Jahren ist. Die Entkriminalisierung, so Pankhurst, trage dazu bei,

„die negativen Folgen für jede Person, die Opfer von Menschenhandel wird – oder für jeden Kunden, der den Verdacht hat, dass es sich um Menschenhandel handelt – zu beseitigen, indem er dies der Polizei meldet.“

Mehr gegenseitiges Verständnis

Die App soll außerdem auf den Fluch der Gentrifizierung und deren Auswirkung auf Sexarbeit aufmerksam machen. 

„Die Immobilienpreise sind in die Höhe geschossen, und das bedeutet, dass hier eine Menge Geld zu verdienen ist. Die Leute wollen keine Sexarbeiterinnen auf der Straße sehen,“

erklärt Pankhurst. Durch die Gentrifizierung seien sie und ihre Kolleg:innen jetzt unter deutlich mehr Druck. Familien beschweren sich über Prostituierte auf der Straße, woraufhin Pankhurst zu gegenseitigem Verständnis aufruft:  

„Viele Sexarbeiterinnen haben auch Kinder - für viele von uns ist der Grund, warum wir Sexarbeit machen der, dass wir in kurzer Zeit relativ viel Geld zum Überleben verdienen müssen, damit wir zu unseren Kindern zurückkehren können.“

Außerdem habe das neunmonatige Prostitutionsverbot während der Pandemie immer noch negative Auswirkungen und diene oft als Vorwand für Belästigungen und Gewalt.

“We Have Always Been Everywhere. Sexarbeit im Bülowbogen. Ein Audiowalk zur Geschichte Schönebergs” ist seit Dezember in der Berlin History App verfügbar. Viel Spaß!

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