Wenn Queer*feindlichkeit krank macht

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Foto: Inzmam Khan, pexels.com, gemeinfrei

Eine bundesweite Studie der Frankfurt University of Applied Science UAS belegt, was viele schon ahnten: Queer*feindlichkeit kann bei den Betroffenen gesundheitliche, vor allem psychische Probleme verursachen. Insbesondere das Suizidrisiko ist besonders hoch.

Foto: Fotostudio Klam Berlin

Wissenschaftliche Untersuchungen zur Lebensrealität von queeren Menschen sind insbesondere in Deutschland rar gesät. Das Forschungsprojekt „Wie geht‘s euch?“ der Frankfurt UAS unter der Leitung von Prof. Dr. Stefan Timmermanns und Prof. Heino Stöver untersuchte daher im vergangenen Jahr das körperliche und psychische Wohlbefinden von LSBTIQ*.

Interviewt wurden bundesweit 8.700 Personen und die Ergebnisse zeigen eindeutige Tendenzen: Das Coming-out erfolgt heute viel früher als bei den Generationen zuvor – in der Regel zwischen dem 11. und 16. Lebensjahr. Diskriminierung in der Öffentlichkeit erleben dabei mehr als die Hälfte der befragten Personen, gut ein Drittel kann von Gewalterfahrung berichten, vor allem gender*diverse, pansexuelle, inter* oder trans* Personen.

Besonders belastend wird außerdem Diskriminierung innerhalb der queeren Community empfunden – gerade die Community symbolisiert für viele eine Ressource, die es ermöglicht, trotz aller Widrigkeiten ein überwiegend gutes und zufriedenes Leben zu führen, so Timmermanns. Diskriminierungserfahrungen und queernegative Einstellungen verursachen den sogenannten „Minderheitenstress“, der das Risiko von psychischen Erkrankungen, Substanzkonsum sowie Suizid steigert.

„Insbesondere in Bezug auf eine Suizidgefährdung der an dieser Studie teilnehmenden Personen konnte belegt werden, dass diese fast sechs Mal höher lag als in der Gesamtbevölkerung“, erläutert Timmermanns. „Bei trans* uns gender*diversen Personen war der Faktor sogar um das Zehnfache erhöht“. Dies bestätige vorherige Untersuchungsergebnisse aus Nordamerika und Australien.

Gleichzeitig gibt Timmermanns zu bedenken: Die Umfrage sei trotz der hohen Zahl an Befragten nicht als repräsentativ zu sehen, da die Teilnahme freiwillig erfolgte; außerdem habe das Gros der Teilnehmenden einen mittleren oder hohen sozialökonomischen Status, daher müsse davon ausgegangen werden, dass das tatsächliche Ausmaß der Suizidgefährdung von LSBTIQ* in Deutschland noch höher sei.

Auf dieser Basis sollten Beratungs- und Unterstützungsangebote für LSBTIQ* weiter ausgebaut und verbessert werden. In diesem Zusammenhang verweist Timmermanns auch auf ein weiteres Ergebnis der Studie: „Die vorgegebenen Bezeichnungen reichen vielen Menschen nicht aus, um ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität zu beschrieben; infolgedessen vermutet Timmermanns eine Aufweichung der in der Sexualwissenschaft etablierten Kategorien sexueller und geschlechtlicher Vielfalt.

Was tun bei Suizidgedanken?

Das Frankfurter Netzwerk für Suizidprävention FRANS, das 2014 auf Initiative des Gesundheitsamts der Stadt Frankfurt am Main gegründet wurde, ist ein Zusammenschluss von 75 Institutionen und Organisationen, die eine Verringerung von Suiziden und Suizidversuchen in Frankfurt erreichen möchte.

Jedes Jahr sterben in Frankfurt rund 90 Menschen an Suizid, bundesweit etwa 9.000 Menschen. Mehrheitlich liegen die Ursachen in einer Beeinträchtigung durch psychische Erkrankungen. Die Zahl der Suizidversuche liegt noch höher – in Frankfurt zum Beispiel schätzungsweise bei rund 1.800.

Die FRANS-Website gibt Betroffenen wie Angehörigen einen Überblick über Hilfsangebote in Frankfurt. Das Netzwerk hat es sich auch zum Ziel gesetzt, das Thema Suizid zu enttabuisieren und zu entstigmatisieren. Um Aufmerksamkeit und Sensibilität dafür zu schaffen, organisiert FRANS Veranstaltungen und informiert an den verschiedensten öffentlichen Stellen über Hilfsangebote und den Umgang mit Suizid.

Queere Beratungsstellen wie das queere Jugendzentrum KUSS41 für Menschen zwischen 14 und 27, die Lesben Informations- und Beratungsstelle LIBS, „gewaltfreileben“, die lesbische, trans* und genderqueere Menschen begleiten, oder die psychosoziale Beratung der AIDS-Hilfe Frankfurt AHF im Maincheck sind bereits auf das Thema sensibilisiert und helfen, Kontakt zu spezialisierten Beratungsstellen zu finden.

Inga Beig, Koordinatorin von FRANS am Gesundheitsamt Frankfurt, ergänzt: „Wir sind dabei, uns mit dem LSBT*IQ-Netzwerk Rhein-Main zu vernetzen. Wir wollen klären, inwiefern es Bedarf für eine Beratungsstelle gibt, die sich konkret auf Suizidalität im Bereich LSBTIQ* spezialisiert, und wie man die allgemeinen psychosozialen Beratungsstellen für die jeweiligen Thematiken sensibilisieren und fortbilden kann.


Beratungs- und Hilfsangebote in Frankfurt für suizidgefährdete Menschen und deren Angehörige über frans-hilft.de

Krisenhilfe am Telefon: die Telefonseelsorge ist unter den Nummern 0800 1110111 und 0800 1110222 erreichbar, unter 069 63013113 erreicht man die Ärzti*innen der Klinik für Psychiatrie an der Uniklinik; beide Dienste sind rund um die Uhr erreichbar.

Die Ergebnisse der UAS-Studie sind unter dem Titel „Wie geht’s euch?“ bei Beltz Juventa in der Verlagsgruppe Beltz als Buch erschienen.

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