Queerpolitik im Bundestag: Pokern um Hassgewalt und Diskriminierungsschutz

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Laut dem Innenministerium wurden im letzten Jahr 728 Straftaten gegen LGBTIQ* gemeldet. Das ist ein Anstieg zum Vorjahr um 36 Prozent! Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) fordert deshalb die Einsetzung einer Expert*innenkommission der Bundesregierung, der einen einen nationalen Aktionsplan gegen queerfeindliche Hasskriminalität entwickeln soll. Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen hat am Dienstag einen Antrag eingereicht, der das erreichen möchte, am Mittwoch wurde darüber debattiert.

Worum geht es?

Der Antrag stellt 12 Forderungen auf, unter anderem sieht er die Erfassung von Hasskriminalität gegen LGBTIQ* bundeseinheitlich und lückenlos vor. Zudem sind Sensibilisierung und Prävention auf allen gesellschaftlichen und staatlichen Ebenen von Bildung bis Polizei vorgesehen. Die Antragsteller*innen schreiben:

„LSBTI-Feindlichkeit ist auch in Deutschland immer noch weit verbreitet. Dabei sind nicht nur Rechtsextremismus, Islamismus, Evangelikale und anderer religiöser Fanatismus dafür verantwortlich. Auch in der Mitte der Gesellschaft gibt es immer noch viele LSBTI-feindliche Ressentiments. Dem müssen sich - auch aus der historischen Verantwortung Deutschlands – alle Demokrat*innen entgegenstellen.“

Eine vollständige Auflistung der Forderungen haben wir unter diesem Artikel vorbereitet. Die Aussprache im Bundestag machte deutlich, dass es eine breite Mehrheit der demokratischen Fraktionen gibt, die das Problem Queerfeindlichkeit anerkennt und bekämpfen möchte. Allerdings mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Eine Tendenz scheint sich dabei abzuzeichnen, die eine der ältesten noch offenen Forderungen der LGBTIQ*-Community erfüllen würde.

Die Aussprache im Bundestag

Ulle Schauws von den Grünen begann ihre Rede damit, die Regierung für ihr fehlendes Engagement anzuprangern: Während ihrer gesamten Existenz habe die Innenministerkonferenz queerfeindliche Gewalttat noch nie verurteilt oder den Opfern Unterstützung zugesichert. Dabei erinnert sie besonders an den homofeindlichen und islamistischen Terroranschlag 2020 in Dresden, dessen Tatmotiv weder die Kanzlerin noch ein anderes Regierungsmitglied überhaupt adressierten:

„Frau Bundeskanzlerin, Herr Bundesinnenminister, Mitglieder der Bundesregierung: Warum haben Sie sich nicht geäußert? Warum blieben hier öffentliche Kondolenzbekundungen aus, die bei einem solchen Anschlag so wichtig und so richtig gewesen wären?“

Schauws mahnt an, gegen Hasskriminalität strategisch vorzugehen. Anlass: 2019 waren im Vergleich zum Vorjahr 60 Prozent mehr Straf- und Gewaltdaten verzeichnet wurden, in 2020 stieg die Zahl der Vorfälle um 36 Prozent. 

Ablenkungsmanöver und Gesprächsbereitschaft von der Union 

Dr. Jan-Marco Luczak von der CDU/CSU sieht Hasskriminalität gegen queere Menschen schon im Gesetzesentwurf der Koalition „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“ bekämpft. Er beklagt, die Blockierung des Gesetzes durch die demokratische Opposition, insbesondere den Grünen, weil seiner Ansicht nach Queers in besonderen Maße profitieren würden:

„Und ich muss Ihnen sagen: Wenn Sie hier jetzt einen solchen Antrag einbringen, finde ich das, gelinde gesagt, scheinheilig. Mit dieser Blockade im Bundesrat haben Sie nicht Lesben, Schwule, Transsexuelle und Transgender geschützt, sondern Sie haben die Demokratiefeinde und die Hetzer geschützt, meine Damen und Herren, und das finde ich unverantwortlich.“

Im zweiten Teil seiner Rede kommt Luczak dann überraschenderweise auf ein ganz anderes queeres Anliegen. Er äußert sein Unverständnis darüber, dass der Antrag keine Forderung beinhalte, den Artikel 3 im Grundgesetz um das Merkmal sexuelle Identität zu erweitern. Ulle Schauws erinnert Luczak in einer Zwischenfrage allerdings daran, dass ein Gesetzesentwurf für die Erweiterung des Artikels 3 wegen des Widerstandes der Unionsfraktion noch nicht verabschiedet werden konnte. 

Foto: S. Ahlefeld

Geballter Rassismus, Transphobie und Misogynie von der AfD 

Dr. Bernd Baumann von der AfD setzt in seinem Redebeitrag auf rassistische, wie queerfeindliche und misogyne Chiffren und schafft es dabei, sich selbst zu widersprechen: Queere Menschen seien hauptsächlich durch islamistische Organisationen im In- und Ausland bedroht, die weiß-deutsche Gesellschaft sei gegenüber sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten grundsätzlich liberal eingestellt. Baumann beklagt, dass die anderen Parteien diese Problematik nicht thematisierten.

Dann driftet Baumann vollständig ins verschwörungstheoretische Framing seiner Partei ab und mutmaßt gesellschaftszerstörende Pläne der Grünen als eigentlichen Hintergrund des Antrages. Den er als weiteren Angriff auf konservative Werte begreift:

„Worauf zielen dann aber Ihre Anträge in Sachen Gender-Gaga, Transsexuelle, Homosexuelle, Migranten, People of Color, Black Lives Matter usw.? Hinter allem steht die neue Identitätspolitik der Linksgrünen.“

Von der einleitend postulierten Liberalität bleibt zum Schluss der Rede also nicht mehr all zu viel übrig. 

GroKo-Spielchen um Artikel 3

Dr. Karl-Heinz Brunner von der SPD geht in seiner Rede auf die verschiedenen politischen Forderungen der vorherigen Redner*innen ein. Er meint, dass der Gesetzesentwurf der Koalition gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität zu kurz greife. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen sei jedoch zu detailliert und gleichzeitig zu klein gedacht. Brunner betont, wie wichtig es sei in der breiten Gesellschaft queerfeindliche Ressentiments abzuschaffen. Dies gelinge nur, wenn zum Beispiel schon Kindergärtner*innen geschult würden:

„Konzentrieren wir uns doch auf das Wichtige, auf das Wesentliche, das Nötige, nämlich eine Sensibilisierung unserer Gesellschaft.“

Am Ende von Brunners Rede widmet er sich, wie auch schon sein Koalitionskollege Luczak, dem Gesetzesentwurf für die Erweiterung des Artikels 3 um das Merkmal sexuelle Orientierung. Er ruft dazu auf, dieses Gesetz schnellstmöglich zu verabschieden und appelliert an alle demokratischen Parteien, dies zu ermöglichen. 

Deutschland hinkt mal wieder hinterher

Dr. Jens Brandenburg von der FDP kreidet, wie zu Beginn Ulle Schauws, die fehlende Anteilnahme der Kanzlerin und des Innenministers zum islamistischen und homofeindlichen Terroranschlag in Dresden an. Er hatte geneinsam mit Fraktionskolleg*innen und Parteichef Christian Lindner explizit darum gebeten. Brandenburg spricht sich für eine nationale Strategie gegen Queerfeindlichkeit aus:

„Deshalb brauchen wir endlich einen nationalen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie, wie ihn die Niederlande, Großbritannien, Norwegen, Dänemark und Frankreich längst vorgelegt haben […].“

Schließlich weist Brandenburg auf den von der FDP verfassten Aktionsplan gegen Queerfeindlichkeit hin, der unter anderem auch die Reform des Artikels 3 GG vorsieht. Der FDP-Redner richtet ermutigende Worte an Luczak, die Grundgesetzreform unter seinen Kolleg*innen der CDU/CSU durchzusetzen.

Linksgrüne Einigkeit

Doris Achelwilm von DIE LINKE sichert dem Antrag der Grünen die Unterstützung ihrer Fraktion zu. Sie betont in ihrer knappen Rede besonders die Dunkelziffer von queerfeindlichen Straftaten:

„Statistisch sehen wir nur die Spitze des Eisbergs; die Datenlücke ist hier sehr groß. Studien und Hilfsinitiativen schätzen die Dunkelziffer auf 90 Prozent.“

Kommt Artikel 3 noch vor der Sommerpause?

Am Ende kommt noch einmal die Unionsfraktion zu Wort, diesmal spricht für die CSU: Dr. Volker Ullrich. Ulrich argumentiert, dass der Artikel 46 im Strafgesetzbuch gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit formuliert ist und damit auch gegen Queerfeindlichkeit schütze. Deshalb sieht er, anders als in dem Antrag der Grünen vorgesehen, keinen Zusatz von Trans- und Homofeindlicheit im Gesetzestext notwendig. Stattdessen möchte er die Polizei und Justiz sensibilisieren, das Gesetz auch bei queeren Menschen anzuwenden.

Zum Schluss bietet Ulrich einen überraschenden, wie auch bemerkenswerten Kompromiss an: In der Frage der Grundgesetzänderung Artikel 3.

„Aber das geht nur, wenn wir diese Debatte gemeinsam führen und uns hier auf einen Kompromiss verständigen. Lassen Sie uns darüber reden.“

FAZIT

Alle Bundestagsfraktionen außer der AfD sind sich einig, dass queere Menschen mehr staatlichen Schutz brauchen. Obwohl es um den diesbezüglichen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ging, diskutierten die anderen Parteien auch Lösungen außerhalb des Forderungspapiers, wie den Gesetzesentwurf „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“ der Koalition und den Gesetzesentwurf von Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE und FDP für eine Erweiterung des Artikels 3 im Grundgesetz um das Merkmal sexuelle Orientierung.

Schaut man* mit etwas Abstand auf die Dramaturgie der Redner*innen, besonders der drei von der Regierungskoalition, scheint sich ein Kuhhandel abzuzeichnen, der so aussehen könnte: Die Grünen geben ihre Blockade des „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“ auf und bekommen dafür von der Union die Freigabe der Abstimmung zur Erweiterung des Artikels 3. Machen Sie es so!


Forderungen des Antrags Hass und Hetze gegen LSBTI wirksam bekämpfen von Bündnis 90/Die Grünen

  1. Durchsetzung der LGBTIQ-Gleichstellungsstrategie 2020-2025 der EU 
  2. Ausführliche Forschung über LGBTIQ+-Feindlichkeit
  3. Lückenlose Erfassung von Hasskriminalität gegen queere Menschen
  4. LGBTIQ-Ansprechpartner*innen bei Polizei und Justiz auf Länder- und Kommunalebene einstellen
  5. Sensibilisierung von Polizei und Justiz
  6. Entwicklung von Präventionsmaßnahmen gegen Homo- und Transfeindlichkeit 
  7. Ausbau von Schutzkonzepten, die den speziellen Bedürfnissen von queeren Jugendlichen, Behinderten und rassifizierten Menschen angepasst sind
  8. Entwicklung von Schutzkonzepten für LGBTIQ-Geflüchtete
  9. Einrichtung von queeren Opferhilfeeinrichtungen und Beratungsstellen 
  10. a) Erweiterung der Gesetze 46 (gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit) und  b) 130 (Volksverhetzung) im Strafgesetzbuch um sexuelle Identität, sowie den c) „Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auszubauen" und d) die Reform des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) und eine verfassungsgültige Version des „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“ zu verabschieden
  11. Nennung von homo- und transfeindlichen Motiven in Strafverfahren
  12. Entwicklung von nationalen Aktionsplan in Zusammenarbeit mit LGBTIQ-Verbänden zur Prävention von Queerfeindlichkeit
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