#queerimparlament • Hanau, Hass und Genderwahn

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Unser Rückblick auf die letzten beiden Sitzungswochen im Bundestag verbindet zum Weltfrauentag die aktuellen Debatten und Initiativen zur Modernisierung der Gesellschaft mit den politischen Reaktionen auf völkischen und religiös-fundamentalistischen Einfluss.

Die Morde von Hanau überschatteten die letzte Sitzungswoche. Ein Rassist hatte bei einem terroristischen Amoklauf zehn Menschen ermordet. Alle Fraktionen verwiesen auf die Verantwortung der AfD, die Minderheiten konsequent gegeneinander ausspielt und ihre jeweilige gesellschaftliche Akzeptanz durch Ressentiments und Hetze mindert.


Frauen und Queers in einem Boot mit Migranten

Nur dort, wo Frauenrechte erkämpft wurden, gelang es Menschenrechte für queeren Menschen zu etablieren. Die Debatte zum heutigen Weltfrauentag war von dem Konsens getragen, dass noch weiterhin viel zu tun ist. Die Fraktionen stellten dabei ihre Ansätze vor. Nur die AfD scherte aus. Frau Harder Kühnel stellte die bisherigen Gleichstellungsmaßnahmen in Frage, wandte sich gegen „Unisextoiletten“ und die Finanzierung von „Genderinstituten, die dann noch das 71. Geschlecht entdecken“ und spielte selbstredend auch die zu erwartende Karte, Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund würden Frauen bedrohen. Zudem wandte sie sich gegen „Genderwahn“. Der Kampfbegriff schlechthin, um Frauen und queeren Menschen gleiche Rechte zu verweigern. Auch Beatrix von Storch von der AfD provozierte mit einer Nachfrage.

Der einzige Mann in der Debatte, der Hamburger Abgeordnete und familienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Marcus Weinberg (hinnerk Interview), wandte sich gegen die skurrile Rede von Frau Harder Kühnel und lehnte den Begriff Genderwahn ab. 


60 Prozent mehr antiqueere Hassdelikte in Deutschland

Die jährlich nur auf Anfrage von Parlamentariern veröffentlichten Zahlen queerfeindlicher Hassverbrechen sind weiterhin ein Flickwerk aus den validen Zahlen der Hauptstadt Berlin, wo seit 2012 konsequent gezählt und veröffentlicht wird,  plus „was so anfällt“ aus den 14 weiteren Bundesländern. Dennoch stiegen die gemeldeten homo-und transphob motivierten Straftaten in 2019 im Vergleich zu 2018 um mehr als 60 Prozent – bei Gewalttaten sogar um fast 70 Prozent. 

Foto: Deutscher Bundestag / Achim Melde

Der Lesben und Schwulenverband Deutschland (LSVD) reagierte dementsprechend deutlich auf die wiederholte Ignoranz, denn auch das neueste Gesetz zur Bekämpfung von Hassverbrechen, richtete sich nur gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus: 

„Noch nie hat Bundesinnenminister Seehofer eine homophobe oder transfeindliche Gewalttat explizit öffentlich verurteilt. Es gibt keinerlei Maßnahmenprogramm. Dabei geschehen homophobe und transfeindliche Gewalttaten tagtäglich in Deutschland. Seit Jahren weigert sich die Große Koalition, bei der von ihr eingeführten Bestimmung zur Hasskriminalität im deutschen Strafrecht homophobe und transfeindliche Motive im Gesetz ausdrücklich zu benennen. Auch beim neuesten Gesetzesvorhaben von Bundesjustizministerin Lambrecht zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität bleiben Homophobie und Transfeindlichkeit im Gesetzestext erneut ausgegrenzt. Das ist unverständlich und muss nachgebessert werden.“ (vollständige Stellungnahme des LSVD)

Das Gesetz wird in der kommenden Woche weiterverhandelt, ob es Bewegung Richtung queerer Sichtbarkeit geben wird, ist noch unklar.


Anhörung zum Diskriminierungsschutz in Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz

Foto: S. Ahlefeld

Das für queere Belange wohl wichtigste Ereignis des bisherigen Jahres war die öffentliche Anhörung im Rechtsausschuss zur Erweiterung des Grundgesetzes in Artikel 3 Absatz 3 um das Merkmal „sexuelle Identität.“ Ein gemeinsamer Gesetzentwurf von FDP, der Linken und den Grünen. In der Anhörung schälte sich eine Mehrheit für eine Erweiterung heraus. Einzelne Unionsabgeordnete signalisierten in den sozialen Netzwerken ihre prinzipielle Zustimmung. (männer* Dossier zu Artikel 3)

Falls die dazugehörige Abstimmung in der 2./3. Lesung im Bundestag freigegeben würde, so dürfte es eine Mehrheit für diese jahrzehntelange Forderung der Community geben.


Verbot von Konversionsverfahren erreicht Parlament

Foto:: Deutscher Bundestag / Achim Melde

Am Freitag wurde in erster Lesung über den Gesetzentwurf zur Konversionsbehandlungen debattiert, der von Jens Spahns Gesundheitsministerium erarbeitet wurde. Alle Fraktionen begrüßten den Vorschlag. Jens Brandenburg (FDP) und Doris Achelwilm (DIE LINKE) kritisierten in ihren Reden, dass das geplante Verbot nur für Personen bis zum 18ten Lebensjahr reicht. Ulle Schauws (Die Grünen) forderte ein umfassenderes Werbeverbot. Karl-Heinz Brunner (SPD) freute sich auf Nachbesserungen, die im parlamentarischen Verfahren möglich seien. Erwin Rüddel (CDU) beendet die Debatte und hielt eine aus Unionssicht immer noch ungewöhnlich progressive Rede in Form und Inhalt.

„Homosexualität ist keine Krankheit, weil es keine Krankheit ist, muss sie nicht behandelt werden, deshalb bringt es der Gesetzentwurf auf den Punkt.“

Applaus aus allen Fraktionen außer von der AfD. Ungewöhnlich war auch die Rede des AfD-Abgeordneten Robby Schlund. Sie war in weiten Teilen sachlich und er kündigte überraschend nur eine Enthaltung an. Aber dennoch provozierte er, indem er das Werbeverbot von Konversationsbehandlungen mit dem Werbeverbot von Abtreibungsärzten verglich.


Bewegung im Adoptionshilfegesetz?

In der öffentlichen Anhörung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Adoptionshilfegesetz bemängelten mehrere Expert*innen die Beratungspflicht und die damit einhergehende Verschlechterung der Rechtssituation von Kindern, die in eine lesbische Partnerschaft hinein geboren werden. Der Menschrechtsanwalt Dirk Siegfried trat für den LSVD auf und machte konkrete Vorschläge, wie das Gesetz so zu ändern ist, dass die Kinder in dieser Regenbogenbeziehung zu „normalen“ Eltern gleichgestellt werden (seine Stellungnahme als PDF). Abgeordnete der Union und der SPD brachte dies zum Nachdenken. Vor der letzten Lesung im Bundestag könnte es also noch zu Änderungen am Gesetzentwurf kommt.

FDP und Grüne scheitern mit Verbesserungen bei der Stiefkindadoption

Am 13. Februar ging es um eine vom Bundesverfassungsgericht angeordnete Änderung des Adoptionsrechts. Der Vorschlag der Regierung missachtet queere Familienkonstellationen, stellt sie gar schlechter. Redebeiträge von der FDP, den Grünen, der Linken und der SPD („Das war dann im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens mit unserem Koalitionspartner nicht zu verwirklichen“) bemängelten dies. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde mehrheitlich angenommen, allerdings signalisierte Axel Müller von der CDU, dass die Bundesregierung einen weitere Initiative zum Abstammungsrecht vorlegen wolle, die queere Familienkonstellationen berücksichtige. Grüne und FDP haben hierzu bereits detaillierte Gesetzentwürfe vorgelegt, die queere Belange stärker berücksichtigen. Die diesbezüglichen Anträge zum verabschiedeten Gesetz wurden abgelehnt. 


Auf die Zwölf! Keine Homophoben in Bundesstiftung

Wieder einmal wurde im Bundestag über die Wahlvorschläge der AfD für die Besetzung der Kuratoriumsplätze bei der Bundesstiftung Magnus-Hirschfeld abgestimmt. Die AfD stellte wieder die gleichen Kandidaten auf, wobei der benannte Stellvertreter Peter Byström, für seine diskriminierenden Äußerungen gegen queere Menschen eine besondere Provokation darstellte. Die demokratischen Fraktionen lehnten den Vorschlag einhellig ab und so bleibt der Platz der AfD im Kuratorium weiter unbesetzt.

Versuch 13 wird folgen ...

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