Interview: Der Dreier wird Rechtsinstitut

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Das folgende Interview mit Michael Kauch, Vorsitzender der „Liberalen Schwulen und Lesben“ (LiSL) und in dieser Funktion ständiger Gast des Bundesvorstandes der FDP, entstand vor der Zeitenwende, die von Kanzler Olaf Scholz in Folge des Angriffskrieges Putins gegen die Ukraine ausgerufen wurde. Insofern sind zeitliche Erwartungen an die Umsetzung gesteckter Ziele mutmaßlich Makulatur. Dennoch: Nicht nur beinhaltet der Koalitionsvertrag der Ampel die wohl weitreichendsten Maßnahmen zur Überwindung der Benachteiligung sexueller und geschlechtlicher Minderheiten, sowie alternativer Familien- und Lebenskonzepte aller Zeiten, viel mehr kann er auch als eine vorweggenommene Antwort auf das damals noch Undenkbare gelesen werden.

Foto: Daniel Roland / AFP

Der Autor und Welt-Korrespondent Deniz Yücel schrieb vier Tage nach dem Beginn des völkerrechtswidrigen Vernichtungsfeldzuges des Kremls:

„Der Angriff auf die Ukraine ist vielmehr eine Art bewaffnete Identitätspolitik. Oder in seinen (Putins, A. d. R.) Worten: Die Vereidigung der‚ traditionellen Werte gegen Pseudowerte, die unser Volk von Innen heraus zersetzen würden‘.“

Und weiter, bezüglich des bis ins sogenannte Bildungsbürgertum verinnerlichten und viel rezipierten Vorwurfs einer „verweichlichten“ Gesellschaft, der es an „Männlichkeit“ fehle schrieb Yücel: „Wo Putin auch aus Schwulenhass Krieg führt, muss die Verteidigung der Homo-Rechte – als Bestandteil von Grundrechten und -freiheiten –, Grund sein, die Waffen nicht zu strecken, sondern zur Abschreckung bereitzuhalten. Und jenen zu liefern, die dazu gezwungen sind, sie anzuwenden.“

In diesem Sinne erlauben wir uns als queere Redaktion folgende, die viel beschworene journalistische Neutralität konterkarierende Note:

Nie war es wichtiger als jetzt, unsere Werte durch Taten sichtbar zu machen.

Der folgende Text ist insofern auch ein kleines Stück weit Zeitdokument, wie westliche, wie freie Demokratien, sich organisieren. Wie sie im Gegensatz zu autokratischen Systemen durch – zugegeben langwierige und auch mal langweilige – dialogische Prozesse, erfolgreich zu konsensualen Lösungen für komplexe gesellschaftliche Problemstellungen gelangen.

22 Arbeitsgruppen für den Fortschritt 

Foto: LiSL

Wie bist Du in die Koalitionsverhandlungen gekommen und wie seid Ihr vorgegangen?

Warum ich gefragt wurde, dort zu verhandeln, das kann ich Dir nicht mit Sicherheit sagen. Das ist in der Hauptverhandlungsgruppe entschieden worden. Es gab zuerst die große Runde, die man im Fernsehen gesehen hat. Da haben wir uns angenähert und anschließend wurde eine Struktur festgelegt, insgesamt 22 Arbeitsgruppen, die dann von den Parteien sehr unterschiedlich besetzt wurden. Es war auch zunächst etwas fraglich, was sich hinter der jeweiligen Gruppe verbirgt. Auch in den Verhandlungen gab es immer wieder Abgrenzungsprobleme mit anderen Arbeitsgruppen, da geklärt werden musste, in welche Gruppe ein Thema gehört.

Wie lautete die Überschrift Deiner Arbeitsgruppe? Queerpolitik?

„Gleichstellung und Vielfalt“. Die Grünen hat in dieser Arbeitsgruppe personell sehr stark die Themen Frauen und Migration besetzt. Die SPD hat sich vordergründig des Themas „Demokratieförderung und ehrenamtliches Engagement“ angenommen. Wir, die FDP, hatten einen Fokus auf dem Thema „LSBTI* und Reproduktionsmedizin“. Katrin Helling-Plahr ist als Abgeordnete ja auch DIE Expertin dafür im Bundestag. Aus dem Bayerischen Landtag war der Fraktionsvorsitzende Martin Hagen mit in der Runde. Erwähnen möchte ich auch noch den Justizminister aus Rheinland-Pfalz, denn es war ganz hilfreich, dass er und die SPD-Sozialministerin von Sachsen auch ein bisschen die Verwaltungssicht einbringen konnten, wie die Vorhaben entsprechend umsetzbar sind.

Dann warst Du ja als jahrzehntelanger Queerpolitiker und selbst Ehemann und Vater in einer Regenbogenfamilie gut aufgehoben in dieser Gruppe ...

... genau. Ich gehe davon aus, dass ichdort besetzt wurde, weil ich im FDP- Bundesvorstand den Bereich LSBTI* betreue und das deshalb auch thematisch ganz gut passt.

„Ein queerpolitischer Durchbruch“

Der Koalitionsvertrag lässt eine Zeitenwende für viele Lebensbereiche von Queers und Familien erhoffen ...

Ich teile die Einschätzung, dass dieser Koalitionsvertrag ein queerpolitischer Durchbruch ist. Eine solche Detailtiefe – auch an Festlegungen – hat es im LSBTI*- Bereich noch nicht gegeben. Klar ist aber auch – wie bei allen anderen Politikfeldern: das ist ein Vertrag für vier Jahre. Es kann nicht alles im ersten Jahr umgesetzt werden. Würde der Bundestag versuchen, den gesamten Koalitionsvertrag in einem Jahr umzusetzen, würden auch Nachtsitzungen nicht ausreichen. Das nur vorweg geschickt. Vielleicht ebenso vorweg geschickt die Themen, die noch nicht gelöst sind.

Die gibt es?

Ja. Im Bereich des Familienrechts war es mit SPD und Grünen nicht möglich, das Thema rechtliche Mehrelternschaft im Koalitionsvertrag zu verankern. Und es war nicht möglich, eine endgültige Position zum Thema Leihmutterschaft und Eizellenspende zu finden. Zu letzterem wird es aber eine Regierungskommission geben. Hier wird es also auf jeden Fall länger dauern bis zu einer gesetzgeberischen Antwort. In dieser Regierungskommission wird auch das Thema Schwangerschaftsabbrüche einbezogen, wo die Grünen Dinge wollten, die wir nicht wollten. Deshalb muss man jetzt schauen, wo wir uns da finden können und auch externem Sachverstand bei der Lösung dieser Fragen einbinden. Das wird auf jeden Fall länger dauern, das ist völlig klar.

Historisch: Verantwortungsgemeinschaften

Foto: cottonbro / pexels.com

Dann nun aber zu Habenseite ... vielleicht fangen wir mit der für viele größten Überraschung an, der sogenannten Verantwortungsgemeinschaft. Ich gehe nach Deiner letzten Antwort sehr optimistisch davon aus, dass sie sich eben gerade nicht nur auf die Verantwortung von Menschen für Kinder bezieht, sondern um Beziehungen im weitesten Sinne?

Genau. Hier geht es nicht um Elternschaft, sondern tatsächlich um Verantwortungsübernahme zwischen Erwachsenen. Das ist ein Punkt, der von der FDP gekommen ist, ursprünglich von den Jungen Liberalen. Die Aussage im Programm ist an dieser Stelle: Eine Verantwortungsgemeinschaft ist in den Rechten und Pflichten unterhalb der Ehe angesiedelt. Ein bisschen wie der PACS in Frankreich, aber eben nicht nur für zwei sondern auch für mehrere Personen. ...

„Das Thema, hat nicht nur LSBTI*-Relevanz, sondern betrifft alle.“

Polyamore Beziehungen sollen anerkannt werden?

... es soll auch unabhängig von Liebesbeziehungen anerkannt werden. Also das können natürlich auch Liebesbeziehungen, möglicherweise von mehr als zwei Personen, sein – das, was du angesprochen hast. Das kann aber auch die WG sein, die über den WG-Status hinaus eine gegenseitige Absicherung will. Das können zwei verwitwete Schwestern sein, die hier auch wechselseitig Verantwortung übernehmen wollen. Die Idee ist, dass man das gestuft machen kann, dass die Intensität der Verantwortungsübernahme unterschiedlich sein kann. Das wird sicherlich etwas sein, was auch juristisch seine Zeit braucht, um das sauber auszuarbeiten. Da gab es ja schon mal einen Antrag der FDP im Deutschen Bundestag, dennoch wird die Ausarbeitung hier sicherlich längere Zeit in Anspruch nehmen. Das ist ja auch ein Thema, das nicht nur eine LSBTI*-Relevanz hat, sondern im Prinzip alle betrifft.

Die SPD in Berlin-Pankow war da laut eigener Aussage auch stark federführend ...

Das war ein Thema, bei dem ich persönlich nicht erwartet hatte, dass wir damit Erfolg haben, dass es wirklich mehr oder weniger der FDP-Parteitagsbeschluss werden konnte. Die SPD war da aber – wie Du richtig sagtest – offen, weil sie ebenfalls einen Beschluss hatte, der sich relativ stark deckte. Darum ging das relativ einfach durch.

Mehrelternschaft oder kleines Sorgerecht?

Foto: Team RH Photography / instagram.com/roman_holst

Welche Punkte werden denn schneller gehen? Justizminister Buschmann hat vor dem Jahreswechsel schon einige Dinge in Interviews angekündigt ...

Ich fange jetzt mal mit seiner letzten Äußerung zum Thema „Automatische Mutterschaft“ an und möchte das ein bisschen ausweiten auf die familienrechtlichen und abstammungsrechtlichen Fragen. Im Koalitionsvertrag haben wir das Thema der rechtlichen Elternschaft, also Abstammungsrecht. Wir haben die automatische Mutterschaft der Co-Mutter, also der Ehefrau der Mutter, festgelegt. Dort steht geschrieben: „sofern nichts anderes vereinbart ist.“ Dieser Zusatz ist sehr wichtig, denn so lange wir keine Mehrelternschaft haben im rechtlichen Sinne, muss man immer mitdenken, wie es zum Beispiel beim sogenannten Co-Parenting aussieht.

Magst Du das erläutern?

Heute ist die Frau, die das Kind geboren hat, die rechtliche Mutter und der biologische Vater ist der rechtliche Vater. Es sei denn, er hat beispielsweise einer Stiefkindadoption zugestimmt. Dadurch wird dann die Co-Mutter auch rechtliche Mutter und der Vater verliert sein Elternschaftsrecht. Uns war es wichtig – auch als FDP insgesamt – hier die Väter immer mitzudenken. Das war dann auch unsere Rolle in den Koalitionsverhandlungen und deswegen haben wir diesen Punkt – der automatischen Mutterschaft – verbunden mit dem Thema der Elternschaftsvereinbarung. Abgemacht wurde, dass Elternschaftsvereinbarungen vor der Empfängnis möglich sind. Heute sind diese nur nach der Geburt möglich und dazu auch nicht zur Frage der rechtlichen Elternschaft, sondern nur zu Fragen wie dem Umgangsrecht. Zukünftig soll das kein Problem mehr sein.

Wir wollen es in diesen Elternschaftsvereinbarungen den Beteiligten vor der Empfängnis ermöglichen, die rechtliche Elternschaft festzulegen – also wer soll rechtliches Elternteil sein. Die Mutter sieht das Gesetz klar vor, aber soll es dann eben die Ehefrau der Mutter sein oder soll es der biologische Vater sein. Diese Fragen stellen sich natürlich nur, wenn es tatsächlich eine Co-Parenting-Situation gibt, und nicht bei Kindern, die zum Beispiel aus einer Samenspende geboren sind. Da ist dann die Ehefrau der Mutter rechtliches Elternteil.

Das klingt nach einem Bürokratieakt erster Güte ...

Sagen wir es so, hier sind jetzt unterschiedlichste Rechts- fragen zu regeln. Das kleine Sorgerecht ist eine familienrechtliche Frage, hinzu kommt das Abstammungsrecht u.a. mit der Elternschaftsvereinbarung. Das sind Dinge, die möglicherweise zu unterschiedlichen Zeiten in dieser Wahlperiode geklärt werden, da bin ich mir nicht sicher, wie die Regierung das machen wird. Darüber haben wir auch bisher noch nicht gesprochen. Klar aus FDP-Sicht ist, dass die politische Einigung Elternschaftsvereinbarung vor der Empfängnis plus automatische Mutterschaft – wenn von den Eltern nichts anderes vereinbart ist – Bestand haben muss. Da es hier wie angesprochen um viele Rechtsfragen geht und die zusammen eine gewisse Vorbereitung brauchen, sehe ich hier größten Handlungsbedarf, zügig zu starten!

Aktionsplan, Artikel 3, Transsexuellengesetz & Entwicklungspolitik

Foto: Odd Andersen / AFP

Es qualmt jetzt wahrscheinlich den meisten Leser*innen – und mir auch – der Kopf. Aber wir sind nicht durch mit den Themen ...(Lacht)

Ich versuche das mal schneller zu beantworten, dazu gibt es inzwischen ja auch schon die ein oder andere Ausführung. Alles was wir bisher besprochen haben, läuft unter der Federführung des Justizministeriums. Der Nationale Aktionsplan unterliegt dem Familienministerium, allerdings gibt es dort Themen wie beispielsweise Hasskriminalität, die betreffen teilweise das Justiz- und teilweise das Innenministerium. Es gibt Themen, wie die Schulaufklärung, die liegen wiederum beim Bildungsministerium. Das heißt, hier sind tatsächlich viele Ministerien beteiligt, die von allen drei Koalitionspartnern besetzt sind. Dieser Prozess sollte zügig angegangen werden, aber das kann natürlich ein bisschen dauern, weil eben sehr viele Stakeholder einbezogen werden müssen. Auch aus der Zivilgesellschaft. Zudem muss teilweise eine Verständigung mit den Ländern erzielt werden, etwa bei der Schulaufklärung.

Foto: grundgesetzfueralle.de / all out

Dann haben wir Artikel 3 des Grundgesetzes, da brauchen wir die Zustimmung der CDU/CSU und des Bundesrates. Das Transsexuellengesetz kann der Bund alleine machen. Federführend ist dort auch das Justizministerium. Die daran anhängenden Themen, also gesetzliche Krankenversicherung und die Gesundheitsleistungen, liegen beim Gesundheitsministerium. ...

Entschuldige, dass ich Dich unterbreche. Aber liegen nicht sowohl von der FDP als auch den Grünen aus der letzten Legislatur, teilweise nicht mal ein Jahr alte Entwürfe für ein Selbstbestimmungsgesetz vor?

Also, bei Transrechten könnte man das tatsächlich so machen, weil sich die Gesetzentwürfe von FDP und Grünen nur geringfügig unterschieden haben. Allerdings ist dann die Frage, ob die SPD das in allen diesen Punkten auch so mitträgt oder noch eigene Ideen hat, deshalb kann das dauern. Ich hoffe dennoch, dass das zügig angegangen werden kann.

Butter bei die Fische bitte ...

Ich habe mit dem Justizminister noch nicht drüber gesprochen, aber eine gewisse Zuversicht, dass das eine oder andere jetzt sehr zügig auch in den Deutschen Bundestag eingebracht wird. Wir haben ja Verabredungen, wie beispielsweise bei Konversionsverfahren oder Hasskriminalität, wo wir exakt aufgeschrieben haben, was in welchem Paragraphen geändert werden soll. Das sind auch Dinge, die keine Rückwirkungen auf andere Themen haben und deshalb gibt es da Gesetze, die nicht allzu komplex sind.

Du hast noch einen Dir persönlich wichtigen Punkt ...

Die Außen- und Entwicklungspolitik nach 2013. Wir hatten in der CDU/CSU/ FDP-Regierungszeit sowohl mit Guido Westerwelle als auch mit Entwicklungsminister Niebel zwei Minister, die die LSBTI*-Dimension von Menschenrechtspolitik sehr ernst genommen haben. Teilweise auch bis hin zu angedrohten Sanktionen wie im Fall von Strafverschärfungen in Malawi und Uganda. Der dann folgende Entwicklungsminister von der CSU, Gerd Müller, hat dieses Thema aus meiner Sicht völlig von der Agenda genommen. Zumin- dest auf der Führungsebene. Es gab aber auch wieder ein stärkeres Engagement in den vergangenen Jahren, zumindest im Auswärtigen Amt. ...

„... eine internationale Führungsrolle einnehmen ...”

... Staatsminister Michael Roth von der SPD zum Beispiel ...

Ja. Man muss man aber sehen, dass die Einflussmöglichkeiten vor Ort etwas zu ändern in der Entwicklungspolitik größer sind als in der Außenpolitik. Ich glaube, es wird ein ganz wichtiger Punkt sein, wie die Entwicklungsministerin hier möglicherweise neue Schwerpunkte setzt. Das ist zwar kein Haus, das die FDP besetzt, aber das wäre etwas, was mir persönlich sehr wichtig wäre. Dass wir dort wieder nach vorne gehen und eine internationale Führungsrolle einnehmen.

*Interview: Christian Knuth

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