DER ISLAM UND DAS BAUCHGEFÜHL

by

© Foto: ck

Was hat sich der politisch interessierte Queere über das Bauchgefühl der Bundeskanzlerin aufgeregt, die mit einem schlechten solchen ihr Nein zum Adoptionsrecht für Homosexuelle begründete. Zu Recht! Mit dem gleichen Recht muss aber das diffuse Bauchgefühl gegen Muslime in Deutschland zurückgewiesen werden, das eine heute vorgestellte Studie der Bertelsmann-Stiftung belegt.

Die Studie, deren Veröffentlichung unabhängig von dem furchtbaren Anschlag von Paris für heute geplant war, zeigt auf, dass Deutschland ein Problem mit dem Islam hat, umgekehrt die hier lebenden Moslems aber kein Problem mit der freiheitlichen Grundordnung: 90 Prozent der Befragten stehen demnach hinter der Demokratie als Regierungsform. 60 Prozent der sich als ziemlich oder sehr religiös einschätzenden Befragten und rund 67 Prozent der wenig religiösen stimmen für die Homoehe*. Zum Vergleich: Der der Befragung zugrunde liegende Religionsmonitor der Stiftung hatte im vergangenen Jahr bei deutschen Katholiken nur 10 Prozent mehr und bei Protestanten 18 Prozent mehr Zustimmung in dieser Frage ergeben.

Wie kommt es dann, dass die Moslems in den Augen so vieler Szeneangehöriger bis hin zu intellektuellen und gebildeten Chefredakteuren von schwulen Männermagazinen tendenziell homofeindliche Islamisten sind? Warum ist es so schwer den durch die Studie belegten liberalen Islam zu sehen? Die Bertelsmann-Stiftung führt dies auf mangelnden Kontakt zurück. So habe derzeit nur ein Drittel der Bürger überhaupt Kontakte zu Muslimen; in Ostdeutschland hätte sogar nur jeder Zehnte Freizeitkontakte zu Muslimen. Diese Tatsache deckt sich mit den weiteren Ergebnissen der Studie nach der die Angst dort am stärksten ist, wo die wenigsten Muslime leben. In Nordrhein-Westfalen, wo ein Drittel von ihnen (den Muslimen A.d.R.) wohnt, fühlen sich 46 Prozent der Bürger bedroht. In Thüringen und Sachsen, wo kaum Muslime leben, äußern das 70 Prozent. Ein Erfahrungsmuster, das bis vor zehn Jahren übrigens so auch für Lesben und Schwule galt.

Am vergangenen Montag lud die türkische Gemeinde zu Berlin zu einer Kundgebung für eine offene, plurailstische Gesellschaft und gegen Fremdenhass und religiösen Extremismus vor dem Brandenburger Tor. Dort standen sie also: Die Frauen mit den Kopftüchern, die schnauzbärtigen Männer, die Linken, die Grünen und eben auch rund 150 queere Demonstranten mit ihren Regenbogenfahnen, die sich dem Aufruf von Enough-is-Enough zur Teilnahme angeschlossen hatten. Ja, es war ein erst seltsames Gefühl mit der Regenbogenfahne am Revier neben einem Kopftuchmädchen für Menschenrechte und gegen Extremismus zu demonstrieren. Aber dieses Gefühl verflog, als Redner auf dem Podium sexuelle Minderheiten aufzählten, wenn sie über eine offene Gesellschaft sprachen und die Frau mit Kopftuch ebenso applaudierte, wie der fahnenschwingende schwule Mann neben ihr.

Das Bauchgefühl gegenüber dem Islam wird viel zu oft aus schlechten Erfahrungen in großstädtischen sozialen Problembezirken und viel zu wenig aus den tagtäglichen positiven Erfahrungen beim Arzt, dem Döner- oder Zeitungsstand genährt. Es ist ein schlechter Ratgeber. Für die Kanzlerin wie für uns. Christian Knuth

*Nachtrag: Bezieht man die strengreligiösen Muslime mit ein, ergibt sich laut Bertelsmann eine Gesamtzustimmungsquote zur Homoehe von 48 Prozent, da unter diesen nur 40 Prozent für die Homoehe sind.

Der Autor dieses Artikels hat muslimische Freunde seit er denken kann. Einige davon sind überhaupt nicht religiös, andere moderate Moschee-Gänger. Alle verurteilen Hass und Gewalt, die meisten akzeptieren Homosexualität, andere tolerieren sie immerhin.

Internet: DIE STUDIE DER BERTELSMANN-STIFTUNG

Back to topbutton