EU-Ratspräsidentschaft: LGBTIQ* im Programm nicht erwähnt

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Foto: Susie Knoll

Seit gestern hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft inne. Im Vorfeld hatte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD) zum 51. Jahrestag der Stonewall-Aufstände gegenüber AFP gesagt, Deutschland werde sich „entschieden für Gleichberechtigung und Gleichstellung, insbesondere von LGBTI, einsetzen.“ Im nun vorliegenden Programm der Ratspräsidentschaft kommen Schwule, Lesben, Trans*, Intersexuelle, Bisexuelle oder auch nur das Wort Queer aber gar nicht vor. 

LGBTIQ* im Kreuzfeuer von Nationalisten, Fundamentalisten und Extremisten

Es rumort seit Monaten in der Regenbogencommunity: Was tut Deutschland, was tut die EU gegen die immer lauter werdenden Attacken auf queeres Leben in den Mitgliedstaaten. Gegen so offensichtliche Missachtung der EU-Grundwerte, wie das faktische Verbot bzw. die Leugnung von Transgeschlechtlichkeit in Ungarn? Gegen die Versuche das Vermitteln von wissenschaftlichen Fakten aktueller Sexual- und Geschlechterforschung aus Schulen zu verbannen? Die Einrichtung LGBTIQ*-freier Zonen in Polen

Als Staatsminister Roth nach dem diesbezüglich ohrenbetäubenden Schweigen seines Chefs Außenminister Heiko Maas beim Staatsbesuch in Polen Stellung bezog, keimte Hoffnung auf. Sie wurde am vergangenen Wochenende, als die LGBTIQ*-Bewegung auf der ganzen Welt den 51. Jahrestag der Stonewall-Aufstände in der New Yorker Christopher Street feierte, noch einmal verstärkt. Als Ratspräsident trage Deutschland nun „ganz besondere Verantwortung für unser Europa: 

„Hier ist kein Platz für Homophobie, Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus.“

Michael Roth 

Roth kritisierte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP „Nationalisten und Populisten, die Kampagnen organisieren gegen den vermeintlichen 'Gender-Wahn', die traditionelle Familien- und Rollenbilder propagieren und Vorurteile gegen sexuelle Minderheiten schüren."

Der harte Boden der Realität

Am 1. Juli begann nun die sechsmonatige Ratspräsidentschaft Deutschlands, seit dem 30. Juni ist das dazugehörige, fünzehnseitige Programm aus dem Auswärtigen Amt abrufbar. Deutschland unterstützt – das immerhin steht im Programm –  den Vorschlag der EU-Kommission für eine Verknüpfung von EU-Haushaltsmitteln mit der Einhaltung rechtsstaatlicher Standards in den Mitgliedstaaten. „Ein Europa der Sicherheit und der gemeinsamen Werte“ heißt der Schwerpunkt des Programmes, der für den von Roth angekündigten Einsatz prädestiniert wäre. Aber schon die Präambel lässt nicht viel Spielraum für queere Gedanken: 

„Wir wollen unsere europäische Rechts- und Wertegemeinschaft stärken. Dies setzt auch voraus, dass wir in enger Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern überzeugende Antworten auf zentrale Fragen im Bereich Sicherheit und auf Migrationsfragen finden. Europa muss ein Ort bleiben, in dem sich alle Menschen – gleich welcher Herkunft, Überzeugung oder Weltanschauung frei und sicher fühlen können. In der Asyl- und Migrationspolitik setzen wir uns für ambitionierte Reformen ein.“

Auf den drei Seiten geht es zu etwas unter einem Drittel um Sicherheitsfragen in und zwischen den EU-Ländern und im Internet, sowie den Kampf gegen islamistischen und rechtsextremen Terror. Ein weiteres üppiges Drittel befasst sich mit den zwar sachfremden, aber dennoch wie üblich zusammen behandelten Themen Migration und Flucht. Ein Drittel wird einleitend der Stärkung der Grundwerte und Grundrechte gewidmet. Aber auch hier keinerlei Sichtbarmachung von den Problemen sexueller und geschlechtlicher Minderheiten, sondern der allgemeine Verweis auf Rechtsstaatlichkeit als Grundvoraussetzung zum „Schutz unserer gemeinsamen Werte, individuellen Rechte und Freiheiten.“ 

„Wir werden uns während unserer Präsidentschaft daher umfassend für die Stärkung der Grundwerte und insbesondere für einen gemeinsamen, kooperativen und konstruktiven Umgang mit dem Thema Rechtsstaatlichkeit einsetzen. ...Wo es in Mitgliedstaaten rechtsstaatliche Defizite gibt, müssen die in den europäischen Verträgen vorgesehenen Mechanismen entschieden genutzt werden. Dies gilt sowohl für Verfahren nach Art. 7 EUV als auch für Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof.“

Im großen Kapitel „Ein gerechtes Europa“ wird der Gleichstellung und Gleichberechtigung von Mann und Frau ein eigener Unterabsatz eingeräumt und in einem weiteren schwammig über die „Förderung einer aktiven Zivilgesellschaft und des gesellschaftlichen Zusammenhalts“ durch unter anderem eine Zukunftskonferenz geschrieben. Auch in diesem Teil kein Wort zu Transgeschlechtlichkeit, erst recht keines zu queeren Lebenswelten, Regenbogenfamilien oder Diskriminierungsschutz für sexuelle Minderheiten. 

Ohne Taten sind Versprechen wertlos“

Das Programm zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft kann, wohlwollend interpretiert, als  ambitioniert gelesen werden. Es böte trotz Nichtbenennung und Unsichtbarmachung die Möglichkeit, die Situation von Queers in der EU strukturell zu verbessern. Die Erfahrungen mit der immer noch nicht ratifizierten EU-Antisdiskriminierungsrichtlinie, dem Umgang mit trans*-, schwulen- und lesbenfeindlichen Hasserbrechen oder dem fehlenden Gedenken an die Opfer des Paragrafen 175 im Bundestag, lassen aber Skepsis überwiegen.

Auf männer* Anfrage kommentiert Henny Engels aus dem Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) das Programm so:

Foto: Caro Kadatz

Angesichts des Versprechens, dass die Gleichstellung von LSBTI sogar ein Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft sein wird, ist es so ernüchternd wie skandalös, dass LSBTI im offiziellen Programm der Bundesregierung noch nicht einmal erwähnt werden. Ohne Taten sind Versprechen wertlos. Es sollte niemanden in der Bundesregierung wundern, dass wir nun umso misstrauischer gegenüber ihren Versprechungen sind. Gerade hat Familienministerin Giffey gelobt, die Verschärfung für Zwei-Mütter-Familien bis September gesetzlich zu verhindern, damit das Adoptionshilfe-Gesetz morgen im Bundesrat passieren kann. Wir bleiben daher bei unserem Appell, dass die Landesregierungen konsequent bleiben und den Vermittlungsausschuss anrufen!“

In sechs Monaten wissen wir, ob sich der medienwirksam zum Pride-Gedenktag angekündigte Einsatz für LGTBIQ* in einem Abschlussbericht ganz konkret ablesen lässt.

Hintergrund: Queere Forderungen an die Ratspräsidentschaft der EU

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