Überraschend fremdbestimmt: Gesetzentwurf zur geschlechtlichen Selbstbestimmung

Die Bundesregierung hat sich auf einen Referentenentwurf zum Selbstbestimmungsgesetz geeinigt. Ohne Not scheint er schon vor dem parlamentarischen Prozess vorauseilend Zugeständnisse an radikale Feministinnen (TERF) und Vielfaltsleugner zu enthalten.

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Nach der am Samstag bekanntgewordenen Einigung auf einen Referentenentwurf zum Selbstbestimmungsgesetz zeigen sich die beiden verantwortlichen Regierungsmitglieder, Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), zufrieden. Paus erklärte am Sonntag gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, das neue Gesetz solle „endlich die Würde der Betroffenen“ berücksichtigen.

Erwartet: Geschlechtseintrag wird Verwaltungsakt statt Psychoterror

Am Samstag war bekannt geworden, dass sich die Regierung über noch offene Fragen für die geplante vereinfachte Änderung von amtlichem Geschlechtseintrag und Vornamen verständigt hatte. Demnach sollen Trans-, intergeschlechtliche und nicht binäre Menschen nur noch eine einfache Selbstauskunft beim Standesamt abgeben müssen, wenn sie den Vornamen oder den Geschlechtseintrag im Personenstandsregister ändern wollen. Bisher müssen Betroffene für eine Änderung der Einträge zwei psychologische Gutachten einreichen. Dann entscheidet das zuständige Amtsgericht.  

Buschmann erklärte gegenüber AFP, das Selbstbestimmungsgesetz werde „das große Versprechen einlösen, das wir im Koalitionsvertrag gegeben haben: Das Gesetz wird es trans-, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen erleichtern, ihren Geschlechtseintrag beim Standesamt ändern zu lassen.“ Die Einigung zwischen dem Familien- und dem Justizministerium sieht einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge unter anderem vor, dass eine Geschlechtsänderung im Personenstandsregister bei Minderjährigen unter 14 Jahren nur von den Sorgeberechtigten beantragt werden können soll. Bei Jugendlichen ab 14 und einem Konflikt mit den Eltern soll demnach ein Gericht entscheiden, wenn das Kindeswohl gefährdet ist. Soweit decken sich die Pläne des Entwurfs mit den im Juni 2022 vorgestellten Eckpunkten für das Vorhaben. 

Neu: Bedenkzeit und TERF-Passus?

Wie ebenfalls angekündigt und in anderen Ländern bewährt, soll eine erneute Änderung des Geschlechtseintrags frühestens nach einem Jahr möglich sein. Laut „SZ“ ist jetzt aber überraschend eine Bedenkzeit bei Antragstellung hinzugekommen. Erst drei Monate nach dem Antrag auf Geschlechtseintragsänderung beim Standesamt soll die Entscheidung tatsächlich wirksam werden. Zudem wurde dem Bericht nach zusätzlich ein Passus zur Präsenz von transgeschlechtlichen Personen in geschützten Frauenräumen eingefügt. Dort soll unabhängig vom Geschlechtseintrag im Pass wie bisher das Hausrecht gelten. 

Sowohl an der Bedenkzeit, als auch an der bisher nur schwammig formulierten Hausrecht-Klausel regte sich noch am Wochenende – und pikanterweise sogar davor – Kritik. Frank Laubenburg und Daniel Bache, Bundessprecher von DIE LINKE.queer, sowie Maja Tegeler, Mitglied des Parteivorstands von DIE LINKE und der Bremer Bürgerschaft der Bundesregierung eine „nicht nachvollziehbare Verzögerungstaktik bei der Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes" vor. Noch im Januar hatte Lisa Paus eine Verabschiedung des Gesetzes für vor der Sommerpause des Bundestages in Aussicht gestellt. DIE LINKE.queer fordert die Ampel-Parteien in ihrer Pressemitteilung daher auf, „zeitnah ein vollumfängliches Konzept für geschlechtliche Selbstbestimmung vorzulegen – inklusive Zeitplan zur Umsetzung". Auch ohne einen konkreten Gesetzesentwurf sei aber klar, 

„dass die geplante dreimonatige Wartezeit zur Änderung des Geschlechtseintrags eine Schikane von trans, inter und nicht-binären Personen darstellt, die inakzeptabel ist. Die Bundesregierung lässt sich hier offfenbar von seit langem gehegten Vorurteilen gegen die geschlechtliche Identität und sexuelle Orientierung queerer Menschen leiten („ist vielleicht ja nur eine Phase“, „überleg Dir das gut“, „das denkst Du nur im Moment wegen Deiner schlechten Erfahrungen“). Für das Recht auf Selbstbestimmung gibt es keine Wartezeit."

Foto: Christoph Soeder / AFP

Kritik übten die queeren Linken auch am auffälligen Schweigen des Queerbeauftragten der Bundesregierung, Sven Lehmann: 

„DIE LINKE.queer fordert den Queer-Beauftragten der Bundesregierung auf voranzugehen und offensiv für weitreichende Regelungen, die er wiederholt selbst versprochen hat, einzutreten. Dass Sven Lehmann sich in der Sache derzeit betont zurückhaltend gibt, entwertet sein Amt. Ein Queerbeauftragter hat die Interessen der communities offensiv zu vertreten, über ausreichend Pressesprecher verfügen Regierung und Ministerien bereits."

Schwule Juristen verweisen auf Karlsruhe

Pikanterweise auf ihrem Frühjahrstreffen „Sexuelle Identität und Recht“ (18.+19.3.) verfasste die Bundesarbeitsgemeinschaft Schwuler Juristen (BASJ) laut eigenen Angaben einen Brandbrief an die beiden zuständigen Regierungsmitglieder. Darin heißt es unter anderem: 

„Die vorgetragenen Bedenken im Zusammenhang mit Schutzräumen sind angesichts der funktionierenden Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes unbegründet. {...} Zusätzliche Hürden oder Einschränkungen im Selbstbestimmungsgesetz sind nicht geeignet, Ängste und Misstrauen abzubauen, sondern könnten diese vielmehr noch weiter schüren. Insbesondere darf den Betroffenen Ihr Geschlecht nicht für bestimmte Bereiche abgesprochen werden."

Zudem sei bereits 2011 höchstrichterlich entschieden worden, dass eine Fremdbeurteilung der geschlechtlichen Identität nur nach Augenschein unzulässig sei: 

„Das Bundesverfassungsgericht hat damals festgestellt, dass das Geschlecht nicht am Grad der Anpassung seiner äußeren Geschlechtsmerkmale mittels operativer Eingriffe zu messen ist, sondern daran, wie konsequent Betroffene in ihrem Geschlecht leben und sich in ihm angekommen fühlen (Rn. 71). Das bedeutet, der Geschlechtseintrag soll gerade ermöglichen, unabhängig vom äußeren Erscheinungsbild ein Leben im richtigen Geschlecht leben zu können."

Regierung verteidigt sich und will liefern

Justizminister Buschmann kündigte an, dass der Öffentlichkeit aller Voraussicht nach schon „sehr bald“ ein fertiger Gesetzentwurf vorgestellt werden könne. „Vom Selbstbestimmungsgesetz profitieren werden alle, deren Geschlechtsidentität abweicht von dem Geschlechtseintrag, der im Personenstandsregister für sie eingetragen ist“, sagte der Justizminister AFP.  Zugleich sei es wichtig, dass das Gesetz „die legitimen Interessen der gesamten Gesellschaft“ in den Blick nehmen solle.

„Hausrecht und Vertragsfreiheit müssen deshalb gewahrt bleiben; Möglichkeiten des Missbrauchs – und seien sie noch so fernliegend – müssen ausgeschlossen sein.“ 

Familienministerin Paus bekräftigte ihren strammen Zeitplan und gab an, dass die Ressortabstimmung des Gesetzesentwurfs noch vor Ostern starten solle. Danach solle es zügig in die Verbändeanhörung gehen. „Dann liegt es am Bundestag, das Selbstbestimmungsgesetz zu beraten und zu beschließen.“ Auch der queerpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Jan Plobner, sagte AFP: „Wir begrüßen als SPD-Fraktion ausdrücklich, dass es mit dem Selbstbestimmungsgesetz jetzt endlich vorangeht.“ Menschenunwürdige Verfahren bei der Änderung eines einfachen Geschlechtseintrages müssten „und werden bald der Vergangenheit angehören.“ *ck/AFP/smb/bk


Update 28. März 2023

SPDqueer übt scharfe Kritik

Foto: Paul Schimweg

In einer ausführlichen Stellungnahme der SPDqueer zum aktuellen Stand des Selbstbestimmungsgesetzes wird deutlich, dass nicht nur Vertreter*innen von Transverbänden und weite Teile der LGBTIQ-Community über die durchgesickerten Änderungen bzw. Ergänzungen gegenüber dem Eckpunkteplan überrascht worden sind. Die queere Parteigliederung der Sozialdemokraten greift Bundesjustizminister Marco Buschmann scharf an und wirft ihm vor, das Kernziel des Selbstbestimmungsgesetzes, die Herstellung von Würde für Trans und den Abbau von Hürden zur gesellschaftlichen Teilhabe aus „Angst vor Gegenwind auszuhöhlen.“

Noch eine Hürde für Jugendliche?

Außerdem ist aus der Mitteilung zu entnehmen, dass im immer noch nicht vollständig vorliegenden Referentenentwurf wohl weitere vom ursprünglichen Ziel abweichende Hürden für Jugendliche ab 14 Jahren enthalten sind: 

Foto: Paul Schimweg

„Dass echte Selbstbestimmung bei der Änderungen eines einfachen Geschlechtseintrags erst Menschen über 18 Jahren zusteht und vor dem endgültigen Inkrafttreten der Änderung eine Bedenkzeit enthalten sein soll – wo Betroffene doch jahrelang nachdenken, bevor sie einen solchen Schritt gehen – ist für uns als SPDqueer nicht akzeptabel.“

Carola Ebhardt, SPDqueer-Co-Bundesvorsitzende

Die SPDqueer sieht durch „die monatelange Verzögerung eines Gesetzentwurfs, irritierende Interviews des Bundesjustizministers und halbgare Kompromisse“ eine „massive Verunsicherung bei trans* Menschen“ und kommentiert: 

„Dass dagegen der Beifall von Gegner*innen eines Selbstbestimmungsrechts sehr groß war, sollte zeigen, dass die eingeschlagene Richtung verkehrt ist. Es ist jetzt an der Zeit, den längst überfälligen und seit Monaten von Familien- und Justizministerium verschleppten Entwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz endlich vorzulegen und ins Parlament zu geben. Dabei darf der Inhalt nicht aufgrund von Parteipolitik auf dem Rücken der Betroffenen ausgehöhlt werden."

Geschlechtliche Selbstbestimmung Thema auf Koalitionsklausur?

Die Koalitionäre stecken aktuell ihre Köpfe im zweiten Teil einer Krisenklausur zusammen. Neben dem mutmaßlich Foul gegen Robert Habeck und die Klimapläne der Koalition, sollen inhaltlich dort auch „Weichen für gesellschaftliche Modernisierungsprojekte" gestellt werden. Ob dazu auch das Selbstbestimmungsgesetz gehört, ist derzeit nicht bekannt. *ck

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