IDAHOBIT: LSVD fordert, Buschmann will liefern

Die Bundesregierung will sexuelle und geschlechtliche Minderheiten besser gegen Diskriminierung schützen. Und geht indirekt auf die erste von fünf Forderungen des LSVD zum Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Trans- und Interfeindlichkeit ein.

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Die neue Bundesregierung hat für die Legislatur einen queerpolitischen Aufbruch versprochen. Dieser muss laut Pressemitteilung des LSVD nun endlich an Fahrt aufnehmen. Mit den im Koalitionsvertrag vereinbarten zentralen Vorhaben für eine spürbare Verbesserung der Rechte von LGBTIQ* müsse nun zügig begonnen werden, so der Menschenrechtsverband. Wir dokumentieren die Forderungen: 

1. Fachkommission gegen lsbti-feindliche Hasskriminalität und Nationalen Aktionsplan starten

Tagtäglich werden in Deutschland Menschen angepöbelt, bedroht und angegriffen, weil die Täter*innen ihren Hass auf LSBTI in Gewalt ausleben. Im vergangenen Jahr wurden von den Behörden über 1.000 LSBTI-feindliche Taten registriert. Das sind drei Fälle jeden Tag und mehr als doppelt so viel wie im Jahr zuvor. Und die Dunkelziffer dürfte beim Vielfachen davon liegen. Innenministerin Faeser muss LSBTI-feindliche Hasskriminalität auf die innenpolitische Agenda setzen und die von der Innenminister*innenkonferenz geforderte unabhängige Fachkommission unverzüglich einsetzen. Der erste Bericht mit konkreten Handlungsempfehlungen soll bereits für die Herbstkonferenz vorliegen. Doch bislang ist noch nichts passiert!

Der LSVD setzt große Hoffnungen in den von der Bundesregierung vereinbarten ressortübergreifenden und finanziell unterlegten Nationalen Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Der Queerbeauftragte Lehmann hat den Startschuss für diesen Sommer angekündigt. Ein wirksamer, nachhaltiger und auf die Zukunft gerichteter Aktionsplan muss in enger Abstimmung zwischen den Ministerien und der Community erarbeitet werden. Wichtig ist zudem, dass Maßnahmen zur Bekämpfung von LSBTI-Feindlichkeit nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit der Prävention und Bekämpfung anderer Erscheinungsformen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit angegangen werden. Das eröffnet eine intersektionale Perspektive, die der Vielfalt von LSBTI Rechnung trägt und auch Mehrfachdiskriminierungen in den Blick nimmt. Notwendig sind konkrete Maßnahmen, eindeutige Zielvereinbarungen und belastbare Selbstverpflichtungen.

2. Effektives Demokratiefördergesetz

Die offene Gesellschaft braucht offensive Vorwärtsverteidigung, ein ständiges Bemühen, Menschen für eine Kultur des Respekts zu gewinnen. Der LSVD unterstützt das geplante Demokratiefördergesetz und erwartet, dass sich dort die im Koalitionsvertrag bei der Bekämpfung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit vereinbarten wichtigen Schwerpunkte wiederfinden. Hierzu gehören die Arbeit gegen Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus, Muslimfeindlichkeit, Frauenhass und Queerfeindlichkeit sowie Angriffe gegen Geflüchtete und Engagierte.

Ein erstes Diskussionspapier bleibt jedoch bei den Themen Empowerment, Intersektionalität und Stärkung der Beratung für Betroffene von Hasskriminalität noch deutlich hinter den Erwartungen zurück. Für ein effektives Demokratiefördergesetz müssen das Empowerment marginalisierter Gruppen und die Förderung intersektional arbeitender Projekte als klare Gesetzesziele formuliert werden. Zudem müssen bestehende, erfolgreich arbeitende Strukturen zur Förderung von Demokratie und Akzeptanz vielfältiger Lebensweisen langfristig abgesichert werden.

3. Absicherung von Regenbogenfamilien im Abstammungsrecht

Regenbogenfamilien warten seit vielen Jahren auf eine rechtliche Gleichstellung. Fast fünf Jahre nach der #EheFürAlle und über zwei Jahre nach Einführung des dritten Geschlechtseintrags „divers“ fehlt es nun aber noch immer an den erforderlichen rechtlichen Reformen im Familien- und Abstammungsrecht. Wir fordern die gesellschaftliche Anerkennung und rechtliche Absicherung der Vielfalt an gelebten Familienformen wie Zwei-Mütter-Familien, Zwei-Väter-Familien, Mehrelternfamilien oder Familien mit trans- und intergeschlechtlichen Eltern.

Justizminister Dr. Marco Buschmann hat angekündigt, dass die im Koalitionsvertrag verabredete umfangreiche Reform im Abstammungs- und Familienrecht im Herbst 2023 im Kabinett der Bundesregierung verabschiedet wird. Die Reform soll in zwei Schritten erfolgen: eine Interimsreform soll die drängendsten Probleme lösen, bevor in einem weiteren Reformschritt eine grundlegende Neuordnung familienrechtlicher Beziehungen erfolgt. Am vergangenen Donnerstag versprach er, in einem schnellen ersten Schritt „möglichst viel Ungleichbehandlung zu vermeiden“ und „bei den etwas unproblematischeren Fällen jetzt sehr schnell das Abstammungsrecht anpassen“. Dieser erste Schritt muss das Ende der unsäglichen Stiefkindadoptionen bedeuten! Der LSVD fordert für alle Fragen, die einer kurzfristigen Lösung zugänglich sind, umgehend neue Regelungen zur gesellschaftlichen Anerkennung und rechtliche Absicherung der Vielfalt an gelebten Familienformen.

In einem weiteren Reformschritt können dann Themen verhandelt werden, die einer intensiven Diskussion bedürfen, wie etwa die Entwicklung von Elternschaftsvereinbarungen für Mehrelternfamilien, in denen die Väter gerade keine Samenspender sein wollen, sondern soziale und rechtliche Elternteile, die Einführung von Verantwortungsgemeinschaften und die Regulierung in anderen verwandten Rechtsgebieten, wie die Entscheidung über die Regulierung von Eizellenspende und Leihmutterschaft.

4. Selbstbestimmter Geschlechtseintrag für trans- und intergeschlechtliche Menschen

Trans*- und intergeschlechtlichen sowie nichtbinären Menschen wird in Deutschland Selbstbestimmung immer noch massiv erschwert. In einer demokratischen Gesellschaft muss Grundlage staatlichen Handelns der Schutz der persönlichen Freiheit sein und nicht ideologisch aufgeladene Ordnungsvorstellungen über Geschlechtszugehörigkeit. Der Kampf um Selbstbestimmung für nichtbinäre, trans*- und intergeschlechtliche Menschen ist die konsequente Fortsetzung feministischer, emanzipatorischer und der Freiheit verpflichteter bürgerrechtlicher Politik. Deshalb setzen wir uns mit Nachdruck für ein echtes Selbstbestimmungsgesetz ein. Das ist seit Jahrzehnten überfällig. Die Änderung des Geschlechtseintrags im Personenstandsrecht darf nicht länger an demütigende und langwierige Fremdbegutachtungen geknüpft sein. Die Verwirklichung der Menschenrechte für nichtbinäre, trans*- und intergeschlechtliche Menschen duldet keinen Aufschub.

5. Rechte queerer Geflüchteter sicherstellen

In vielen Staaten ist die Menschenrechtssituation für LSBTI grausam. Einige wenige schaffen es, vor Unterdrückung, Gewalt, Folter und Todesdrohung zu uns flüchten. Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) scheint es weiterhin ein großes Anliegen zu sein, LSBTI in Verfolgerstaaten abschieben zu können. Prognoseentscheidungen über das Verhalten queerer Schutzsuchender im Heimatland oder die Aufforderung, sich dort „diskret“ zu verhalten, sind unzulässig und verstoßen gegen die bereits seit 2013 bestehende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Trotzdem findet das sogenannte „Diskretionsgebot“ weiterhin Anwendung in der Bescheidungspraxis des BAMF. Dem muss Innenministerin Faeser endlich Einhalt gebieten und für faire, rechtskonforme Asylentscheidungen Sorge tragen. Die Richtlinien des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) müssen entsprechend und zügig angepasst werden, damit die offensichtlich rechtswidrigen Verhaltensprognosen bei queeren Geflüchteten endlich ein Ende haben.

Die Aufnahme queerer Menschen aus Afghanistan muss energisch vorangetrieben werden. Die Zusagen der Bundesregierung bezüglich der Aufnahme gefährdeter Afghan*innen dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Außenministerin Baerbock muss endlich ihre Blockadehaltung aufgeben und eine klare Zusage zur Aufnahme gefährdeter LSBTI aus Afghanistan geben. Jeder Tag des Wartens bringt die betroffenen Personen weiter in Gefahr. Ausdrücklich begrüßen wir die Bemühungen der Bundesregierung, die Einreise und die Aufnahme von Personen aus der Ukraine möglichst unbürokratisch zu gestalten. In Deutschland angekommen, ist es wichtig, dass aus der Ukraine geflüchtete LSBTI bedarfsgerechte Beratung und Unterstützung erhalten. Die Verteilung der Geflüchteten muss sich daher auch nach diesen Kriterien richten. Bei der unbürokratischen Aufnahme Geflüchteter aus der Ukraine fordern wir die Bundesregierung überdies auf, sich dafür einzusetzen, dass auch möglichst vielen Drittstaatler*innen ein Aufenthaltsstatus nach § 24 Aufenthaltsgesetz zuteil wird und sie nicht in klassische Asylverfahren samt Unterbringung in Sammelunterkünften gedrängt werden. Viele dieser Drittstaatler*innen sind LSBTI aus Verfolgerstaaten, die ebenso wie Ukrainer*innen Schutz bedürfen.

Justizminister Buschmann will liefern 

Die Bundesregierung will sexuelle und geschlechtliche Minderheiten besser gegen Diskriminierung schützen. Anlässlich des Internationalen Tags gegen Homo-, Bi-, Trans- und Interfeindlichkeit am Dienstag bekräftigte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) die Vorhaben der Koalition in diesem Bereich:

Die Ampel-Koalition werde ein ausdrückliches Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Identität ins Grundgesetz aufnehmen, erklärte er am Montag.  Zudem sollen demnach Straftaten, die sich gegen die sexuelle Orientierung oder die geschlechtliche Identität von Menschen richten, schärfer bestraft werden können. Derartige Motive sollten „ausdrücklich als Grund für eine Strafverschärfung in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden“, erklärte Buschmann.  Die Polizei solle zudem geschlechtsspezifische und gegen die sexuelle Orientierung gerichtete Straftaten bundesweit einheitlich erfassen, kündigte der Justizminister an. Dadurch solle das Ausmaß solcher Vergehen besser sichtbar gemacht werden, „um wirksamer dagegen vorgehen zu können“. 

Foto: John MacDougall / AFP

„Anfeindungen, Übergriffe und Straftaten gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen sind bittere Realität. Das Versprechen von Freiheit und Sicherheit muss für alle Menschen gelten.“ 

Marco Buschmann

Der kommissarische Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Bernhard Franke, machte sich für eine Verlängerung der Antragsfrist für Opfer des Strafrechtsparagrafen 175 stark, unter dem bis in die 1960-er Jahre homosexuelle Männer wegen einvernehmlicher Geschlechtskontakte verurteilt worden waren. Die Verurteilten haben inzwischen Anrecht auf eine Entschädigung - nach bisherigem Stand läuft die Antragsfrist allerdings am 21. Juli aus.  Verurteilte können eine Entschädigung von 3000 Euro je aufgehobener Verurteilung plus 1500 Euro je angefangenem Jahr in Haft beantragen.

„Auch wenn es vermutlich nur noch um sehr wenige Menschen geht und auch wenn die Entschädigungssummen klein sind: Die Menschen haben darauf einen Anspruch“, 

erklärte Franke.  Im Jahr 2017 hatte der Bundestag alle strafrechtlichen Urteile nach Paragraf 175 aufgehoben und die Betroffenen rehabilitiert. 

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