#Interview • Genderdebatte: Wenn Feminismus die hässliche Schwester von Rassismus wird

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Identitätspolitik scheint im beginnenden Bundestagswahlkampf den Dauerbrenner Masseneinwanderung auf die Plätze zu verweisen. Wer Frau Wagenknecht, Wolfgang Thierse, FAZ und Bild oder eben Frau Weidel und den TERFs (Trans-Exclusionary Radical Feminists) beim diesjährigen Lesbenfrühlingstreffen genau zuhörte, erkennt in der Genderdebatte und beim Thema trans* Inklusion Zusammenhänge und diskursive Mechanismen, die auf den gleichen ideologischen Stammbaum zurücklaufen: Das Patriachat und seine Machtstruktur, die auf Unterdrückung marginalisierter Geschlechter ruht. Ein Gespräch mit Femi-CIS-mus Blogger*in &Claudia//Mine Wenzel.

Wie bist du auf die Idee gekommen, auf Instagram die Reihe „Femi - CIS - mus - Sexismus- und Misogynieerfahrungen aus nicht-cis Perspektive“ zu machen?

Die Wortschöpfung Femi-CIS-mus ist natürlich kein offizieller Begriff, sondern eine Beschreibung, die versucht, feministische Räume in Worte zu fassen. Viele trans*, inter und nicht-binäre Menschen kennen feministische Gruppen, die eigentlich nur Arbeit für endoI cis Frauen machen. Das führt zu vielen Frustrationsmomenten, die ich von mir persönlich und anderen Aktivist*innen kenne, die immer wieder dieselben Dinge beschreiben: Man bekommt das Gefühl, dass man immer mehr als die anderen arbeiten muss, bis die eigene Perspektive anerkannt wird. Das liegt daran, dass aktivistische Räume vor allem von denjenigen geprägt sind, die näher an einer gesellschaftlichen Norm dran sind. Je weiter ich mich von dieser Norm wegbewege, desto länger dauert es, bis diese Perspektive ins Gespräch gebracht wird. Als trans* und nicht-binäre Person erlebe ich häufig, wie Feminismus als Kampf um Geschlechtergerechtigkeit zuallererst aus einer weißen cis-weiblichen Perspektive geführt wird. Konkret habe ich die Serie Mitte März angefangen, weil mal wieder am 8. März darüber diskutiert worden ist, wie man den Tag nennt. Diese Frage ist seit zehn Jahren geklärt.

Ein Sternchen hinter Frauen macht Frauen nicht inklusiver.

Trans* Männer, inter und nicht-binäre Personen fallen aus dem Begriff heraus. Ich muss zum fünfzigsten Mal das Gleiche sagen und es werden wieder die gleichen Leute fragen: Was ist daran verkehrt? Was mache ich stattdessen?

Zusätzlich zu dem elendigen Thema des Namens hat mich die Demo zum feministischen Kampftag in Berlin zur Serie inspiriert: Letztes Jahr haben trans* Sexarbeiter*innen die unangenehme Erfahrung gemacht, dass sie vom „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“ Terre de Femmes zur Demo eingeladen worden sind. Die Bewegung ist offen trans*feindlich und das schreiben sie auch offen in ihrem Manifest. Auf der Demo haben sie sich diskriminierend gegenüber trans* Personen und People of Color (PoC)III verhalten. Das damalige Demo-Bündnis versicherte erst nach einem öffentlichen Outcall, dass Terre de Femmes nie wieder Teil des Bündnisses sein wird. In diesem Jahr war Terre de Femmes jedoch wieder Teil des Bündnisses! Man reflektiert nicht, ob eine feministische Gruppe trans*feindlich ist, sondern denkt sich, weil da Feminismus draufsteht, ist das schon in Ordnung.

Zusätzlich zu diesem Fiasko hat mich noch der Umgang mit der Gruppe Trans*Fläche zu der Serie bewegt. Trans*Fläche ist eine Gruppe aus trans* Personen, die sichere und selbstbestimmte Orte für trans* Personen fordern und deshalb ein Haus besetzt hatten. Dieses Jahr haben sie ein ZineIV veröffentlicht, das durch linke Kreise in den sozialen Medien gegangen ist. Das Zine ist stellenweise kritisch zu lesen und einzelne Texte darin sind debattierbar. Die Gruppe hat jedoch selbst gesagt, dass sie keine fachliche Abhandlung schreiben, sondern ihren eigenen Marginalisierungserfahrungen emotional und affektiv Luft machen. Im Zuge dessen haben sich Antifa-Gruppen und TERFs zusammengetan und in den sozialen Medien gegen die Trans*Fläche-Gruppe gehetzt und das Zine verrissen. Dabei haben sie sich mit trans*feindlichen, teilweise rechtspopulistischen Aussagen gegenseitig übertroffen, sodass selbst linke Gruppen von Nazis nicht mehr unterscheidbar waren. In einem breiteren feministischen Kontext waren diese Angriffe jedoch kein Thema: Es gab nur wenige Bündnisse, die Solidarität gezeigt haben. Gleichzeitig sind am selben Tag das Haus der Trans*Fläche geräumt und die Leute in Polizeigewahrsam genommen worden. So sieht trans* Solidarität aus: Sprich, sie ist nicht vorhanden. Diese Momente sind der Grund, warum ich mich entschied, auf Instagram die Beitragsreihe zu starten.


Kannst du erklären, warum Feminismus nicht nur den endo cis Frauen gehört? Warum sind trans*, inter und nicht-binäre Personen kein extra Thema, sondern gehören zum Fundament von Feminismus?

Ich bin immer wieder überrascht, wie solche eigentlich augenscheinlichen Tatsachen vergessen werden, dass mensch sagt: Hey, wir reden jetzt über Geschlechtergerechtigkeit, aber im nächsten Beitrag geht es explizit um FrauenTM. Meist wird sich auf reproduktive Gerechtigkeit zurückgezogen und damit die Konzentration auf endo cis Frauen begründet. Doch es ist kein Frauenthema und diesen Umstand zu bemerken, ist kein Hexenwerk. Es ist offensichtlich, dass nicht nur Frauen einen Uterus besitzen. Aber alle Menschen mit Reproduktionsorganen brauchen feministische Emanzipation:

Bis 2011 waren beispielsweise Zwangssterilisationen für trans* Personen noch gesetzlich verpflichtend, wenn sie rechtlich anerkannt werden wollten. Die Zugänge zu reproduktiver Medizin werden für trans* Männlichkeiten und nicht-binäre Personen bis heute heftig beschnitten. Inter Personen werden regelmäßig bei nicht-konsensuellen Operationen sterilisiert. Der Zugang zu solch Sachen wie die Konservierung von Samen und Eizellen ist für trans* Personen eingeschränkt. Das sind alles Themen, die ebenso mit reproduktiven Rechten zu tun haben. Wenn man sich mit so einem Thema auseinandersetzt, wie es Feministinnen tun, dürfte es mensch eigentlich nicht schwerfallen, diese Problemfelder zu bemerken.

Doch aufgrund der eigenen Scheuklappen, die durch bestimmte Privilegien aufgesetzt werden, fällt so was leider nicht auf. Was ich dabei besonders bemerke, ist, dass Feminismus nicht als Mittel für eine ganzheitliche Bewegung für soziale Gerechtigkeit begriffen wird.

„Das ist eine schön klingende Entschuldigung für privilegierte Fragilität“

Feminismus ist wie Antirassismus oder Antifaschismus ein Werkzeug neben vielen, um soziale Gerechtigkeit zu erreichen. Wenn ich versuche, mich mit Themen der sozialen Gerechtigkeit auseinanderzusetzen, muss ich Kategorien wie Klasse oder race mitdenken. So was kommt leider häufig zu kurz. Dann wird gesagt: Im Feminismus kümmern wir uns nur um Geschlechterverhältnisse. Dabei wird nicht mitgedacht, dass zum Beispiel die Erfahrung, die ich aufgrund eines klassistischen Ausschlusses mache, sich genauso auf die geschlechterspezifische Diskriminierung, die ich erlebe, auswirkt. Diese Kämpfe lassen sich nicht trennen.

Der Mainstream-Feminismus arbeitet mit einer universellen Vorstellung einer Frau, ohne festzustellen, dass es die eine weibliche Perspektive gar nicht gibt, sondern die behauptete universelle Perspektive vor allem die Perspektive von privilegierten weißen Frauen ist. Arme Menschen, Menschen mit Behinderung oder nicht-weiße Menschen erleben andere soziale Ausschlüsse und benötigen dementsprechend andere feministische Strategien.

Mainstream-Feminismus vergisst trans* Themen und will lieber einen getrennten trans* Aktivismus. Doch TERFs, also Trans-Exclusionary Radical Feminists, legen ihren ganzen Fokus auf trans* Personen und ihre Auslöschung. Wie kommt man auf so eine Verdrehung der Gefahrenlage, wenn man sich diese ganze sexistische Welt ansieht?

Na ja, wie mensch auf diese Verdrehung der Gefahrenlage kommt, frage ich mich tatsächlich auch. Häufig heißt es, dass Frauen in einem feministischen Kampf etwas erkämpft hätten und jetzt Sorge haben, dass sie durch andere Perspektiven etwas abtreten müssten. Das ist eine schön klingende Entschuldigung für privilegierte Fragilität. Der Mechanismus ist ähnlich, wie wenn weiße Menschen Abwehrreflexe gegenüber antirassistischen Bestrebungen verspüren. Entweder nutzt du dein Privileg, um mich zu beteiligen, oder du trittst es ab. Ich als weiße Person kenne diesen Reflex sehr gut, mich in die Abwehr zu flüchten und zu sagen: Aber ich bin noch eine von den Guten. Ich sehe eine ähnliche Dynamik, wenn Feministinnen versuchen, ihren Feminismus gegen neu erstarkende Perspektive zu verteidigen. Diese Perspektiven wirken neuartig, jedoch waren sie schon immer Teil feministischer Bestrebungen. Sie wurden aktiv kleingehalten und marginalisiert, um sie aus sozialen Bewegungen herauszudrücken.

Der Versuch der Unsichtbarmachung ist nicht neu.

Es ist die alte Leier von privilegierten Personen, die sich relativ nah der gesellschaftlichen Mitte befinden und versuchen, das bisschen, das sie sich erkämpft haben, und vor allem ihre gesellschaftlich privilegierte Position zu verteidigen. Gesellschaftliche Veränderung und Bekämpfung von Privilegien funktionieren am Ende nur, wenn ich bestimmte Privilegien anfange zu teilen. Damit ist ein Status quo nicht aufrechtzuerhalten. Die Abwehr ist durchaus verständlich, weil die privilegierte Position bedroht wird.


Was ich gefährlich finde, ist, dass dieser Verteidigungsreflex nicht aufgrund einer vergangenen feministischen Bewegungserfahrung ausgelöst wird, sondern dass darin aktiv Trans*Feindlichkeit mitschwingt. Dieser Hass ist verwurzelt in Texten wie „The Transsexuell Empire“ von Janice Raymond. Diese Ideen und Bewegungen verfolgen das Ziel, trans* Menschen aus der Gesellschaft auszuschließen. In Form von Psycho-Pathologisierung und von psychiatrischen Einweisungen soll Trans*Geschlechtlichkeit aus der Gesellschaft verbannt werden. Diese Logik basiert auf Behindertenfeindlichkeit und führt schlussendlich zu Euthanasie. Es wird argumentiert, dass trans* Menschen den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden. Dabei klingen Gedankenfiguren an, wie die sogenannte Trans*Ideologie sei gefährlich für unsere Kinder und für unsere Frauen. Diese Argumentationslinie kennen wir: Da kommen die bösen Invasor*innen, die unseren gesellschaftlichen Zusammenhang gefährden und versuchen, sich in unsere Räume einzuschleichen und uns zu korrumpieren. Diese Narrative sind sehr alt und finden sich in antisemitischen oder rassistischen Verschwörungstheorien wieder. Diese Menschen bemerken nicht, wie tief ihre Trans*Feindlichkeit reicht.

Es geht nicht darum, sich für Frauen stark zu machen, sondern marginalisierten Personen das Leben unmöglich zu machen. Das sind aktive Auslöschungsversuche und das ist brandgefährlich.

Mich erinnert die Rhetorik von „Frauen schützen“ sehr stark an Nazi-Argumentationen zum Schutze der weißen blonden Frau als Bild der Unschuld und Vertreterin des Volkes.

Absolut. TERFs sind mit ihren Forderungen und ihrer Rhetorik Steigbügelhalter von neuen völkischen Bewegungen wie AfD und Pegida. Rechte sagen: Wir wollen unsere weißen Frauen und unser Vaterland beschützen. Die Frau steht als Figur für das Behüten und Aufziehen von Kindern und sichert somit die nationalistisch-kapitalistische Reproduktion für eine funktionierende und verwertbare Gesellschaft. Einher geht mit diesem Bild die Angst von Invasoren, welche in der Regel nicht-weiße Menschen darstellen.

„Feminismus ist eine Bewegung, die aus mehreren Perspektiven besteht.“

Diese Argumentationsstruktur wird auf alle trans* Personen übergestülpt, insbesondere auf Trans*Weiblichkeiten. Marginalisierte Gruppen werden immer dann als Feindbilder inszeniert, wenn der gesellschaftliche Status quo verteidigt bzw. Privilegien weiter ausgebaut werden sollen. Dieser Mechanismus passiert nicht nur auf der ideologischen Ebene, sondern auch auf der materiellen: Für bestimmte Gruppen wird der gesellschaftliche Zugang eingrenzt wie zum Beispiel zum Arbeits- oder Wohnungsmarkt sowie zur Bildung. Es ist kein Wunder, dass es zuallererst und insbesondere diejenigen schwer trifft, die eine mehrfache Marginalisierung erleben: Undokumentierte Sexarbeiter*innen oder nicht-weiße Queers sind von mehreren dieser rassistischen und trans*feindlichen Argumentation gleichzeitig betroffen. Sie erleben die volle Härte einer Welt aus weißer Herrschaft und CisnormativitätV.


In Großbritannien und in den USA ist die Ideologie von TERFs schon sehr weit fortgeschritten. Um nicht von TERFs überrannt zu werden müssten sich cis Menschen aktiv für unsere Sicherheit einsetzen? Wie kann die cis Community uns schützen?

Für ein Ally-sein gehört es immer dazu, die eigene Position mitzudenken. Ich als weiße, nicht-behinderte trans* Person versuche mich beispielsweise zu fragen: Wessen Perspektive kann ich versuchen zu stärken und ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken? Wie kann ich die Möglichkeiten, die ich habe, investieren, sodass mehr Menschen teilhaben können? Wie kann ich bereits bestehende Bewegungen unterstützen und Ressourcen zukommen lassen? Je weiter sich meine Identität in der gesellschaftlichen Mitte wiederfindet, desto mehr Einfluss besitze ich und kann meine Privilegien für soziale Gerechtigkeit nutzen. Wichtig dabei ist, nicht nur über Menschen zu reden, sondern Möglichkeiten schaffen, dass sich Menschen selbst am Diskurs beteiligen können. In Situationen, in denen marginalisierte Personen nicht sprechen können oder wollen, weil sie sich zum Beispiel angreifbar oder verwundbar machen, kann ich ihnen meine Stimme leihen.

Für den Schutz von trans* Personen reicht es nicht aus zu sagen, dass trans* Frauen Frauen sind.

Damit werde ich trans Feind*innen nie überzeugen können. Wenn Menschen von einem biologistischen Geschlechterbild ausgehen, werde ich mit „Trans* Frauen sind Frauen!“ nicht dagegen vorgehen können. Das ist schlicht und ergreifend nicht hilfreich. Ich brauche eine tatsächliche Argumentation, die sich an materiellen Realitäten orientiert. Ich muss mich fragen, welcher Ideologie stehe ich gegenüber, was hat sie für Auswirkungen?

Was haben Ausschlüsse aus dem Gesundheitssystem für Auswirkungen? Minderheitenstress, soziale Ausschlüsse, Probleme auf dem Arbeitsmarkt, Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt, reproduktive Ungerechtigkeit sind nur einige Beispiele.

Ich kann im globalen Zusammenhang schauen: Wer sind die Personen, die die Reproduktionsarbeit für weiße Kapitalist*innen leisten? Es sind häufig osteuropäische oder nicht-weiße Arbeiterinnen, die undokumentiert in den Haushalten arbeiten und aufgrund ihrer prekären Lage Schwierigkeiten haben, aus diesen missbräuchlichen Verhältnissen auszubrechen. Ich kann dann analysieren, wie materielle Ungleichbehandlung sich auf diese Communities auswirkt. Ich muss als privilegierte Person anfangen zu sehen, wie Diskriminierungsphänomene Hand in Hand gehen.

Wenn wir über TERFs sprechen, sprechen wir häufig auch über diejenigen, die sich gegen die Inklusion von Sexarbeiter*innen aussprechen. Dann sprechen wir häufig über diejenigen, die mit anti-muslimischem Rassismus in die Argumentation gehen und versuchen, weiße Deutungshoheit in Form von „Wir retten euch!“ durchzusetzen. Der Schutz von trans* Personen ist somit untrennbar mit anderen Diskriminierungsformen verbunden.

Für eine soziale Bewegung muss ich materielle Realitäten analysieren: Wem und wie werden Personen Ressourcen in dieser Gesellschaft verwehrt und wer profitiert davon?

Vielen Dank! Möchtest du noch einen eigenen Punkt reinbringen, der dir bisher noch gefehlt hat?

So viele Dinge, von denen ich spreche, sind keine Sachen, die ich mir selbst ausgedacht habe. Ich lerne viel von anderen Geschwistern, die diese Arbeit schon viel länger als ich machen. Gerade was antirassistische und anti-ableistischeVI Diskurse angeht. Feminismus ist eine Bewegung, die aus mehreren Perspektiven besteht. Es ist wichtig, sich selbst immer wieder einzuladen, dazuzulernen und denjenigen zuzuhören, die eine andere Erfahrungsschatz haben als man selbst.

*Interview: Victoria Forkel


Fußnoten

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