#Medien 📰 Zahlenspiele um Mobilisierungspotenzial

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Eine Million Menschen besuchten den Berliner CSD in diesem Jahr, 250.000 die Fridays for Future Demo gestern. Trotzdem sprechen Medien (wir auch) über gestrige Proteste als die größten seit den 1980ern. Von Äpfeln, Birnen und Kartoffelsalat.

Fotos: Links von DIE LINKE Hamburg / rechts Martin Stiewe (HAMBURG PRIDE)

Ein Blick auf Bilder sollte eigentlich ausreichen, um Diskussionen darüber zu unterbinden, ob nun der CSD in Berlin oder Hamburg mehr oder weniger Teilnehmer hatte, als die gestrigen Klimademos. Letztere versammelten ganz eindeutig mehr Protestler. Schaut man aber auf den CSD als Event, lockt er regelmäßig mehr Menschen an, als jede andere politische Veranstaltung. Nur ist es halt ein deutlicher Unterschied, ob Menschen sich aufmachen, um selbst Teil einer Demonstration zu sein, oder sie aus verschiedensten Beweggründen eine solche besuchen. Insofern sind Vergleiche, wie sie nun vereinzelt auftauchen, ziemlich unstatthaft und teilweise sogar mutmaßlich homophob. 

Hamburger CSD-Vorstand kritisiert Medien 

Ein krasses Beispiel, wie schlecht Redaktionen der klassischen Verlagshäuser diesbezüglich teilweise arbeiten, deckte heute Stefan Mielchen, 1. Vorsitzender von Hamburg Pride auf: 

„Bemerkenswert finde ich das Presseecho zum gestrigen Tag in Hamburg. Der Chefredakteur des Abendblattes ist völlig aus dem Häuschen, weil er, wie er schreibt, so etwas noch nicht erlebt hat: 70.000 Menschen! Und dann: „Wann hat es das zuletzt gegeben, dass sich so viele Menschen in Hamburg hinter einem Ziel versammelt haben? Die nicht nur gegen, sondern vor allem für etwas demonstrieren? Die zu Tausenden Plakate basteln, eines kreativer als das andere, die singen, trommeln, tanzen, ja, auch feiern.“ Hätte ich ihm schnell sagen können.

Auch die Mopo fragt: „Wann waren zum letzten Mal so viele Menschen auf der Straße?“ und listet ebenfalls eine Reihe von Demos zurück bis 1958 auf. Ignoriert aber komplett den CSD, bei dem laut ihrer eigenen Berichterstattung vom 4. August 2019 in diesem Jahr mehr als 240.000 Menschen in Hamburg für mehr Rechte und Gleichberechtigung „demonstrierten“. Mit der Einschränkung, dass diese 240.000 Menschen laut damaliger Mopo-Überschrift eine „bunte Parade feierten“. Als ob Spaß und politisches Anliegen ein Widerspruch wären.“

Er fragt weiter: Die einen, die für den Klimaschutz „singen, trommeln, tanzen, ja, auch feiern“ – und die anderen, die eine bunte Parade „feiern“ und vergessen werden. Haben wir jetzt ein Vermittlungsproblem oder die Journalist*innen ein Verständnisproblem? Ich fürchte: beides.

Die schrecklich nette Homophobie der Medien 

Wenn man Proteste so beschreibt wie die beiden genannten Beispiele, ist es entweder journalistischer Unfähigkeit oder mindestens verinnerlichter Ablehnung der Akzeptanz von queeren Themen als gesellschaftlich relevant verschuldet, wenn die CSDs nicht erwähnt werden.

Die ewige Frage

Oder müsse wir uns doch noch mal damit auseinandersetzen, wie weit wir unsere Prides in Richtung Fußballfanmeile mit Schlagerbeschallung entwickeln wollen? Das trifft allerdings auf den Hamburg Pride mit seinen offiziell 15.000 Teilnehmenden und der strickten Trennung von Demo und Straßenfest weit weniger zu, als auf den CSD in der Hauptstadt, wo die eigentliche Demonstration bereits das zweite Jahr in Folge mit massiven organisatorischen Problemen zu kämpfen hatte, die eine verlässliche Schätzung von Teilnehmerzahlen unmöglich machen und bei dem die Verquickung von Biermeile und Demo absolut wirkt. 

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