Queeres im Parlament: Werden intersexuelle Kinder endlich geschützt?

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Der Bundestag diskutiert heute Abend über einen Gesetzentwurf, der intersexuelle Kinder in Zukunft vor unnötigen und schädlichen Operationen schützen soll. Wir stellen den von Opposition und Sachverständigen kritisierten Entwurf im Detail vor.

Worum geht es?

Donnerstagabend wird es eine Aussprache im Bundestag geben. Thema: der Gesetzesentwurf der Regierungsparteien zum Verbot von medizinischen Behandlungen an intergeschlechtlichen Kindern. Der offizielle Entwurf nennt sich „Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“. Hinter dieser langen Formel versteckt sich etwas recht Einfaches: Fortpflanzungs-, Ausscheidungs- und Sexualorgane können bei Menschen sehr unterschiedlich aussehen. So unterschiedlich, dass sie nicht mehr dem Biologiebuchabbildungen aus der Schule entsprechen. In den meisten Fällen sind diverse Ausformungen von Genitalien aber kein medizinisches Problem und Teil der menschlichen Vielfalt. Ergo: es besteht keine medizinische Notwendigkeit, Vulvinas neu zu formen oder Hoden zu entfernen. Schon gar nicht an Babys, die den Schönheitsoperationen nicht zustimmen können. In Deutschland wie vielen anderen Ländern der Welt ist es jedoch gängige Praxis. Neben dem Eingriff in die Unversehrtheit des Körpers sind solche Operationen meist mit mehreren Folgeoperationen verbunden sowie Hormonersatztherapien. Die Sensibilität der Genitalien leidet oft. Sie beschädigen, was nicht kaputt war. 

Im Koalitionsvertrag der CDU/CSU und der SPD verpflichtete sich die Regierung, medizinisch unnötige Behandlungen an intergeschlechtlichen Kindern zu verbieten. Kurz vor Ende der Legislaturperiode legten sie am 25. November 2020 einen Gesetzesentwurf vor.

Was steht drin?

Das Gesetz soll im Bürgerlichen Gesetzbuch als Artikel 163e hinzugefügt werden. 

  1. Medizinische Behandlungen, die nur das Ziel haben, den Körper an weibliche oder männliche Normen anzupassen, dürfen nicht an Kindern, die nicht einwilligen können, stattfinden. 
  2. Genitaloperationen, die auch eine Angleichung an binäre Körpernormen zur Folge haben, dürfen nur stattfinden, wenn sie nicht zu einem reiferen Alter des Kindes warten könne. 
  3. Operationen wie im zweiten Absatz beschrieben müssen vom Familiengericht genehmigt werden. Die Ausnahme besteht bei medizinischen Eingriffen, die lebensnotwendig sind oder gesundheitsfördernd sind. Für eine Genehmigung muss eine interdisziplinäre Kommission den Eingriff befürworten.
  4. Die Kommission muss aus mindestens vier Personen mit folgenden Qualifikationen bestehen: behandelnde Ärzt*in, Ärzt*in, Person mit psychotherapeutischer oder psychiatrischer Berufsqualifikation und eine Person mit sozialpädagogischer Expertise.
  5. In der Stellungnahme der Kommission muss ihre Expertise dargelegt werden, das Alter des Kindes und ihre Variante der Geschlechtsentwicklung sowie der geplante Eingriff beschrieben werden. Weiter muss begründet werden, warum sie den Eingriff bewilligen, ob die Eltern über Intergeschlechtlichkeit aufgeklärt worden sind und ob das Kind den Eingriff positiv eingestellt ist.
  6. Die Patientin*nenakte  muss von der behandelnden Ärzt*in bis zum 48. Lebensjahr aufbewahrt werden.

In den weiteren Artikeln des Gesetzes wird der Prozess mit dem Familiengericht definiert. Besonders hervorzuheben ist, dass ein schriftliches Verfahren bei einer positiven Stellungnahme der interdisziplinären Kommission für eine Genehmigung reicht. 

Das Gesetz soll nach zehn Jahren auf seine Wirksamkeit evaluiert werden. 

Regierung ignoriert Expertin*nen

Am 13. Januar diesen Jahres wurde bei der Sachverständigenanhörung starke Kritik geäußert. Denn viele Punkte des Entwurfs seinen einerseits zu vage gefasst und an Stellen zu kompliziert, um wirklichen Schutz zu bieten. Claudia Kittel vom Deutschen Institut für Menschenrechte kritisierte, dass behandelnden Ärztin*nen selbst über die Einwilligungsfähigkeit von Kindern entscheiden können. Ein gefährliches Schlupfloch, wenn man bedeckt, dass medizinische Behandlungen bei einwilligungsfähigen Kindern nicht verboten werden. Die Geschlechterforscherin Dr. Ulrike KlöppelMitglied des Beirats der Internationalen Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen, forderte aus diesem Grund eine externe Prüfung der Einwilligungsfähigkeit. Diese und andere Änderungsvorschläge wurden nicht gefolgt.

Opposition: Entwurf unzureichend!

Donnerstagabend folgt die Aussprache im Bundestag. Alle Oppositionsfraktionen habe Entschließungs- und/oder Änderungsanträge eingereicht, die HIER eingesehen werden können und eine spannende Debatte erwarten lassen. Um 22:30 Uhr geht es unter www.bundestag.de los.

Die FDP reicht einen Entschließungsantrag ein. Beispielsweise will sie die Zusammensetzung des interdisziplinären Komitees ändern. Dieses wäre für die Bewilligung von medizinischen Behandlungen zuständig. Die FDP will die behandelnde Ärzt*in aus dem Komitee streichen, da es einen Interessenkonflikt darstelle. Stattdessen fordert die Fraktion neben den drei verbliebenden Personen noch eine intergeschlechtliche Person und eine Person für die Interessenvertretung des Kindes hinzufügen. Andernfalls könne die UN-Kinderrechtskonvention nicht erfüllt werden.

Foto: Deutscher Bundestag / Achim Melde

Das Bündnis 90/Die Grünen fordert in ihrem Entschließungsantrag unter anderem Entschädigungsfonds für schon operierte Kinder und nun erwachsene Kinder sowie eine Verlängerung von Verjährungsfristen. Eine längere Aktenaufbewahrung der Geschädigten, die von der Bundesregierung geplant ist, bleibt zahnlos ohne längere Verjährungsfristen. Strafrechtliche Verjährungsfristen liegen bei zehn Jahren, womit das zweijährige Kind bei jetziger Rechtsprechung spätestens mit 12 Jahren klagen müsste. Die Fraktion weist auf die schlimme Praxis des Bougierens hin, die viele Betroffene als sexualisierte Gewalt erleben. Bei dieser wird die Neovagina eines Kindes so lange gestreckt, bis der Körper des Kindes ausgewachsen ist.

Foto: Christian Knuth

Die rechtsextreme AFD will in ihrem Änderungsantrag, dass Menschen mit adrenogenitalen Syndrom (AGS) vom geplanten Gesetz ausgenommen sind. Sie meinen, dass bei dieser Variante der Geschlechtsentwicklung eine frühkindliche medizinische Behandlung notwendig sei. Im Entschließungsantrag fordern sie wiederum, dass das ganze Gesetz zurückgenommen und erst die Studie zu intergeschlechtlichen Menschen vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) abgewartet wird.

DIE LINKE reicht gleich drei Änderungsanträge ein. Im ersten Antrag möchte sie den ersten Absatz des Gesetzentwurfs so ändern, dass alle Kinder unabhängig von einer Diagnose der Geschlechtsentwicklung geschützt werden. Auch sie weist auf die traumatisierende Praxis des Bougierens hin und will dementsprechend nicht nur medizinische Behandlungen, sondern auch die Nachsorge jener (worunter Bougieren fällt) verbieten. Im zweiten Antrag fordert die Links-Fraktion ein automatisches Melderegister für medizinische Behandlungen an Genitalien, die an nicht einwilligungsfähigen Menschen stattgefunden haben, einzuführen. Der dritte Antrag will im Entwurf eine verlängerte Verjährungsfrist durchsetzen. 

Entwurf wurde bestätigt

Alle Änderungs- und Entschließungsanträge wurden abgelehnt. Das Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung wurde mit den Stimmen der SPD, CDU und CSU angenommen. 

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