#queerimparlament • Auf in die 20er!

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Die morgen beginnenden ersten 20er des Milleniums werden besonders unter Queers ganz natürlich in gedanklicher Verbindung zu den goldenen 1920er-Jahren erwartet. Wir versuchen eine Annäherung.

Die 1920er markierten den ersten Aufbruch Deutschlands in eine demokratische und freie Gesellschaft, mit Magnus Hirschfeld und seinem Institut für Sexualwissenschaft im liberalen Leuchtturm Berlin als Meilenstein der sexuellen Emanzipation. Gleichzeitig sind diese 1920er-Jahre allerdings auch das Jahrzehnt, in dem zum Ende die Weichen in die schrecklichste menschengemachte Katastrophe, den Holocaust gestellt wurden.

Es ist populistische Vereinfachung, die damalige Transformation von Wirtschaft  – Aktienspekulation, Fließbandfertigung, Frauenarbeit – und Gesellschaft  –  Frauenrechte, öffentliches homosexuelles Leben, Ausbruch aus der Familie – mit der heutigen zu vergleichen. Dennoch sind Parallelen erkennbar: Der Kampf um die Anerkennung eines dritten Geschlechts, die Abschaffung staatlicher und menschenrechtswidriger Diskriminierung  von Transsexuellen, Transgender und Transidenten, die Anerkennung moderner Familienformen werden uns in den kommenden zehn Jahren genauso beschäftigen, wie der Wandel von Wirtschaft und Sozialstaat im Lichte der Digitalisierung und der nahenden Klimakatastrophe.

Insofern war 2019 und auch die letzte Woche im Bundestag symptomatisch für die (queer)politischen Herausforderungen und die sich abzeichnenden neuen politischen Bruchlinien sowie ihre jeweiligen Akteure.

Union nicht mehr der natürliche Gegner

Foto: J. Klaus

Die letzte Parlamentswoche begann am Montag gleich mit einer öffentlichen Anhörung zu einem Antrag der Grünen für einen bundesweiten Aktionsplan zum Thema sexuelle und geschlechtliche Vielfalt. Spannend war, dass alle von den demokratischen Fraktionen benannten Sachverständigen sich für einen solchen Aktionsplan aussprachen. Die AfD präsentierte einen Sachverständigen, der queeren Menschen schlicht die Bürgerrechte absprach. Ein unterirdischer Auftritt. (wir berichteten) Dass sich auch die Mitglieder des Familienausschuss von SPD und Unionsfraktion indirekt und direkt für einen solchen Aktionsplan aussprachen, lässt für die Zukunft hoffen. Insbesondere bei der Union sieht man hier Sinneswandel, früher lud die Union zu solchen Anhörungen Sachverständige, die queere Rechte ablehnten.

Die weitere Überraschung hielt das Bundeskabinett bereit. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verschärfte seinen eignen Gesetzentwurf zu Konversationstherapien. Damit ging Spahn auf die Kritiken aus der Community und von Expert*innen ein. (wir berichteten)

Der aktuelle Stand der Dinge

Jens Spahn überraschte in diesem Jahr gleich mehrfach. Um das Familienministerium, das in der Vergangenheit durchaus ein Motor für queere Rechte war,  ist es stiller geworden. Franziska Giffey ist anders als ihre Vorgängerin Manuela Schwesig nicht so aktiv in diesem Bereich. Christina Lambrecht als relativ neue Justizministerin muss erst noch zu queeren Themen finden. Innen- und Heimatschutzminster Horst Seehofer tat sich als Verhinderer queerer Rechte hervor, gleichzeitig rückte er aber von seiner Hardliner-Position gegenüber Integrationsbemühungen ab, sein Ministerium unterstützt weitreichende Aktivitäten zur Besserstellung queerer Geflüchteter. Das Verbot von Operationen an intergeschlechtlichen Kindern, ein zeitgemäßes Gesetz für transgeschlechtliche Menschen sowie Nachbesserungen bei der Ehe für alle, lassen dennoch leider auf sich warten. Grüne, Linke und FDP machten mit Anträgen und Anfragen deutlich auf Missstände aufmerksam.

Das Böse hat einen Namen: AfD

Foto: Bundesarchiv / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 / wikimedia


Trotz einer lesbischen Fraktionsvorsitzenden, tat sie sich hervor als Menschenfeind. Sie hetzt nun noch verstärkter gegen Minderheiten, sie macht queere Menschen für die Erosion der klassischen Familie verantwortlich und sie brachte Irrationalität, Faktenwidrigkeit und vor allem Hass ins Plenum des Bundestages. Die AfD hat sich gehäutet. Es handelt sich um eine rechtsextremistische Partei. Dies konnte man in der letzten Parlamentswoche in der Debatte zu Obdachlosigkeit noch einmal eindrucksvoll beobachten. Von Obdachlosigkeit sind auch überdurchschnittlich viele Queers betroffen, sei es, weil sie als Jugendliche aus dem Elternhaus fliehen müssen, oder als Alleinstehende bzw. Alleinerziehende Opfer von Arbeitslosigkeit und der daraus folgenden Abwärtsspirale werden.

Die Rednerin der FDP, Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann brachte den Hass und das Ausspielen von Minderheiten auf den Punkt:

„Es ist zum kotzen.“

Der Bundestag startet am 14. Januar wieder. Wir hoffen, ihr fandet die Queerberichte aus dem Parlament spannend. Bitte teilt uns Anregungen und Kritik mit. Mit einer kleinen Redaktionsauswahl der schönsten politische Reden aus 2019 wünschen wir nun einen guten Rutsch.

Werdet schriller, werdet lauter, werdet unbequemer!





Arbeitsrechtlicher Hinweis: Bodo Niendel hat wegen einer Handverletzung telefonisch am Rückblick mitgearbeitet.

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