Hoffnung, Verzweiflung und Liebe während der Aids-Krise

männer* Gastautor Holger Doetsch über den Roman „Die Optimisten“ von Rebecca Makkai.

Rebecca Makkai hat einen grandiosen, überaus feinsinnigen Roman geschrieben, der, das soll die einzige negative Kritik hier sein, einen irreführenden Namen trägt: „Die Optimisten”. Irreführend, weil auf über 600 Seiten zwar ab und an eine Art Zweckoptimismus aufglüht, Verzweiflung und Angst indes nicht selten vorherrschen. Wie könnte es auch anders sein, wenn es darum geht, was das Aidsvirus in den 1980er-Jahren mit den Menschen gemacht hat und teilweise bis heute macht? Wer es erlebt hat, erinnert sich vor allem an eines: das Gefühlschaos. Aber auch daran, unbedingt überleben zu wollen.

Worum geht es in diesem Buch? Die Handlung in „Die Optimisten“ findet auf zwei Ebenen beziehungsweise in zwei Zeiträumen statt, wobei die Kapitel eigenständig sind und sich abwechseln. 1985: Ein neuartiges Virus wütet in Chicagos Boystown, und mit ihm scheint der Traum der sexuellen Befreiung geplatzt zu sein. Wie geht es weiter? Diese Frage hängt wie ein Damoklesschwert über den Handelnden in diesem Roman. Doch ist da nicht nur Besorgnis und Verzweiflung bei den Schwulen, sondern es entlädt sich auch eine ungeheure Wut. Vor allem auf die Reagan-Administration, die versucht, Aids als direkte Folge eines vermeintlich unmoralischen Lebens zu brandmarken. Und dann ist da noch der Zorn darüber, dass sie auf die Straßen gehen müssen, um ihre Rechte auf eine medizinische Versorgung einzuklagen.

Yale, eine der beiden Hauptfiguren in diesem spannenden Buch, verliert durch das Aidsvirus einen Freund nach dem anderen:

„Da war dieses kleine Fenster, eine kurze Zeitspanne, in der wir uns sicherer gefühlt haben, glücklicher waren. Ich dachte, es wäre der Anfang von etwas. Dabei war es in Wirklichkeit das Ende.“

Yale führt eine monogame Beziehung mit Charlie, dem Herausgeber eines Schwulenmagazins, und denkt, ihre Treue zueinander werde sie vor dem Virus – der positive Befund kam damals einem Todesurteil gleich – verlässlich schützen. Und doch kommt es anders ...

2015: Fiona, die schon in den Geschehnissen Mitte der 1980er-Jahre eine gewichtige Rolle spielt, reist nach Paris und sucht ihre Tochter, die sie in den Fängen einer Sekte wähnt. Sie trifft in der Stadt auf alte Freunde aus der Gay-Community in Chicago von damals und spürt, wie sehr sie den Schmerz, den sie durch Aids dreißig Jahre zuvor erlitt, verdrängt hat. Somit mündet die Reise nach Paris in eine seelische Bestandsaufnahme, der sie sich anfangs indes nicht stellen will, weil es sie zu zerreißen droht, sie emotional in einen Ausnahmezustand versetzt. Doch merkt sie auch, dass ein Entrinnen vor dem, was war, nicht möglich ist. Dies schon deshalb, weil das Aidsvirus ihr damals den geliebten Bruder Nico geraubt hatte, der der engste Freund von Yale gewesen war.

Die Autorin selbst ist im Jahre 1978 geboren, ist also keine direkte Zeitzeugin. Das macht anfangs misstrauisch. Doch ist die Handlung nicht nur literarisch, sondern auch inhaltlich stimmig, was wohl daran liegt, dass sie unzählige Interviews mit Menschen geführt hat, die den Beginn und Verlauf von Aids miterlebt haben. Hinzu kam eine jahrelang andauernde Recherche. Dass Rebecca Makkai den Protagonisten in ihrem Roman, die sich im Laufe der Handlung selbst von der Autorin zu emanzipieren scheinen, eine ungeheure Empathie entgegenbringt, macht „Die Optimisten” zu einem Buch über die Liebe, das man nicht aus der Hand legen mag. Wunderbar. *Holger Doetsch

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