Interview: Infektiologie im AVK – damals und heute

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Die Abteilung für innere Medizin mit Schwerpunkt Infektiologie im AVK Vivantes in Schöneberg war jahrelang die größte Abteilung europaweit, die HIV und AIDS-Patienten versorgt. Trotz Corona und einiger personell bedingter Änderungen ist diese Anlaufstelle nach wie vor ein wichtiger Ort – nicht nur für die Community. Wir sprachen mit der leitenden Oberärztin Dr. Anja Masuhr.

Ich gehöre zu denen, die die Zeit miterlebt haben, als die allermeisten Patienten durch HIV/AIDS noch gestorben sind bevor die ersten Therapie-Regime erhältlich waren. Ich war noch jung, am Ende meines Studiums und es hat mich sehr beeindruckt.

Hallo Frau Masuhr. Wie lange arbeiten sie schon in der Abteilung?

Uns gibt es schon seit den Achtzigerjahren und ich habe hier als Ärztin im Praktischen Jahr Mitte der Neunzigerjahre begonnen. Ich gehöre zu denen, die die Zeit miterlebt haben, als die allermeisten Patienten durch HIV/AIDS noch gestorben sind bevor die ersten Therapie-Regime erhältlich waren. Ich war noch jung, am Ende meines Studiums und es hat mich sehr beeindruckt.

Wir haben damals sehr viel Palliativ-Medizin* gemacht. Die Zusammenarbeit von Pflege, Ärzt*innen, den Selbsthilfe-Gruppen, Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen hat mich extrem herausgefordert. Aber ich habe auch gesehen, dass ich hier wirklich etwas leisten kann. Daraufhin habe ich mich entschlossen, am AVK erst einmal zu bleiben. Im Rahmen meiner Facharzt-Ausbildung war ich auch in anderen Krankenhäusern, aber es hat mich immer hierher zurückgezogen.

*Palliativ-Medizin: Wenn eine Erkrankung nicht mehr geheilt werden kann, treten die Linderung von Schmerzen und anderen belastenden Krankheitsbeschwerden, psychischen, sozialen und spirituellen Problemen in den Vordergrund. Nicht nur die von Patient*innen, sondern auch von deren Angehörigen.

Das liegt an den ganz speziellen Patienten, die wir hier betreuen und der optimalen Aufstellung, was die Versorgung von Patienten mit HIV und AIDS angeht. Dazu gehört auch die Behandlung von Hepatitis, Tuberkulose, Infektionen der Harnwege und sowie Tropenkrankheiten von Reiserückkehrern. Das Spektrum hat sich extrem erweitert. Der Blick ist auf alle Infektionskrankheiten und nicht nur auf HIV gerichtet.

In anderen Teilen der Welt müssen die Menschen immer noch um eine bessere Versorgung bei einer HIV-Infektion kämpfen. War das in den Anfängen in Berlin auch so? Musste man auf die Straße gehen, um auf sich aufmerksam zu machen? Wie hat sich das in ihrer Arbeit als Medizinerin widergespiegelt?

Direkt auf die Straße sind wir aus dem AVK nicht gegangen. Aber unser damaliger Chef Prof. L´age hat sich, in Zusammenarbeit mit der Berliner Aids-Hilfe, an die Öffentlichkeit und die Politik gewandt, was auch aufgegriffen wurde. Es wurde viel in diese Klinik investiert, ausgebaut, personell sowie strukturell. Aber natürlich musste man darum kämpfen.

Die Hilflosigkeit bezog sich vielmehr darauf, dass wir keine entsprechenden Medikamente hatten und dass das Virus uns überrannte.

Es war vor allem der Verdienst von Herrn Professor L’Age, dem ersten Leiter der Infektiologie des AVKs. Gemeinsam mit seinen Oberärzten Herrn Dr. Heise und Herrn Dr. Arastéh, der spätere Nachfolger von Professor L’age, wurde die Abteilung immer weiter ausgebaut. Die Tagesklinik etwa wurde 1992 im Rahmen des Schöneberger Modells eröffnet. Diese wichtige ergänzende Einrichtung ist Herrn Dr. Arastéh zu verdanken, der sich insbesondere für die Vernetzung der ambulanten und stationären Versorgung der HIV-Patienten eingesetzt hat.

Waren sie auch von Corona betroffen?

Ja! Während der ersten Hochphase hatten wir auf der Station 12c bis zu 20 COVID-19-Patient*innen gleichzeitig zu versorgen. Es war eine ziemlich herausfordernde Zeit. Aber wir hatten große Unterstützung aus allen anderen Abteilungen. Alle die einigermaßen infektiologisch geschult waren, kamen zu uns. Sehr geholfen hat uns Herr Dr. Stappert, der eigentlich die psychiatrische Tagesklinik leitet.

Sie können sich sicherlich die großen Ängste bei den Patient*innen, die COVID-positiv getestet wurden, vorstellen. Bereits vorbekannte psychische Erkrankungen verstärkten sich oder es kam zu schweren Panikattacken. Auch das Personal hatte natürlich Angst, sich anzustecken. Das war ein großes Problem. Der Psychiater war fast acht Wochen bei uns tätig, hat Patient*innen besucht und mit Angehörigen gesprochen und bei diesem großen Einfangen von Ängsten viel bewirkt.

Es war wie eine Art Echo und ich habe mich auch wie damals teilweise sehr hilflos gefühlt. Zumal so vieles auch unklar war. Als ich angefangen habe, in der HIV-Medizin zu arbeiten, waren die Übertragungswege bereits klar. Daher hatte ich keine Angst, mich anzustecken.

Bisher hatten wir sechs COVID-19-Patient*innen, die eine HIV-Grunderkrankung haben. Diese hatten wiederum besondere Ängste. Es waren einige dabei, die schon sehr lange infiziert sind. Da kamen Todesängste, die sie Anfang der Neunzigerjahre erlebten, wieder hoch.

War das bei Ihnen ähnlich? Sie waren wahrscheinlich auch nicht darauf vorbereitet, nochmals mit einer Epidemie konfrontiert zu werden.

Es war wie eine Art Echo und ich habe mich auch wie damals teilweise sehr hilflos gefühlt. Zumal so vieles auch unklar war. Als ich angefangen habe, in der HIV-Medizin zu arbeiten, waren die Übertragungswege bereits klar. Daher hatte ich keine Angst, mich anzustecken.

Die Hilflosigkeit bezog sich vielmehr darauf, dass wir keine entsprechenden Medikamente hatten und das Virus uns überrannte. Dieses Gefühl kam bei Corona wieder auf, weil wir die Patient*innen auch nur symptomatisch behandeln können.

Der Ausnahme-Zustand Corona beeinträchtigt aber nicht die gewohnte Behandlung von HIV-Patienten bei Ihnen?

Während der ersten Corona-Hochphase wurden die HIV-Patienten auf die Neurologie ausgelagert, um sie nicht zu gefährden. Aber mittlerweile behandeln wir wie gewohnt auf unserer Station.

Die Probleme von HIV-Patient*innen haben sich zum Glück verringert, besonders im Hinblick auf die Nebenwirkungen der Medikamente. Was hat sich noch geändert, was verbessert?

Wir haben inzwischen einen großen Blumenstrauß an sehr wirksamen Medikamenten. Wenn es die Patienten schaffen, die Medikamente regelmäßig einzunehmen, können sie ein normales Leben führen und es wird auch nicht zu einer AIDS-Erkrankung kommen. Die Infektion sollte aber rechtzeitig entdeckt werden und die Therapie schnellstmöglich begonnen werden.

Doch selbst bei all den Medikamenten, die wir haben, sieht man immer wieder Nebenwirkungen, die u.a. Leber oder Nieren betreffen oder zu übermäßiger Gewichtszunahmen führen können. Vielleicht wird sich demnächst etwas ändern in Hinblick auf die regelmäßige Einnahme der ART (antiretrovirale Therapie), wenn man nur alle zwei Monate eine Spritze braucht und nicht mehr jeden Tag Tabletten schlucken muss.

Das ist schon eine Herausforderung für die Patient*innen. Sie werden damit auch jeden Tag an ihre Infektion erinnert.

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Trotz allen Verbesserungen beobachten wir bei Patient*innen, die wir im Vollbild sehen und begleiten, dass die Krankheit weiterhin stigmatisiert und tabuisiert wird. Auch finde ich, dass immer noch zu wenig routinemäßige HIV-Tests angeboten werden. Bei Gynäkolog*innen etwa wird standardmäßig nur bei einer Schwangerschaft auf HIV getestet.

Es gab Anfang des Jahres einige personelle Veränderungen, die mit der Eröffnung einer neuen Infektiologie in Tempelhof zusammenhängt. Wie hat sich das in Ihrer Arbeit widergespiegelt?

Das war zunächst sehr schwierig. Aber wir haben nun Zuwachs an Ärzt*innen und Pflegepersonal und sind wieder eine kleine infektiologische Familie. Darauf bauen wir auf. Ab dem 1. Oktober haben wir eine neue Chefin, Dr. Caroline Isner, die ursprünglich aus der Charité kommt.

Ganz viele HIV-Patient*innen gerade im Anfangsstadium entwickeln geschwollene Lymphknoten. Auf diese Untersuchungen sind unsere Radiolog*innen spezialisiert. Zudem haben wir eine sehr gute Pathologie und Mikrobiologie, die das Material entsprechend aufarbeitet. Wir sind untereinander sehr abgestimmt und das ist nicht verloren gegangen.

Ein Vorteil unseres Standorts ist, dass wir viele Fachdisziplinen im AVK haben. Die HIV-Erkrankung und auch die Komplikationen, die damit einhergehen, können wir nur in enger Zusammenarbeit mit anderen Fachabteilungen behandeln. Insbesondere mit der Neurologie, Psychiatrie, Chirurgie, Kardiologie und Urologie. Die Infektiologie kann es nie alleine geben. Sie besteht in einem Verbund mit anderen Abteilungen und ist nur so gut, wie die anderen Abteilungen sind. Sehr wichtig ist für uns auch die interventionelle Radiologie. Wir haben hier eine sehr gute adiologische Abteilung, die etwa Lymphknoten punktiert.

Ganz viele HIV-Patient*innen gerade im Anfangsstadium entwickeln geschwollene Lymphknoten. Auf diese Untersuchungen sind unsere Radiolog*innen spezialisiert. Zudem haben wir eine sehr gute Pathologie und Mikrobiologie, die das Material entsprechend aufarbeitet. Wir sind untereinander sehr abgestimmt und das ist nicht verloren gegangen.

Es ist auch gar nicht schlecht, dass es jetzt noch eine weitere Infektiologie in Berlin gibt. Die Corona-Zeit hat es uns ja wieder gezeigt. Infektiologie ist ein ganz wichtiges Fach und war vielleicht auch immer etwas unterrepräsentiert. Jetzt gibt es einen weiteren Standort und das ist gut so.

Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum

Zentrum für Infektiologie und HIV

Rubensstraße 125 | 12157 Berlin

Interview: Torsten Schwick 

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