Interview: Professor Streek über PRIDE und PrEP

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Ja, Aktivisten und Akteure können stolz auf sich sein. Nach Jahren der Arbeit im Hintergrund ist die PrEP in Deutschland nicht nur bekannt, sondern als gleichwertige Präventionsmethode anerkannt und erfreut sich binnen eines knappen Jahres überraschend hoher Beliebtheit.

Foto: Ovidijus Maslovas

Den wirtschaftlichen Durchbruch ermöglichte die sogenannte 50-Euro-PrEP von Erik Tenberken aus Köln (Interview auf dieser Seite). Sein Modell der Verblisterung und der personalisierten Abgabe ermöglichte es außerdem, erstmals eine breit angelegte Studie zur Nutzung in der spezifischen Gruppe der Männer, die Sex mit Männern haben, durchzuführen. Professor Dr. Hendrik Streeck vom Institut für HIV-Forschung an der Universität Duisburg-Essen erklärt, was so besonders an dieser Form der „Markteinführung“ war, die er mit der PRIDE-Studie wissenschaftlich begleitet: „Dadurch, dass der größte Teil der PrEP-Nutzer diesen speziellen Zugangsweg nutzte, konnten wir erstmals in einem Land von Beginn an untersuchen, wer profitiert, und daraus rückschließen, wer zwar noch nicht profitiert, aber dies eigentlich sollte.“ Das sei auch eine Kernerkenntnis aus PRIDE, so Streeck. „Jede finanzielle Erleichterung in Sachen PrEP, ob beim Wirkstoff oder den Untersuchungskosten, wird helfen.“

PrEP-Nutzer sind gebildet

Bei einem Vertriebsweg, der mehrere ärztliche Konsultationen und die Nutzung von Privatrezepten vorsieht, ist es zu erwarten gewesen, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen erreicht werden. So bestätigt Professor Streeck im Gespräch mit blu auch, dass die Nutzer der 50-Euro-PrEP mehrheitlich sowohl über ein überdurchschnittliches Einkommen als auch einen hohen Bildungsstand verfügen. „Dieses Ergebnis zeigt, dass es einen großen Anteil von Menschen gibt, die von der PrEP profitieren würden, aber entweder nichts davon wissen oder nicht darauf zurückgreifen können, weil es zu teuer ist.“ In diesem Zusammenhang ist der Erfolg der 50-Euro-PrEP für die Studienmacher von PRIDE umso überraschender gewesen.

Foto: gemeinfrei / CC0

4.500 plus x

Laut Streeck nutzen rund 4.500 Personen die 50-Euro-PrEP, der zusätzliche Teil der Nutzer, die andere Generika nutzen oder die Medikamente über das Ausland beziehen, werden von ihm als „überschaubar gering“ eingeschätzt. In die PRIDE-Studie wurden zusätzlich auch die Nutzer eingeschlossen, die an der zurzeit laufenden Discover-Studie des Truvada-Herstellers Gilead teilnehmen.

PrEP wird „on demand“ genommen

Die größte Überraschung ergab sich bei der sogenannten Therapietreue, dem Einnahme-Schema. Aus der Häufigkeit der Rezepteinlösung konnte festgestellt werden, dass nur rund vierzig Prozent der PrEP-Nutzer sich an die vorgegebene kontinuierliche tägliche Einnahme halten. „Wir rechnen diese Ergebnisse zurzeit mit einem Biomathematiker nach, um sie zu überprüfen. Die Diskrepanz zwischen Verschreibungshäufigkeit und Rezepteinlösung ist aber auf jeden Fall deutlich. Die PrEP wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht so eingenommen, wie sie derzeit von der Arzneimittelbehörde vorgegeben wird“, so Streeck. Der Professor hält dieses Ergebnis für riskant. Wissenschaftlich seien ihm die Ergebnisse zur anlassbezogenen Einnahme aus der IPERGAY-Studie nicht aussagekräftig genug, um eine Empfehlung dafür aussprechen zu können. Er könne das Verhalten aus persönlicher Sicht aber durchaus nachvollziehen, da die starre Einnahmeregel zur PrEP und das individuelle Sexualverhalten durchaus abweichen können. Streeck: „Hier besteht Forschungsbedarf.“

Andere sexuell übertragbare Krankheiten

„Beim Sex etwas vorschreiben zu wollen, hat noch nie geklappt“, sagt Professor Streeck auf die Frage, ob die Studie aussagen könne, ob Kondomnutzung abnehme und damit das Risiko anderer sexuell übertragbarer Krankheiten (STI) steige. „Wir müssen schauen, welche Präventionsmethoden sinnvoll sind und akzeptiert werden, und dürfen sie nicht moralisierend bewerten. Wir können in dieser Studie nicht aussagen, ob die Zahlen steigen. Was wir abgefragt haben bei den Teilnehmern ist, ob es in den letzten sechs Monaten eine Infektion mit STI gab. Dies ist in relativ hohem Maße der Fall gewesen. Allerdings bedeutet das Wissen darüber ja auch, dass höchstwahrscheinlich eine Behandlung stattgefunden hat. Um das genauer zu überprüfen, machen wir ja jetzt BRAHMS.“

Stehst du auf BRAHMS?

Männer, die Sex mit Männern und ein hohes HIV-Risiko haben, werden aktuell für die BRAHMS-Studie gesucht. Sie ist eigentlich als eine HIV-Impfstoff-Machbarkeitsstudie konzipiert, bietet aber auch eine einmalige Chance, die Verbreitung anderer STI erstmals wissenschaftlich und epidemiologisch zu untersuchen. Professor Streeck dazu: „Das Robert Koch-Institut erfasst diese Daten gar nicht. Wir wissen nicht, wie viele Gonokokken-Infektionen es in Deutschland gibt. Wir wissen daher auch nicht, wie ernst das Problem mit eventuellen Antibiotika-Resistenzen wirklich ist. Welche Präventionsmethoden können eventuell verbessert werden, welche können neu entwickelt werden?“ Teilnehmen können HIV-negative Männer aus großen Städten im Alter zwischen 18 und 47 Jahren, die in den letzten sechs Monaten entweder zweimal ungeschützten Analverkehr oder eine Infektion mit einer STI hatten.

*Interview: Christian Knuth

www.hiv-forschung.de/de/brahms

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