Beatmungspatienten haben Angst: Offener Brief an Jens Spahn

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Foto: Team Spahn

Das von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn geplante „Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz“ sorgt weiter für Entsetzen bei Betroffenen. An schweren Lungenkrankheiten leiden überdurchschnittlich viele Schwule und HIV-Positive – ein Paar klagt an.


Sehr geehrter Herr Jens Spahn,

ich bin 48 Jahre alt und lebe mit meinem Mann und den geliebten Kater im schönen Mainz. Meine Wohnung ist optimal für mich hergerichtet.

Von Geburt an habe ich eine fortschreitende Muskelschwäche, die nicht umkehrbar ist. Seit meinem 20. Lebensjahr bin ich auf den Rollstuhl angewiesen, mit dem ich gut zurecht komme.

Wie kann es sein, dass Sie im Internet kürzlich offen den geplanten Verstoß gegen Grundgesetz Artikel 3 Absatz 3 („Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“) und die UN-Behindertenrechtskonvention Artikel 19 (unter anderem keine Verpflichtungen in sogenannten besonderen Wohnformen zu leben) verkündeten?

Kennen Sie diese elementaren Gesetze, an die Sie als Minister ebenfalls gebunden sind, überhaupt nicht? Es fällt mir schwer das zu glauben, auch wenn Ihre Äußerungen, die ich im Netz entsetzt lesen musste, nicht zu leugnen sind.

Die Rede war auf einmal davon, die medizinische Versorgungen von Beatmungspatienten im Regelfall nicht mehr in der eigenen Wohung zu erlauben, und Patienten nur noch von der Beatmung zu entwöhnen. Was beispielsweise bei meiner Muskeldystrophie, ALS, COPD und anderen Erkrankungen oder degenerative Behinderungen überhaupt nicht möglich ist.

Weiss ein Gesundheitsminister nichts über solche Fakten? Ich weiß über Ihre Arbeit sicher nicht genug.

Früher war ich nicht auf die künstliche Beatmung angewiesen

Im Sommer 2017 wurde mir während einer Notoperation ein Tracheostoma, dieser künstliche Ausgang an meiner Luftröhre, der auf dem Foto zu sehen ist, gelegt, um zukünftigen Lungenentzündungen vorzubeugen und mich invasiv zu beatmen. Das war notwendig, um mein Leben noch zu retten.

Ob ich es überleben würde, war zunächst ungewiss, doch ich kämpfte mich während der vielen Monate auf Intensivstationen wieder zurück, denn ich wollte zurück zu meinen Lieben und Freunden. Inzwischen bin ich wieder dazu in der Lage langsam zu kommunizieren, hauptsächlich über eine Bildschirmtastatur die ich mit der Computermaus bediene.

Meine Entscheidung, mit der invasiven Beatmung weiterzuleben, hatte ich vor der rettenden OP deshalb getroffen, weil ich ein Zuhause mit meinem ganzen Umfeld habe. Ansonsten hätte ich darauf verzichtet.

Um uns rechtlich abzusichern, haben mein langjähriger Partner und ich im Krankenhaus, während einer so genannten „Nottrauung“, den Bund fürs Leben geschlossen. Wir wollten damit ganz sicher gehen, dass wir nicht getrennt werden können.

Ich lasse detaillierte Schilderungen über die Zeit in den Krankenhäusern und in der folgenden Beatmungs-WG in Elbgrund aus, die in verschiedener Hinsicht eine Tortur war, die an meinem Lebensmut genagt hat.

Die WG, als vorrübergehende Notlösung gedacht, war keines der schwarzen Schafe von denen Sie sprechen, und dennoch nicht zumutbar, da sie kein Zuhause werden konnte.

Durch die aktuelle Pflegekriese fanden wir monatelang keinen medizinischen Pflegedienst für zuhause. Erst nach vielen Monaten, begleitet vom Stress die Existenz verlieren zu können, gelang der rettende Absprung zurück nach Mainz.

Wir waren zu dem Zeitpunkt in mehrerer Hinsicht ans Ende unserer Ressourchen gekommen. Auch um die Wohnung, also den Lebensmittelpunkt, zu retten, die kein Amt absicherte. Ohne Hilfe von meinem Mann, Freunden, Bekannten etc. wäre es das Aus für mich gewesen.

Von dem geplanten Gesetz betroffen sind „nur“ Patienten, die 24 Stunden am Tag an sieben Tagen in der Woche von ausgebildeten Pflegekräften betreut werden müssen, was meine Situation zutreffend beschreibt. Von „Bestandsschutz“ war in den Meldungen die Rede, was sich als Fakenews entpuppte, denn in Wahrheit ist eine Galgenfrist von Monaten gemeint, nach der dann doch jeder – bis auf wenige Ausnahmen – sein Zuhause verlieren soll.

Wem nutzt es? Mit Sicherheit Einrichtungsbetreibern, denen die „Bewohner“ weglaufen, weil diese das Bedürfnis nach einem Menschenleben haben.

Ach ja – Kindern bis 18 sollen bei ihren Eltern bleiben dürfen, bis sie dann der gewohnten Umgebung entrissen werden, weil sie entsprechend medizinisch versorgt werden müssen. Bereits Kinder ihren Familien wegzunehmen wäre sicher zu heikel für die Öffentlichkeit.

Die Qualitätsmängel bei beatmeten Patienten sind in stationären Einrichtungen deutlich größer als in der ambulanten Pflege. In Einrichtungen ist auch die Keimgefahr viel größer als zuhause! Gerade bei Problemen mit den Atemwegen stellen Infekte eine große Gefahr für Gesundheit und Leben dar ...

„Bei der Entscheidung über die Zumutbarkeit muss die Krankenkasse die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände angemessen berücksichtigen.“ heißt es.

Ähnliche Formulierungen von Kostenträgern führten beispielsweise bei Billy Geier und Markus Igel (google weiß bescheid) und vielen anderen Fällen dazu, dass sie bloß mit aller Kraft und großer Solidarität das erreichten, was vielen beeinträchtigten Menschen immer noch verweigert wird. Ein Leben passend zu den Menschenrechten, in der eigenen Wohnung.

Einiges, was sie gesagt haben, ist völlig richtig. Beatmungspatienten benötigen wirklich einen besonderen Schutz, aber nicht bloß vor Schwarzen Schafen unter den ambulanten Pflegediensten und Beatmungs-WGs, wie sie es beabsichtigen, ebenfalls vor Zwangsunterbringungen in „besonderen Wohnformen“.

Als Hilfe dargestellte Exklusion erinnert mich an ein sehr dunkles Kapitel deutscher Geschichte, an das ich gerade nicht denken mag. Das Schreiben strengt mich sehr an, und ich muss mich nun ausruhen.

Trotzdem sei noch angemerkt, wenn die 1:1 Versorgung von Patienten zuhause nicht mehr stattfindet, werden Pfleger abspringen, die in Einrichtungen oder Krankenhäusern nicht mehr arbeiten können oder wollen, und das in dieser Pflegekriese.

Rudern Sie bitte zurück!

Sehr besorgt und nun erschöpft

Manfred Schwarz


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