Schlau zu HIV mit Dr. Kümmerle

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Trotz riesiger Fortschritte in der HIV-Therapie und massiver Aufklärungskampagnen zu Themen wie „Schutz durch Therapie“ und trotz der Vorteile einer regelmäßigen Testung, sind Stigmata und Vorurteile gegen Positive immer noch an der Tagesordnung. Wir fragten dazu bei Dr. Tim Kümmerle, Infektiologe in der Praxis am Ebertplatz in Köln, nach.

Foto: Privat

Als Arzt mit HIV-Schwerpunkt überbringen Sie häufig HIV-Diagnosen: Was sind typische Reaktionen? Bemerken Sie Unterschiede, abhängig vom Wissensstand?

Die Reaktionen sind in der Tat sehr unterschiedlich. Manche Patienten reagieren sehr entspannt, für andere bricht eine Welt zusammen. Der individuelle Wissensstand ist dabei ein wichtiger Faktor: Patienten, die sich intensiver mit dem Thema HIV beschäftigt haben und aus dem Freundeskreis HIV-positive Menschen kennen, wissen, dass die Behandlung mit modernen Medikamentenkombinationen nicht mehr mit schweren Nebenwirkungen wie Änderungen der Fettverteilung einhergeht und zu einer Normalisierung der Lebenserwartung führt. Das erleichtert den Umgang mit der Diagnose.

Ist es immer noch so, dass Unwissen über moderne Therapien viele Männer vom HIV-Test abhält? Wie ist Ihre Einschätzung der Kenntnis von „Schutz durch Thearpie“ bei den Patienten?

Es gibt immer noch eine große Anzahl an Menschen, die keinen Test machen, obwohl sie ein hohes Risiko haben. Und wir sehen viele Fälle von fortgeschrittenen Aids-Erkrankungen, die man mit rechtzeitigem HIV-Test hätte vermeiden können. Angst vor medizinischen Konsequenzen und Angst vor Stigmatisierung durch die Diagnose sind dafür sicher die häufigsten Ursachen. Manchen Menschen ist es unnötigerweise peinlich, beim Arzt nach einem HIV-Test zu fragen.

Nur wer um seinen HIV-Status weiß, kann rechtzeitig mit den Medikamentenkombinationen beginnen – und damit nicht nur seine eigene Gesundheit erhalten, sondern auch andere wirkungsvoll vor Ansteckung schützen!

Wenn ein HIV-positiver Mensch Angst vor Stigmatisierung hat: Was raten Sie ihm?

Eine Stigmatisierung und Diskriminierung von HIV-positiven Menschen findet leider immer noch statt – auch innerhalb von Hauptbetroffenengruppen wie zum Beispiel schwulen Männern.

Deshalb gilt: Medizinische Sachverhalte sind Privatsache. Es macht Sinn, sich gut zu überlegen, wem man von der Diagnose erzählen möchte. Ich empfehle beispielsweise Zurückhaltung bei der Offenlegung der Diagnose am Arbeitsplatz.

Am wichtigsten ist jedoch, sich klarzumachen, dass heutzutage niemand mit einem erfüllten Sexualleben geschützt ist vor HIV. Und dass man nichts „falsch“ gemacht hat, weil man positiv ist. Ohne belastende „Schuldfrage“ kann man entspannter und selbstbewusster mit der Diagnose umgehen.

Info

Dr. med. Tim Kümmerle, Facharzt für Allgemeinmedizin und Infektiologie in der Praxis am Ebertplatz in Köln

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