Mehr HIV-Neuinfektionen in Deutschland und düstere Aussichten wegen Corona!

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Keine gute Nachricht. Aber auch kein Grund zur Besorgnis. Jedenfalls nicht so sehr für schwule und bisexuelle Männer*, die Sex mit Männern* haben, beziehungsweise für die, die HIV-Prävention für diese Zielgruppe betreiben. Warum das so ist und welche dann doch äußerst besorgniserregenden Wechselwirkungen die HIV-Pandemie mit der SARS-CoV-2-Pandemie hat, hat die Deutsche Aidshilfe (DAH) warnend herausgearbeitet.

Deutschland verfehlt UNAIDS-Ziel

Laut Stufenplan „Aids beenden“ von UNAIDS, der vorsieht, Aids-Erkrankungen bis 2030 auf null zu reduzieren, sollten mindestens 90 Prozent aller HIV-Infektionen diagnostiziert sein. Die Zahlen des Robert Koch Instituts (RKI) lassen aber auf nur 88 Prozent schließen. Besser sieht es bei den beiden anderen Kennzahlen aus: 90 Prozent der HIV-Positiven sollen nach Möglichkeit eine Therapie erhalten – hier kann Deutschland mit 96 Prozent glänzen. Und auch beim für die Übertragungskette so wichtigen Ziel, 90 Prozent der Behandelten unter die Nachweisgrenze zu bringen, erreicht Deutschland 96 Prozent.

Das noch 2017 in der Kampagne „Kein Aids für alle" angepeilte nationale Ziel, in Deutschland schon 2020 keine neue Aids-Erkrankungen mehr zu haben, ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit verfehlt worden. 

Die Neuinfektionszahlen

Laut aktuellem Epidemiologischen Bulletin des Robert Koch-Institutes RKI vom 26. November 2020, ist die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland im Jahr 2019 nicht weiter gesunken, sondern leicht angestiegen.

Sie lag 2019 bei 2.600, das sind 100 mehr als im Vorjahr. Bei den schwulen und bisexuellen Männern ist die Zahl mit 1.600 Fällen konstant geblieben, der deutliche Rückgang der letzten Jahre hat sich allerdings nicht fortgesetzt. 

Quelle: RKI

Einen Anstieg auf niedrigem Niveau gab es 2019 außerdem durch heterosexuellen Geschlechtsverkehr bei Männern (insgesamt 650 Neuinfektionen durch heterosexuelle Kontakte).

Problem späte Diagnose

Kaum verändert hat sich die hohe Zahl der Menschen, die nichts von ihrer Infektion wissen und die Zahl derer, die deswegen an Aids oder einem schweren Immundefekt erkranken: 10.800 Menschen lebten Ende 2019 in Deutschland mit HIV, ohne davon zu wissen, viele bereits seit Jahren. Etwa ein Drittel der HIV-Diagnosen erfolgt erst, wenn bereits eine schwere Erkrankung auftritt.

Leicht zugängliche Testangebote und Testkampagnen haben in den letzten Jahren bereits dafür gesorgt, dass in Großstädten die Zahl der schwulen und bisexuellen Männer, die frühzeitig von ihrer Infektion erfahren, gestiegen ist. Die Zahl der Spätdiagnosen ist in dieser Gruppe gesunken. Dennoch haben 1.100 Menschen Aids bekommen oder erleiden einen schweren Immundefekt, obwohl es vermeidbar gewesen wäre. Denn:

Je früher aber eine HIV-Infektion erkannt wird, desto weniger bleibende Schäden verursacht sie. Und: Weil behandelte HIV-Positive das Virus unmöglich weiter geben können, wird sozusagen als Nebeneffekt die Übertragungskette unterbrochen. Testangebote sind ein immer wichtiger werdendes Standbein der HIV-Prävention. Und dieses Standbein wackelt. Wegen Corona.

„Es wäre möglich, deutlich mehr HIV-Infektionen und schwere Erkrankungen zu verhindern. Nun drohen stattdessen Rückschritte und Schäden, weil die Corona-Pandemie Lücken bei den Testangeboten reißt.“

Sven Warminsky vom Vorstand der DAH

Corona verhindert HIV-Tests

Durch die Maßnahmen gegen Covid-19 sind vor allem die anonymen Testangebote stark eingeschränkt. Die vielerorts einzigen Testmöglichkeiten in den Gesundheitsämtern haben aufgrund von Überlastung zurzeit Tests auf HIV und Geschlechtskrankheiten ausgesetzt. Aidshilfen und die Checkpoints gleichen diesen Mangel normalerweise teilweise aus, aber auch ihre Testangebote sind stark beeinträchtigt. Zusätzlich stehen sie unter teilweise enormem finanziellen Druck, weil ausfallende CSDs und Fundraising-Aktivitäten die Spendeneinnahmen einbrechen lassen. Und nicht nur das: Laut DAH ist die Finanzierung der Testangebote in Aidshilfen in vielen Städten gefährdet: Die Kommunen wollen sie im nächsten Jahr nicht wieder zur Verfügung stellen oder kürzen. Sven Warminsky:

„Um Aids-Erkrankungen und HIV-Neuinfektionen weiter zu reduzieren, dürfen keine Testangebote wegfallen, sie müssen vielmehr weiter ausgebaut werden. Hier stehen Länder und Kommunen in der Verantwortung.“

Mehr Selbsttests wagen!

Wie Leser*innen dieses Magazins vielleicht wahrgenommen haben, ist eine Maßnahme, die das RKI empfiehlt, Selbsttests stärker zu bewerben und Angebote von Einsendetests auszuweiten.

Das Kooperationsprojekt s.a.m health von Deutscher Aidshilfe, Münchner Aids-Hilfe, Labor Lademannbogen und ViiV Healthcare ist inzwischen deutschlandweit verfügbar und ermöglicht es erstmals jedem in einem selbstgewähltem Rhythmus einen Test auf HIV, Syphilis, Chlamydien und Gonorrhö (Tripper) bequem zuhause durchzuführen. Die Ergebnisse gibt’s per Telefon/SMS und das ganze ist ab 32 Euro unschlagbar günstig zu haben.

PrEP für alle!

Die medikamentöse HIV-Prophylaxe PrEP muss nach Ansicht der DAH noch bekannter und vor allem allen Menschen zugänglich gemacht werden, für die sie in Frage kommt. Rund 17.500 Menschen nutzen nach DAH-Schätzungen bisher diese Schutzmethode. Das ist ein Erfolg, doch es könnten noch deutlich mehr sein.

In kleineren Städten und ländlichen Regionen gibt es teilweise keine Möglichkeit, sich die PrEP verschreiben zu lassen. Und so vermerkt auch das RKI in seinem Bulletin, dass ein Effekt der PrEP auf die Neuinfektionszahlen bisher nicht nachzuweisen ist. Deshalb kommentiert die DAH:

„Wir haben auf einen weiteren Rückgang der Zahlen gehofft. Immerhin zahlen seit letztem Jahr die Gesetzlichen Krankenkassen für die HIV-Prophylaxe PrEP und immer mehr Menschen mit HIV erhalten früh eine Therapie. Doch die Möglichkeiten der Prävention in Deutschland werden bisher nicht voll ausgeschöpft. Es ist dringend an der Zeit, alle wirksamen Methoden auch allen Menschen mit HIV-Risiken anzubieten.“

2021 wird zeigen, ob und wie der erfolgreiche deutsche Weg in der HIV-Prävention fortgesetzt wird. Gefordert sind alle, denn HIV ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. 


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