#SCHUTZDURCHTHERAPIE • GRENZWERTIG: DER CHARLIE-SHEEN-EFFEKT

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Ein als heterosexueller Frauenheld verschriener US-Schauspieler outet sich Mitte November in einer Talkshow als HIV-Positiver. So weit, so Boulevard. Was dann in Amerika und kurz darauf hierzulande passierte, bestimmte sogar die Debatte am Welt-Aids-Tag. Ein Überblick über Nachweisgrenzen, Kondomnutzung und den Umgang mit chronisch Kranken in der Öffentlichkeit.

DER STEIN DES ANSTOSSES

Lange wurde gemunkelt, vermutet und unterstellt, bis der öffentliche Druck zu groß wurde und die vermuteten Schweigegeldzahlungen wohl zu astronomisch. Charlie Sheen, einst einer der bestbezahlten Seriendarsteller der USA (Two and a Half Men), dann durch Drogen- und Alkoholexzesse liebste Zielscheibe von Paparazzi und Klatschpresse, erzählt in Amerikas Talkshow Nummer eins der Weltöffentlichkeit von seiner HIV-Infektion. Auch Erpressungen von Sexualpartnerinnen habe es gegeben, die zum Beispiel Fotos seiner Medikamente gemacht hätten. Ein Detail seiner Beichte führte dann zu dem, was die Redaktion der blu Mediengruppe in dieser Ausgabe als den Charlie-Sheen-Effekt bezeichnet. Sheen gestand, trotz seiner Infektion mit einigen Partnern weiterhin Sex ohne Kondom gehabt zu haben. Er habe aber mit diesen darüber gesprochen und es sei aufgrund seiner funktionierenden HIV-Therapie nicht möglich, dass er dabei jemanden angesteckt habe. Diese Aussage wurde erst in den US-Medien, dann auch weltweit und selbst in Deutschland auf ziemlich unglückliche Art und Weise und moralisierend kommentiert. Das führte durch Halbwissen und krasse Falschaussagen zu einer Debatte über moderne Präventionsansätze. Ein erster Höhepunkt wurde bereits kurz nach Bekanntwerden der Infektion von Charlie Sheen erreicht.

IST KONDOMVERZICHT ÖFFENTLICH ZU MACHEN SCHLAU?

In Nordrhein-Westfalen fühlte sich ein Sprecher des Schulaufklärungsprojektes SchLAu als HIV-Positiver von der vorurteilsbeladenen Berichterstattung angegriffen und postete auf seinem privaten Facebook-Profil: „Ich habe HIV und würde es wieder tun! Ich habe regelmäßig Sex ohne Kondom. Schutz durch Therapie macht es möglich. Menschen mit HIV sind nicht kriminell!“ Eine solch öffentliche Bekundung ist tatsächlich neu, auch wenn der Begriff „Schutz durch Therapie“ bereits seit einem Statement der Eidgenössischen Kommission für Aids-Fragen (EKAF) im Jahre 2008 immer bekannter und anerkannter wurde. Zu groß die Sorge, durch allzu forsche Aussagen Missverständnisse und Vorurteile zu schüren, anstatt sie abzubauen. So dann auch im Falle des Aktivisten. Bis zu einer Kleinen Anfrage im Landtag von Nordrhein-Westfalen schaffte es der auf den Mann losbrandende Shitstorm. Gestützt von schlecht recherchierten Medienberichten bei Sat.1 oder in der Huffington Post wurde dem ehrenamtlichen Aufklärer vorgeworfen, die Prävention zu beschädigen. Die FDP-Landtagsabgeordnete Susanne Schneider: „Ein Sprecher von SchLAu-NRW - eine Organisation, die mit Landesmitteln schwul-lesbische Aufklärungsarbeit für Jugendliche leistet - hat öffentlich über Facebook verbreitet, er habe trotz HIV-Infektion regelmäßig Sex ohne Kondom. Schutz durch Therapie mache das möglich. Ehrlichkeit bei Sexdates sei ihm ziemlich egal. Das ist meiner Meinung nach die falsche Botschaft.“

In der Folge trat der junge Mann von seinem Posten bei SchLAu zurück, blieb aber bei seiner Aussage. Unterstützung erhielt er dabei von Aidshilfen und auch von SchLAu selbst, die in einer Mitteilung über Facebook Stellung bezogen: „Die Äußerungen zum Thema Safer Sex wurden privat getätigt und waren nicht Teil seines Engagements bei SchLAu NRW. Die geäußerten Inhalte zu „Schutz durch Therapie“ sind wissenschaftlich fundiert, für unsere Bildungsarbeit wären sie jedoch verkürzt und nicht zielgruppenadäquat formuliert. SchLAu NRW begreift Schutz durch Therapie, neben beispielsweise der Benutzung von Kondomen, als einen möglichen Baustein einer individuellen Safer-Sex-Strategie. Wenn im Kontext von SchLAu über Safer Sex und STI gesprochen wird, ist der Verweis auf den Schutz durch Kondome eine Selbstverständlichkeit. Grundsätzlich stellen Selbstverantwortlichkeit, Einvernehmlichkeit und ein grenzachtender Umgang zentrale Werte dar, die wir in unseren Workshops vermitteln - Wir respektieren und bedauern seine Entscheidung sein Amt als Sprecher niederzulegen. Sein Engagement wird uns sehr fehlen.“

Nun hätte sich der Charlie-Sheen-Effekt abschwächen können - tat er aber nicht. Im Gegenteil: Der Shitstorm gegen den Aktivisten führte zu einer Solidaritätswelle, die einen Tag vor dem Welt-Aids-Tag in der Gründung einer provokanten Initiative mündete.

WIR MACHEN'S OHNE, SAFER SEX DURCH THERAPIE

Elf HIV-Positive nahmen den Schwung der öffentlichen Diskussion über den Schutz durch Therapie zum Anlass, einen - laut der schweizerischen Initiatorin und HIV-Aktivistin Michèle Meyer länger geplanten - Schritt in die Öffentlichkeit zu wagen: Mit Fotos und Statements gingen sie über eine Facebook-Seite online. Gegenüber dem Vice Deutschland Magazin erklärt die Aktivistin: „Es ist einfach höchste Zeit, dass wir als Menschen mit HIV offen über dieses Thema sprechen. Das Thema wird schon seit Langem in Präventionsbotschaften und Kampagnen angesprochen. UNAIDS spricht davon, die Ärzte sprechen davon. Alle dürfen darüber sprechen, nur wir nicht. Es ist wichtig, dass wir gemeinsam sagen: „Wir sind nicht infektiös und wir dürfen das auch aussprechen.“

Die Facebook-Seite schaffte es binnen kürzester Zeit in die Berichterstattung rund um den Welt-Aids-Tag, nicht, ohne wiederum Kontroversen loszutreten, die den aufgeklärten Beobachter schon fast an die Panikreflexe der 1980er-Jahre erinnerten. Die Angriffe gegen die Aktivisten gipfelten zuletzt in Mordvorwürfen. So postete ein wohl dem rechten Spektrum zuzuordnender queerer Blogger ein Video, das den offen HIV-positiven Berliner Abgeordneten der Partei DIE LINKE, Carsten Schatz, bei einer Rede zeigt, in der dieser dem Papst wegen des Kondomverbotes der katholischen Kirche Mord vorwarf. Perfide stellt der als ehemals hochrangiger Mitarbeiter des Vatikans bekannt gewordene Ex-Lehrer die Frage, ob die Aktivisten Mörder seien. „Wenn es nach der Logik von einem der Ihren geht, ja“, unterstellt der offenbar entweder absichtlich dumm tuende oder tatsächlich gefährlich halbgebildete Autor. Klar ist, dass Carsten Schatz sich gegen ein Kondomverbot ausgesprochen hatte, welches in Afrika zu einer verheerenden Verbreitung von HIV geführt hat. Mitnichten kann ein Eintreten für die Anerkennung des Schutzes durch Therapie damit verglichen werden. Das aber scheint den Gegnern egal, sie wurden in der Diskussion noch persönlicher. Den elf Aktivisten wurden wenig später von gleicher Stelle „deprimierte Gesichter“ attestiert. „Schön und glücklich“ mache „die Ich-bin-stolz-poz-zu-sein-Geschichte definitiv nicht“. Die Antwort eines Followers, „wir alle kennen doch die hiv-fressen [sic!] natürlich sieht man das bei vielen. wie crack“, wurde munter gelikt. So weit, so abstoßend die negativen Exzesse der Diskussion über den Schutz durch Therapie.

DER, DIE, DAS POSITIVE

Glücklicherweise sorgten die Aktionen um den Aktivisten von SchLAu NRW und das Massenselbstouting der Anwender von Schutz durch Therapie aber auch für eine breite aufklärende Medienberichterstattung - bis hin zu einem Bericht in der Tagesschau, in der Holger Wicht, Pressesprecher der Deutschen AIDS-Hife, die deutsche Präventionsarbeit anhand der seit Jahren stabilen Neuinfektionszahlen auf einem der weltweit niedrigsten Niveaus als erfolgreich verteidigen konnte. Die Tagesschau ging in einer Nachfrage ebenfalls auf die Aktion der HIV-Positiven ein und gab so die Möglichkeit einer fundierten Stellungnahme, die die Kampagnenmacher bestätigte.

DIE WISSEN WIRKLICH, WAS SIE TUN!

Nach all der aufgeregten Diskussion zum Grundsätzlichen: Schutz durch Therapie ist anerkannt und im Internet gibt es viele Quellen, die Aufklärung bringen. „Ein HIV-Positiver, der HIV nicht weitergeben kann, handelt beim Sex mit HIV-Negativen nicht verantwortungslos. Er kann sich darauf verlassen, dass sein Gegenüber geschützt ist“, betont DAH-Vorstand Izdebski in einer Stellungnahme. „Verantwortungslos handeln diejenigen, die andere herabwürdigen, statt sich zu informieren. Die Kommentare verstärken das Klischee, Menschen mit HIV seien eine Gefahr. Sie leisten damit Ausgrenzung Vorschub.“ Die Selbsthilfe-Aktion auf Facebook will aufklären und damit dieser Stigmatisierung entgegenwirken. Sie will ausdrücklich nicht zum Kondomverzicht aufrufen. „Diese Aktion zeigt, dass es heute verschiedene Möglichkeiten gibt, eine HIV-Übertragung zu verhindern“, so Izdebski. „Kondome bleiben die einfachste Möglichkeit sich vor HIV zu schützen, die jeder selbst anwenden kann. Bei Sexualität zwischen HIV-Positiven und Negativen kann aber Schutz durch Therapie eine völlig legitime und verantwortungsbewusste Entscheidung sein, die zu einer erfüllten Sexualität beiträgt. Während HIV-Positive Menschen meist wissen, ob sie HIV noch übertragen können oder nicht, müssen HIV-Negative Menschen im Einzelfall abschätzen, ob sie genug über den Partner wissen. Dafür ist Vertrauen notwendig. Die Deutsche AIDS-Hilfe rät, im Zweifel Kondome zu verwenden.“

Diese Präventionsmethode ergänzt das ganz grundsätzlich weiterhin gültige „Kondome schützen“ und hilft, Vorurteile gegen HIV-Positive abzubauen sowie ihnen und ihren Partnern ein angstfreies Sexualleben zu ermöglichen. Der Charlie-Sheen-Effekt bewirkt also hoffentlich genau dies: einen offeneren und ehrlicheren Diskurs über die Risiken und Nebenwirkungen von Sex. Play Safe! *Christian Knuth

Foto: Praktische Erfahrungen mit dem Schutz durch Therapie berichten zum Beispiel der HIV-positive Stefan und der HIV-negative Jeff unter WWW.IWWIT.DE. Beide lebten das Präventionskonzept während ihrer Beziehung.

Internet: HIER FUNDIERTE INFOS DER AIDSHILFE

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