#schlauzuhiv • Geilheit schützt vor Schaden nicht

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Chemsex: Macht Spaß, ist aber ungesund. Weiß jeder. Chemsex lässt sich nicht als Attitude oder Modeerscheinung abtun. Chemsex ist ein wachsendes Problem in der LGBTIQ*-Community, gerade in Ballungsräumen. Die möglichen psychischen und sozialen Folgen des Drogenkonsums sind das eine und überwiegend bekannt. Was aber die Kombination aus medikamentöser HIV-Therapie und Chemsex mit deinem Körper macht, ist Thema unseres Nachgefragt mit Dr. Sven Schellberg, Novopraxis Berlin.

Foto: Novopraxis Berlin

„Jetzt hat der*die doch schon HIV und nimmt dann trotzdem noch Drogen! Muss das denn sein?“ Wie verbreitet ist Chemsex in der Community und gehen Menschen mit HIV anders mit dem Thema um?

Müssen muss natürlich gar nichts – aber wenn wir von stigmafreiem Umgang mit Menschen, die mit HIV leben reden, dann wird natürlich jedes Thema, dass in der LGBTIQ*-Community ein Thema ist, auch ein Thema für Menschen, die mit HIV leben werden können. Nicht müssen. Chemsex ist verbreitet – abhängig natürlich davon, was man als „Chemsex“ bezeichnet und wo man sich befindet. Gehört „Poppers“ schon dazu und wie unterscheidet sich Berlin z. B. von Stuttgart?

Bei unseren Patienten in Berlin haben 58 Prozent Erfahrungen mit Substanzen, die im sexuellen Kontext genutzt werden. Für uns sind GBL/GHB, Crystal Meth und Mephedron derzeit die wesentlichen Substanzen.

Der Umgang mit Sexualität ist in der LGBTIQ*-Community häufig ein anderer. Man ist offener, Sex ist einfacher verfügbar und man ist experimentierfreudiger. Das bedeutet aber nicht, dass der Gebrauch von Substanzen nicht längst auch bei „Sex-Positiven“, sich nicht binär definierenden oder auch in der Hetero-Welt angekommen ist.

Die meisten HIV-Medikamente werden in der Leber abgebaut. Viele chemische Drogen aber auch. Kann die Leber das gleichzeitig oder beeinflussen sich die Substanzen gegenseitig?

In der Tat gibt es viele HIV-Medikamente, die in der Leber abgebaut werden – sowohl können diese den Abbau von Substanzen beeinflussen als auch umgekehrt. Man nennt das Wechselwirkungen und da häufig mehr als eine Substanz gebraucht wird und auch moderne HIV-Medikamente zumindest immer zwei Substanzen oder mehr enthalten, kann es da schon sehr unübersichtlich werden, zumal man TINA oder G sicherlich nicht im Beipackzettel erwähnt finden wird.

Welche Folgen kann regelmäßiger Substanzkonsum auf die HIVInfektion und die laufende Therapie haben?

Problem sind einmal die beschriebenen Wechselwirkungen – im schlimmsten Fall wird der Abbau der HIV-Medikamente durch Substanzen so sehr beschleunigt, dass diese nicht mehr wirken oder aber die Wirkung der Drogen wird so verstärkt, dass es lebensgefährlich werden kann. Dazu kommt, dass jemand, der gerade auf einer Chemsex-Party von Freitag bis Montagmorgen war, vermutlich an anderes, als an die regelmäßige und korrekte Einnahme seiner HIV-Medikamente denkt.

Gibt es Unterschiede bei den verschiedenen HIV-Regimen in Bezug auf mögliche Wechselwirkungen mit Drogen und wo bekomme ich Informationen dazu?

Ganz klar „Ja“. Manche Medikamente haben weniger Wechselwirkungen als andere. Deshalb ist das offene Gespräch über Substanzgebrauch auch für uns als Behandler wichtig. Für jemanden, der regelmäßig Chemsex macht, werde ich, falls irgend möglich, ein Therapieregime auswählen, das hier zumindest weniger Risiken aufweist. Ganz generell schwierig sind hier Therapieregime, die einen Proteasehemmer enthalten. Diese benötigen, damit sie 24 Stunden wirken können, einen chemischen Verstärker („Booster“) der aber auch die Wirkung von Substanzen verstärken kann.

Finden sich die Substanznamen „Ritonavir“ oder „Cobicistat“ auf der Medikamentenpackung ist in jedem Fall höchste Vorsicht geboten.


An wen kann ich mich wenden, wenn ich Chemsex als Problem in meinem Leben erkannt habe und mein Verhalten ändern will?

Das Problem erkannt zu haben, ist der wichtigste Schritt. Eine Vertrauensperson sollte der erste Ansprechpartner sein. Eine Freundin, ein Kumpel, ein Sozialarbeiter oder eben auch ein Arzt. Hauptsache reden. Je nach Stadt und je nach sexueller Präferenz in deren Rahmen der Gebrauch stattfindet, gibt es unterschiedliche Beratungsangebote. Die {quapsss}-Initiative der DAH oder die Beratungsangebote der Schwulenberatung in Berlin (mancheck) sind für mich die Angebote, die ich gerne als erste nenne.

Im Notfall hilft aber auch der Krisendienst, Fixpunkt – sogar über die Telefonseelsorge (08001110111 – gebührenfrei) habe ich schon Patienten bekommen.

Und – wenn es ganz schief gelaufen ist, und es zu Vergiftungserscheinungen, Bewusstlosigkeit etc. gekommen ist – bitte den Notruf 112 und erzählen was passiert ist.

Das rettet Leben!

www.hiv-drogen.de

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