#Kommentar zum Welt-AIDS-Tag: Ein Hoch auf die Sorglosigkeit!

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Angst ist kein guter Ratgeber, Sorgen sind belastend. Die Erinnerung an das Trauma Aids darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die eh schon durch Minderheitenstress belastete sogenannte HIV-Risikogruppe von Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), auch deswegen riskanter Sex hat, weil dieser stark durch Scham und Angst beeinflusst ist. Ein Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt. 

We all feel better in the dark …*

Ein Satz, der symptomatisch für das Sexualverhalten eines großen Zweiges der schwulen und bisexuellen Sexszene steht. Ich selber gehöre dazu und habe meist lieber die anonyme Atmosphäre von Darkroom-Bars, Sexkinos oder Parks mit ihren ganz eigenen Spielregeln, als das romantisch verklärte Daten nach heteronornativem Drehbuch. Mir ist bewusst, dass ich dies zwar von Jugend an relativ losgelöst von eigenen inneren Kämpfen mit meiner sexuellen Orientierung praktiziere, aber eben auch nur relativ. Vielen Männern ist solches Denken allerdings aufgrund ihrer Lebenssituation völlig fremd. Sie sind einfach froh, heimlich ihren Trieben nachgehen zu können. Aus dem Korsett von Ehe und Familie, Glauben und Konvention auszubrechen, sich vielleicht auch nur dem Reiz des Verbotenen hingeben zu können.

Diese Männer leiden aber sehr häufig unter Gewissenskonflikten und Scham, die Heimlichtuerei macht sie psychisch krank und führt unter Umständen zu einem Verdrängungsprozess, der auch das zu Sex gehörende Thema Krankheit einschließt. Besser formuliert ausschließt, denn um den Alltag zu bewältigen, ohne an das eigene vermeintliche Versagen erinnert zu werden, sind Gespräche über Risiken sexuell übertragbarer Krankheiten genauso tabu, wie die empfohlenen jährlichen Check-ups in Beratungsstellen oder bei Ärzten. Fatal für die HIV-Prävention, wie Schwerpunktmediziner, Forscher und Aktivisten immer wieder berichten. 

HIV als Verstärker 

Die immer noch mit gesellschaftlichen Stigmata verbundene HIV-Ansteckung verstärkt diesen Verdrängungsprozess. Die Angst, den eigenen moralischen Maßstäben nicht zu genügen, wird durch die Sorge vor Aids potenziert beziehungsweise wird diese als Ersatzhandlung zelebriert. Selbst eigentlich aufgeklärte und - wie es so schön heißt - gestandene Männer versuchen sich darin, wissenschaftliche Tatsachen wie die Wirksamkeit von PrEP und Schutz durch Therapie zu negieren, nur um nicht darüber nachdenken zu müssen, dass sie Sklaven eines kranken und krankmachenden Systems der Unterdrückung und Kontrolle von menschlicher Sexualität sind. Anstatt dieses System zu bekämpfen, wird Sex in gut und böse eingeteilt, HIV und Positive als Gescheiterte, Sünder, Schmutzige stigmatisiert. 

Die neue Sorglosigkeit 

Seit Schutz durch Therapie und nun PrEP eine völlig neue persönliche Risikostrategie der eigenen Sexualität ermöglichen, wird die damit einhergehende Möglichkeit der Zunahme von Sex und in der Folge durch Sex übertragbarer Krankheiten als drohendes Szenario einer angeblichen Sorglosigkeit zugeschrieben. Erstens ist dies offensichtlich falsch, denn beide Präventionsstrategien beruhen auf einem hohen Risikobewusstsein und proaktiver Auseinandersetzung mit der Thematik, zweitens beißt die Katze sich hier in den Schwanz:

Sorglosigkeit, also die Abwesenheit von Sorge als etwas Negatives zu bezeichnen, kann sich doch wirklich nur eine kranke Seele ausdenken. Nichts würde vermutlich in unserem Land die Zahl der HIV-Neuinfektionen besser senken, als ein sorgloserer Umgang mit (Homo)sexualität. Sorglos im Sinne eines aufgeklärten, enttabuisierten, freien Zustandes, der Heimlichtuerei, Verdrängung und Stigmatisierung von Sex und seinen Risiken verhindert. 

Darauf ein Hoch, packen wir es an! 


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