COVID-Studie zu trans*: „Wir haben gefunden, was wir befürchtet hatten“

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Wir alle erleben wegen der Corona-Pandemie im Moment erhebliche Einschränkungen. Sind trans* Menschen von der Pandemie besonders betroffen? Wie wirkt sich die Pandemie auf die Gesundheitsversorgung von trans* Menschen aus? Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf hat gemeinsam mit 23 Community-Organisationen eine Studie in 26 Sprachen durchgeführt, an der über 5.000 trans* Menschen aus 63 Ländern teilgenommen haben. Wir sprachen mit Studienleiter Andreas Köhler.

Weitere Informationen zu den Auswirkungen der Pandemie auf die LGBTIQ*-Community findest du HIER

Warum könnten trans* Menschen durch die Folgen der Corona-Pandemie besonders gefährdet sein?

Trans* Menschen sind überall auf der Welt, nicht nur in Deutschland, einer Vielzahl von Diskriminierungen und Marginalisierungen ausgesetzt. Das fängt auf der staatlich-strukturellen Ebene an, wo beispielsweise bestimmte Gesetzgebungen die Änderung des Personenstandes und des Vornamens unnötig erschweren. In den USA oder Großbritannien sehen wir außerdem momentan beunruhigende Gesetzesinitiativen, die es etwa trans* Jugendlichen zum Teil unmöglich machen würden, Zugang zu trans*-spezifischer medizinischer Versorgung zu bekommen.

Trans* Menschen berichten häufiger von Depressionen, Angstsymptomen und Suchterkrankungen.

Hinzu kommen gesellschaftliche Stigmata und Diskriminierungsmechanismen. Abweichende Geschlechtsidentitäten werden von großen Teilen der Gesellschaft infrage gestellt oder gar pathologisiert, also als krankhaft verstanden. Infolgedessen sind trans* Menschen auch häufiger Opfer von verbaler und physischer Gewalt. Die Zahlen der Human Rights Campaign zur Hasskriminalität gegenüber trans* Menschen sind erschreckend.

All diese Diskriminierungen und Einschränkungen können eine große gesundheitliche Belastung darstellen. So berichten trans* Menschen beispielsweise häufiger von Depressionen, Angstsymptomen und Suchterkrankungen.

Foto: privat

Wie sehen denn die Ergebnisse aus? 

Unsere Studie ergab, dass trans* Menschen in vielerlei Hinsicht Risikofaktoren mitbringen, die mit einer schweren COVID-19-Infektion einhergehen können. Das sind etwa gesundheitliche Risikofaktoren wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lungenerkrankungen, aber auch Risikoverhalten wie beispielsweise Rauchen.

Der Zugang von trans* Menschen zur trans*-spezifischen Gesundheitsversorgung war massiv eingeschränkt.

Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass trans* Menschen beispielsweise aufgrund der Angst vor Diskriminierung durch Ärzt*innen häufiger keine Corona-Testungen in Anspruch nehmen. Für die Gesundheit von trans* Menschen kann dies ein großes Problem sein. Des Weiteren fanden wir heraus, dass der Zugang von trans* Menschen zur trans*-spezifischen Gesundheitsversorgung massiv eingeschränkt war.

So wurden Operationen ohne Alternativtermin abgesagt. Der Zugang zu Hormonen war aus unterschiedlichen Gründen erschwert: Endokrinolog*innen, also „Hormonärzt*innen“, haben z. B. wegen der Pandemie zeitweise keine Termine mehr vergeben. Auch die psychosoziale Begleitbehandlung konnte aufgrund von Kontaktbeschränkungen oft nicht adäquat stattfinden.

Das hat sich zum Glück mittlerweile jedoch etwas eingespielt und funktioniert besser, z. B. durch die Möglichkeit der Online-Konsultationen von Ärzt*innen. Hinzu kommt, dass der Zugang zu Unterstützungsangeboten der Community wie Selbsthilfegruppen zum Teil stark eingeschränkt war und ist.

Was hat dich persönlich an den Ergebnissen am meisten überrascht?

Leider haben wir nahezu das herausgefunden, was wir erwartet oder besser gesagt befürchtet haben, nämlich dass die COVID-19-Pandemie einen massiv negativen Einfluss auf trans* Menschen hat und mit einer Vielzahl von Einschränkungen beim Zugang zur Gesundheitsversorgung einhergeht.

Ich habe gesehen, dass ihr in euren Ergebnissen sehr viele Unterkategorien erfasst habt. Also dass ihr nicht nur trans* Frauen oder Männer, sondern auch nicht-binäre oder inter* Personen gefragt habt. Zusätzlich habt ihr nach vorhandenen Behinderungen oder chronischen Krankheiten gefragt. Warum sind diese Unterscheidungen wichtig?

Zuerst einmal ist es wichtig, nicht nur zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht zu unterscheiden, weil dies nicht die gesellschaftliche Realität abbildet. Geschlechter, die sich dem exklusiven Mann-Frau-Schema widersetzen, sind eine gesellschaftliche Wirklichkeit, auch wenn es Menschen gibt, die diese nicht anerkennen wollen.

Es ist wichtig herauszufinden, ob ein nicht-binärer Mensch andere Anforderungen an das Gesundheitssystem stellt als eine binär identifizierte Person.

Aus der Wissenschaft wissen wir, dass ungefähr 20 Prozent der Menschen, die sich als trans* identifizieren, sich auch als nicht-binär beschreiben. Das heißt, wenn wir dieses Fünftel der trans* Bevölkerung erfassen wollen, dann sollten wir ihnen auch den Raum geben, sich in unseren Studien wiederzufinden. Dabei ist es auch wichtig herauszufinden, ob ein nicht-binärer Mensch andere Anforderungen an das Gesundheitssystem stellt als eine binär identifizierte Person und damit möglicherweise während der COVID-19-Pandemie spezifische Belastungen erlebt.

Dazu kommt, dass Aspekte wie race, Behinderung oder die Zugehörigkeit zu einer religiösen Gruppe Faktoren sind, die das Erleben der Einschränkungen, die mit der Corona-Pandemie einhergehen, beeinflussen können. Beispielsweise erlebt ein rassifizierter trans* Mensch sehr wahrscheinlich Mehrfachdiskriminierungen als trans* Mensch und als Person of Colour.

Um zu klären, welche Rolle diese vielfältigen Aspekte, die einen Menschen ausmachen, für die Trans*-Gesundheitsversorgung in der Corona-Pandemie spielen, ist es wichtig, diese unterschiedlichen Aspekte auch zu erfragen.

Ihr habt auch danach gefragt, ob die Person Sexarbeit nachgeht. Warum?

Das ist ein guter Punkt. Eine Kollegin aus Belgien hat die Daten aus unserer Studie zu Sexarbeiter*innen ausgewertet. Es ist so, dass trans* Sexarbeiter*innen spezifische gesellschaftliche Herausforderungen erleben. Unsere Annahme war, dass trans* Sexworker*innen durch die Corona-Pandemie besonders betroffen sein könnten. Genau dies findet sich in unseren Ergebnissen wieder.

Unter trans* Sexarbeiter*innen war die HIV-Rate zehnmal höher als unter den nicht-sexarbeitenden trans* Personen.

In der Gesamtstichprobe nehmen etwa ca. 20 Prozent der trans* Menschen aus Angst vor Diskriminierung keine Corona-bezogene Gesundheitsversorgung in Anspruch (also beispielsweise Testungen), unter den Sexarbeiter*innen waren es jedoch 45 Prozent. Trans* Sexarbeiter*innen waren zu fast 30 Prozent nicht krankenversichert. Unter trans* Sexarbeiter*innen war die HIV-Rate zehnmal höher als unter den nicht-sexarbeitenden trans* Personen. Sie waren stärker von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lungenerkrankungen und infektiologischen Erkrankungen belastet.

Diese Ergebnisse, die bereits aus früheren wissenschaftlichen Arbeiten bekannt sind, stellen potenzielle Risikofaktoren für Diskriminierungserfahrungen und daraus folgende psychische Belastungen dar, die im Zuge der Corona-Pandemie nochmals verstärkt werden könnten.

So richtig und wichtig, dass ihr diese Unterkategorie aufgemacht habt! Wie sieht die Finanzierung der Studie aus? Wer fördert das Projekt?

Es gab leider keine spezifische Finanzierung für dieses Projekt, sodass wir die Studie zusätzlich zu unserer bisherigen Forschungsarbeit durchgeführt haben.

Zur Klarstellung: Ihr habt das praktisch ehrenamtlich gemacht?!

Für das Projekt an sich bekommen wir kein Geld. Wir sind aber in unterschiedlichen Anstellungsverhältnissen beschäftigt. Timo Nieder leitet am UKE eine Spezialambulanz, Joz Motmans ist Professor an der Uniklinik Gent in Belgien und ich arbeite wissenschaftlich am UKE. Ich werde über ein Stipendium der Claussen-Simon-Stiftung finanziert und die anderen beiden sind an ihren Kliniken fest angestellt. Als die Pandemie begann, haben wir dieses Projekt kurzfristig auf die Beine gestellt, da wir es aus den genannten Gründen sehr wichtig fanden, dass ein solches Projekt existiert.

Weitere Informationen zur Studie findest du HIER.


Anm. d. Red.: Hier verwendet der Interviewpartner race statt ‚Rasse‘, da im englischen Sprachraum durch Wissenschaft und Aktivismus mittlerweile eine Umdeutung und kritische Aneignung des Begriffes stattgefunden hat. Sowohl race als auch ‚Rasse‘ entstanden aus biologistischen Forschungen im Westen, die (vermeintliche) biologische Unterschiede als Begründung für Kolonialismus und Sklaverei nutzten. Race steht heute für die politischen und sozialen Folgen solcher rassistischen Einteilungen und hat sich so von seinem biologistischen Hintergrund gelöst. Da eine derart sozialkonstruktivistische Umdeutung des Begriffs ‚Rasse‘ im deutschsprachigen Raum nie stattgefunden hat, verzichten wir auf dessen Verwendung.   

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