SODOM – schwules Autorenkino aus Berlin

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Am 10. November 2016 hat sich der Deutsche Bundestag erstmals für eine Förderung queerer Filmfestivals ausgesprochen. Leider findet die LGBTQ- Filmkultur in deutschen Kinos bislang nur wenig bis gar keinen Widerhall. Deshalb gilt diese Entscheidung als wichtiges Zeichen zur Stärkung einer offenen und toleranten Gesellschaft.

Foto: Dog and Wolf Films

Der in Berlin lebende britische Regisseur und Drehbuchautor Mark Wilshin hat gerade seinen ersten Kinofilm, „Sodom“, gedreht (Kinostart 2017) und erzählt von seinen Erfahrungen als schwuler Filmemacher:

Foto: Dog and Wolf Films

#1 – Das Thema des Films

Ich glaube an schwule Filme. Und wie meine Vorbilder Andrew Haigh und Ira Sachs glaube ich an die Transparenz. Unsere Stories werden allzu oft für die große Leinwand verwässert oder dazu benutzt, „Pinkwashing“ zu betreiben. In „Sodom“ geht es um die dunkle Seite der Homosexualität – also um die Konflikte und Ängste, die damit einhergehen. Aber ich maße mir nicht an, für die schwule Community zu sprechen. Mein selbst erlittener Schmerz war der einzige, den ich wirklich kannte. Und genau deshalb ist es ein sehr ehrlicher Film, eine fiktive Geschichte meiner eigenen Erlebnisse, damals wie heute. Es geht um das Coming Out, um Akzeptanz und den Druck sich anzupassen – und all das passiert im Film in einer einzigen Nacht.

Foto: Dog and Wolf Films

Foto: Dog and Wolf Films

#2 – Pink = Porno

Um eine Finanzierung auf die Beine zu stellen, schickte ich mein Skript an Produzenten und danach an Casting-Agenten. Im Vorfeld hatte ich einige Skripte gelesen, damit mir keine Anfängerfehler unterlaufen. Aber irgendwie war mir entgangen, wie Sex-Szenen „normalerweise“ geschrieben werden. Es zeigte sich, dass sie in meinem Skript viel expliziter waren als üblich. Das hat vermutlich nicht gerade geholfen. Doch ich fand meine Szenen im Vergleich zu Filmen wie „Love“ oder „Théo et Hugo“ relativ zahm. Dennoch fanden sie manche Casting-Leute und potenzielle Crew-Mitglieder „pornografisch“ oder zu „erwachsen“ für einen jungen Schauspieler. Heißt das, Homosexualität ist wirklich immer noch „Adults Only“? 

#3 – Ich bin zu schwul

Es gibt anscheinend kein „schwul“, das nicht gleichzeitig „zu schwul“ ist. Und ein schwuler Film wird sofort zum Nischenfilm erklärt. Es sind nicht nur Produzenten, Geldgeber und Beteiligte, die abwinken. Es gibt auch einen allgemeinen Konsens, dass Filme der breiten Masse gefallen müssen. Nichtsdestotrotz glaube ich an schwule Stories. Sie sprechen mich nicht nur direkt an, vielmehr bin ich auch davon überzeugt, dass wir gerade erst anfangen, an der Oberfläche von schwulen Erfahrungen zu kratzen. Unser Film hat eine starke, universelle Botschaft – es geht um Mut und die Möglichkeit zur Veränderung. Aber was das Marketing angeht, hat sich gezeigt: Entweder ist der Film schwul oder nicht. Für Nuancen ist da kein Platz. Und vielleicht auch nicht für einen schwulen Film für Heteros.

Foto: Dog and Wolf Films

#4 – Oder nicht schwul genug

Ein schwuler Film für Heteros? Warum nicht? „Sodom“ wird erzählt aus der Perspektive von Will, einem heterosexuellen/verwirrten Mann am Abend seines Junggesellenabschieds in Berlin. Es geht um die Konflikte beider Männer – sowohl die Wut und die Verwirrung des Coming Outs, als auch die Frustration und die Einschränkungen, die das geoutete Leben mit sich bringen. Der Film zeigt, was es bedeutet schwul zu sein – und zwar die guten genauso wie die schlechten Aspekte. Was die Geschichten dieser beiden Männer verbindet, ist Homophobie. Oder zumindest die Homophobie, die beide verinnerlicht haben, ebenso wie der überwältigende Drang, ein „echter“ Mann in einer heterosexuellen Welt zu sein. Es gibt natürlich Tausende anderer LGBT Stories – vielleicht dringlichere, politischere, gewagtere. Aber ich würde sagen keine ehrlichere.

#5 – Hallo? Gibt es da draußen eine schwule Community?

Je länger ich an Wills Geschichte schrieb, der durch die Zweifel und Ängste eines älteren schwulen Mannes lernt, desto mehr faszinierte mich die Idee einer schwulen Community, die sich gegenseitig unterstützt. Vielleicht weil ich mir wünschte, damals selbst so einen Mentor gehabt zu haben. Natürlich gibt es eine schwule Community, sogar außerhalb der Bars und Clubs, und „Sodom“ ist ein Teil davon. Der Film ist unsere Art, in den Dialog zu treten. Aber unterstützen wir einander auch, einmal abgesehen von unseren Kaufentscheidungen für Magazine und Filme? Könnten wir noch mehr tun? Auf jeden Fall.

Foto: Dog and Wolf Films

#6 – Es geht auch um die anderen

Es geht aber nicht nur darum, die Vorstellungen Schwuler zu verändern. Auch Heterosexuelle sollten sich damit beschäftigen. Ich meine, eines Tages werden schwule Filme nichts weiter als ein Spezialinteresse sein. Genauso wie Horror- oder Science-Fiction- Filme. Unser Genre-Begriff muss einfach ausgeweitet werden. Aber es geht mir auch nicht speziell um Schwulenfilme. Es gibt gute und schlechte Filme, schwul oder nicht schwul. Und die besten Filme sind diejenigen, die uns zum Nachdenken bringen oder Gefühle in uns wecken. Die uns unterhalten oder wütend machen. Und die alle menschlichen Erfahrungen abdecken, wahrhaftig und ehrlich. 

Zu „Sodom“:

Im Kinofilm „Sodom“ geht es um die Frage, inwiefern es möglich ist, die Richtung des eigenen Lebens grundlegend zu ändern. In einer nächtlichen Reise in die düsteren Ecken der Identität begegnen sich der aus Fernsehserien wie „Verbotene Liebe“ oder dem „Tatort“ bekannte Jo Weil sowie der britische Bühnenschauspieler Pip Brignall. Will (Brignall) verbringt ein Wochenende in Berlin, um mit Freunden seinen Junggesellenabschied zu feiern. Er findet sich mit Make-up und Handschellen an einem Laternenpfahl wieder, und Michael (Weil) hilft ihm, sich aus der misslichen Lage zu befreien. Trotz Wills widersprüchlicher Gefühle besteht zwischen den beiden eine unwiderstehliche Anziehung. In Michaels Wohnung, wo sie Handschellen und Schminke entfernen und neue Kleidung holen, kommt es zwischen ihnen zum Sex. Regisseur und Drehbuchautor Mark Wilshin erklärt: „In ‚Sodom‘ geht es um Identität und Mut, zwei sehr aktuelle Themen. Wie gehe ich mit Unerwartetem um, entscheide ich aus dem Bauch heraus oder mit dem Kopf? Ist wirkliche Veränderung überhaupt möglich?“ Die rund 80-minütige Produktion ist für Wilshin und Produzent Gareth Hamilton eine Premiere: Nach vier Kurzfilmen der gemeinsamen Produktionsfirma Dog and Wolf Films drehen die beiden mit einer internationalen Crew aus acht Nationen erstmals einen abendfüllenden Spielfilm.

Foto: Dog and Wolf Films

Du kannst SODOM unterstützen!

Es läuft übrigens noch ein paar Tage eine Kickstarter-Kampagne für den Film, u.a. um Kosten für Musikrechte, Gebühren für die Teilnahme an Festivals usw. zu finanzieren. Wenn Du kannst, unterstütze den Film und „gewinne" dafür beispielsweise ein Essen mit den Hauptdarstellern! Hier der Link zur Kampagne: https://www.kickstarter.com/projects/dogandwolf/can-one-night-change-your-life.

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