DRANGSAL: „Stoß die Leute vor den Kopf“

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Wo man mich vermutet, steh ich schon lange nicht mehr“, singt Max Gruber auf dem neuen Album.

Foto: Thomas Hauser

Auf „Harieschaim“ wühlte Drangsal noch in der dunklen Seite der 80er, wobei er sich bei den Besten der düsteren Depri-Bands der Dekade hemmungslos bediente, doch nun ist er bei den Tanznummern von The Cure angekommen, den treibenden Songs von Die Ärzte oder sogar XTC. Alles klingt positiver, lebensbejahender, selbst wenn es um Krisen geht. Und er klingt sogar noch selbstbewusster, vor allem, weil er dieses Mal das meiste auf Deutsch singt. „Zores“ wird spalten. Und genau so will er es. Da muss man nur die erste Single hören, um das zu verstehen. Und um sich zu fragen, ob Farin Urlaub schon seine Anwälte auf ihn gehetzt hat, denn der Refrain von „Turmbau zu Babel“ klingt genau wie eine Die-Ärzte-Nummer, sogar die Stimme ist eine verblüffende Imitation von Farins Organ.

Foto: Thomas Hauser

Man hätte bei Drangsal ja mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Mission accomplished, denn wie Max erklärt: „Daran reiben sich die Leute. Wenn du den Newcomerbonus nicht mehr hast und nicht ein zweites Mal Jenny Elvers in dein Video nehmen kannst, dann musst du Reibung erzeugen. ,Turmbau zu Babel‘ als Single zu nehmen, war wichtig, weil ich wusste, dass der die Leute auch ankotzt.“ Es war ihm ebenso klar, dass er damit sehr viele Fans verlieren wird. „Es ist halt so – du bringst einen Song raus, und obwohl es dann noch elf weitere gibt, schreiben die ersten direkt: ,Schade. Hatte mir von der Platte mehr erwartet.‘ Das nervt mich zwar, aber ich mag eben diese Reibung: Dinge, die nicht miteinander vereinbar sind. Das ist wichtig, um die Leute weiterhin vor den Kopf stoßen zu können. Und das ist es, was mich bei der Stange hält.“

Dabei klingt „Turmbau zu Babel“ zunächst einmal regelrecht pervers gut gelaunt, doch auch da musste Max sofort gegensteuern, denn das Video dazu wirkt düster, dunkel und künstlerisch wie eine schräge Theaterproduktion in einem Berliner Hinterhof. „Was hätte ich denn machen sollen – mich in ein Blumenmeer stellen?“, lacht er, denn wieder geht es ihm vor allem darum: „Wir wollten einen Gegensatz kreieren“, einen, der sich dann auch auf den Metaebenen zeigt. „Die Salome in unserem Video ist transgender ... und sie ist so schön und sie hat so eine Präsenz!“ Max hat sie in einem Video des Labelkollegen Sam Vance-Law entdeckt. „Sie ist 19 oder 20, und was sie in dieser Welt durchmachen muss …“ Da sind seine eigenen, offen ausgelebten Identitätskrisen geradezu ein Witz: „Aber echt ey, fuck off! Ich war schon mit Jungs und mit Mädels zusammen, und: Oh! Big fuckin’ deal! Aber sie kommt in einen Raum, muss sich etwas anderes anziehen und zeigt allen ihre Titten, und man sieht, dass sie ihren Schwanz noch hat. Aber sie ist so: ,Pfff! Deal with it!‘ Das hat mich so beeindruckt!“ Schon weil es auf eine gewisse Art sehr nah an der Herangehensweise ist, mit der auch Max mit seinen Emotionen umgeht. „Sie nicht verstecken, sondern verstärken – und den Leuten aufzudrücken! Ich fand es wichtig, solche Menschen dabeizuhaben. Ob man das merkt oder nicht, ist völlig egal.“

Nein, an seiner Einstellung und seinem Ego hat sich in den zwei Jahren seit seinem Debüt nichts geändert, aber genau deswegen kann er auch Zeilen schmieden wie: „Gegen die Decke meines Schädels / schlägt ein Spalier junger Mädels (...) Gegen die Wände meines Herzens / halten hundert junge Jungs heiße Kerzen“, um kurz danach – ohne rot zu werden – ganz schlageresk zu singen: „Alles in Ordnung, denn ich lieb dich so.“ Er hat einfach keine Hemmungen. Und es waren ja Drangsals „Fickt euch alle“-Einstellung und sein riesiges Ego, die ihn so erfolgreich gemacht haben.

Der Fokus auf die deutsche Sprache ist übrigens nicht die einzige Veränderung, „weil ich natürlich versucht habe, mich weiterzuentwickeln. Ich wusste bei der ersten Platte ja gar nicht mit meiner Stimme umzugehen. Ich hatte noch nie ein Konzert gespielt, darum dachte ich, ganz hoch geht eh klar, ganz tief auch, aber Töne treffen konnte ich nicht so richtig. Jetzt habe ich versucht, dass man die Stimme sehr klar und deutlich hört, relativ unbearbeitet. Es hat geholfen, durchgehend auf Tour zu sein und die Grenzen auszuloten.“ Denn wem es bei all diesen großen Gesten entgangen sein sollte: Hinter diesem wunderbaren Großmaul steckt ein Musiker, der es ernst meint mit seiner Kunst. Max ist gekommen, um zu bleiben.

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