Interview • Max Giesinger: „… wie wichtig die Balance ist“

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Foto: C. Köstlin

2018 ist er eigentlich ein sehr glücklicher Mensch, aber das bedeutet nicht, dass ihm seit seinem Durchbruch nicht auch andere Gedanken gekommen sind.

„Ich führe das geile Musiker-Leben und erlebe den krassesten Scheiß, aber stellte fest, dass ich mit all den Leuten, die nicht im Musiker-Umfeld sind, praktisch nichts mehr zu tun hatte. Ich stellte fest, dass ich Menschen seit drei Monaten nicht geschrieben hatte, weil ich schon auf einer neuen Achterbahnfahrt war. Mir wurde bewusst, wie wichtig die Balance ist.“ Mit dem Erfolg und den daraus resultierenden Veränderungen klarzukommen, daran sind schon einige Musiker gescheitert. „Zum ersten Mal hatte ich dann eine Phase, in der ich kein Privatleben mehr hatte.“ Ein guter Grund, sich am Anfang des Jahres eine kleine Auszeit zu gönnen: Er war mit guten Freunden für eine Woche in Thailand. „Das Meer hatte die perfekte Temperatur, das Essen war fantastisch und günstig.“ Doch noch mehr als das Land interessierte ihn, was sich in ihm geändert hat. „Dann bin ich fünf Wochen rumgetravelt, als Selbsttest, ob ich noch allein sein kann unterwegs. Vier, fünf Tage konnte ich ohne Probleme für mich sein, aber irgendwann haben mir meine Leute zu Hause gefehlt, weil wir uns schon seit Jahren kennen, lange vor dem Durchbruch. In Thailand lernst du natürlich auch Menschen kennen – wo es oft der Fall war, dass mich viele Deutsche angequatscht haben und mit mir Zeit verbringen wollten. Ich wusste manchmal nicht mehr, ob sie das einfach nur tun, weil sie dann ein Selfie mit dem Typen aus dem Radio nach Hause schicken konnten, oder weil sie mich wirklich mochten. Das war irgendwie komisch für mich.“ Es ist eine neue Realität.

Foto: C. Köstlin

Rückblickend macht es ja den Eindruck, als wäre sein Erfolg von langer Hand vorbereitet gewesen, als wären „80 Millionen“ und die anderen Hits durchgeplant gewesen. Als hätte es nie anders kommen können. Aber man sollte nicht vergessen, dass das Album „Der Junge rennt“ und die Singles, die Max so selbstverständlich an die Spitze gebracht haben, aufgrund einer Crowdfunding-Kampagne zustande kamen. Allein geschafft, aus eigener Kraft – mit der Hilfe seiner Fans. „Es war der lang ersehnte Traum, der in Erfüllung gegangen ist. Seit ich 12 oder 13 war, habe ich von nichts anderem geträumt als davon, dass ich mit meiner Musik auf Tour gehen kann und Leute vorbeikommen. Ich hatte immer Lust auf das Musiker-Leben.“ Und, wie er es selbst so schön formuliert, „dann ging es plötzlich ab und ich war zweieinhalb Jahre auf einem Dauerritt. Und jetzt geht die Reise weiter.“

Auch wenn sich der Charakter seiner Reise völlig verändert hat, nun, da ihn eben das halbe Land kennt und er die großen Hallen füllt. Früher ist zum Beispiel viel Inspiration für die Lieder durch den engen Kontakt mit den Fans entstanden – wie bei „Wenn sie tanzt“, das auf der Geschichte seiner Mutter basiert, aber auch von Fans ähnlich durchlebt wurde. Die Zeiten, wo er nach dem Konzert am Merch-Stand auftaucht, sind praktisch vorbei. „Ich habe das früher gerne gemacht, auch, um Feedback zu bekommen: ,Wie fandet ihr das Medley oder den neuesten Song …?‘ Das habe ich noch bis Ende 2016 durchgezogen. Aber wenn du den Tag über Promo hast, das Konzert und dann noch zwei Stunden mit den Fans quatscht, dann ist irgendwann deine Stimme weg. Und das war damals so bei mir – da musste ich zwei Wochen alles canceln, weil ich eine Stimmbandentzündung hatte. Seither bin ich etwas vorsichtiger geworden und achte darauf, dass meine Stimme durchhält.“ Ein kleines Paradox: Er erreicht jetzt ein so viel größeres Publikum, aber gleichzeitig wächst auch die Distanz zu ihnen. „Das stimmt – und ich vermisse die Nähe auch manchmal. Umso schöner, wenn man die Option hat, mal wieder vor kleinerem Publikum zu spielen. Wie ein Wohnzimmerkonzert, oder in einem ausgemisteten Pferdestall, wie im letzten Jahr – da waren so 200 Leute. Das ist dann wieder eine innige Erfahrung … Und ich komme ja aus so kleinen Räumchen. Ich freue mich, wenn es so schnucklig und klein ist.“ Was aber nicht sentimental klingen soll. „Ich mag auch die großen Locations. Es gibt nichts Geileres, als wenn du da rausgehst und dann singen da tausende von Leuten mit. Und nicht nur die Hits – sie kennen jeden Albumsong!“

Da ist es auch kein Wunder, dass er weit über 200.000 Follower auf Instagram hat. „Du bist heute als Musiker einfach eine Person, die auf diesen Kanälen stattfindet. Dadurch beziehen die meisten auch ihre Informationen – kaum einer geht noch auf eine Homepage! Und da zeigt man dann auch eine private Seite, was mir manchmal richtig Spaß macht. Ich bin auch mal eine Woche nicht in Stimmung und dann passiert wenig. Doch gestern hatte ich zum Beispiel einen lustigen Tag und dann habe ich sieben, acht Storys gepostet. Man kann ja auch einfach viel Unsinn machen und ich hab da so einen kleinen Hang zum Trash.“

Davon merkt man auf seinem neuen Album „Die Reise“ allerdings nicht viel, denn die Lieder sind wieder makellos ausgearbeitete Popsongs, die immer dann entstanden sind, wenn sich Fenster in seinem engen Zeitplan ergaben. „Man hat den Raum genutzt, die einem die einzigen freien Tage boten. Zwischen den ganzen Gigs bin ich ins Studio in Berlin und Mannheim. Nicht, weil ich schnell ein neues Album fertig haben wollte, damit man einen Hype mitnimmt oder bevor man in Vergessenheit gerät. Ich wollte neue Lieder schreiben. Man hat ja auch schon wieder sehr viel erlebt und das muss raus.“ Und diese neuen Lieder sind interessanterweise noch melancholischer und sehnsüchtiger geworden. In den Texten wirft er auch einen genauen Blick auf andere Leben, als ob er vergleichen würde. „Ich hatte immer Zeit, über andere Lebensentwürfe nachzudenken. Wenn man an Weihnachten alle Freunde wiedertrifft und die haben geheiratet, das erste Kind und ihr Häuschen – die machen ja auch einen ganz glücklichen Eindruck. Da frage ich mich, wie lange will ich eigentlich noch so weiterrennen? Müsste ich nicht auch mal runterkommen, ankommen?“ *Interview: Christian K.L. Fischer

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