Die Stürme des Lebens – Tori Amos

by

Foto: D. Murray

Beim Titel fängt es ja schon an. „Ocean to Ocean“, das neue Album der Pianistin, Sängerin und Songschreiberin Tori Amos ist gespickt mit Wasserbezügen. Und das liegt nicht nur daran, dass die 58-jährige US-Amerikanerin mit ihrem Mann Mark Hawley und der gemeinsamen Tochter Tash (21) seit vielen Jahren in Cornwall lebt.

„Zum Baden und Schwimmen ist es bei uns schon etwas frisch, da bevorzuge ich das Meer in Florida, wo ich mich unter normalen Umständen häufig aufhalte, weil wir dort unseren Zweitwohnsitz haben“, erzählt Amos am Telefon. Für die Fotos im Album-Booklet sei sie nun jedoch so innig mit dem Ozean vor ihrer Haustür in Berührung gekommen wie lange nicht mehr. „Wir haben die Bilder in einer unglaublich schönen Wasserhöhle gemacht, wir mussten ein bisschen tauchen, um dorthin zu kommen. Zum Glück trug ich einen Neoprenanzug. Aber, wie du dir vermutlich schon denken kannst, ist das Wasser in erster Linie als Metapher zu sehen.“

Foto: D. Murray

Weitere Lieder heißen „Swim to New York City“ oder „Metal Water Wood“. Und Amos – seit 30 Jahren weltweit populär, künstlerisch hoch angesehen und nach wie vor als Aktivistin bei RAINN (Rape, Abuse & Incest National Network) sehr engagiert („Corona hat die Zahl der misshandelten Minderjährigen in die Höhe schnellen lassen, weil mit der Schule eine wichtige Kontrollinstanz wegfiel“) – redet nicht lange drum herum, was sie beim Schreiben beschäftigt hat. „Ich befand mich Anfang des Jahres, als die Platte entstand, in einem emotionalen Ausnahmezustand. Ich bin normalerweise ein Feuermensch, doch nun war ich in einer Situation, in der meine üblichen Werkzeuge und Überlebensstrategien versagten. Ich musste gewissermaßen ins Wasser gehen, das Wasser umarmen, mich von ihm verschlingen lassen und am Ende merken, dass ich nicht ertrunken bin. Sondern lebe.“ Auch die ruppige Natur an der britischen Ostküste habe dazu beigetragen, dass Tori Amos wieder zu sich kommen konnte. „Ich habe mich oft in den Wind gestellt und durchblasen lassen. Die Winterstürme in Cornwall haben eine Wildheit, die Respekt und Ehrfurcht abverlangt. Es war so, als ob mich die Stürme zurück ins Leben schleuderten.“

Aber was war eigentlich passiert? Pandemie, politisches Chaos, der Tod der Mutter 2019. Zu sagen, dass die vergangenen zwei Jahre für Tori Amos eine Herausforderung waren, wäre eine groteske Untertreibung. „Es ging in Richtung Depression. Ich war unendlich niedergeschlagen. Es ging mir so schlecht, wie ich das aus meinem Leben bisher so nicht kannte.“ Das Fass zum Überlaufen gebracht habe der Sturm eines Mobs auf das Capitol, den Tori mit Entsetzen im Fernsehen verfolgte und der in ihr die Erkenntnis reifen ließ, „dass unsere Demokratie nur um Haaresbreite überlebt hat. Und dann schrieb ich ‚Metal Water Wood‘ und sah plötzlich den Ausweg aus meiner persönlichen Hölle vor mir.“

Tori Amos verwarf das ursprünglich geplante Album und schrieb innerhalb von wenigen Wochen diese emotional rohen, oft ruhigen, doch extrem unter die Haut gehenden Songs, die vor allem von ihrem Gesang und dem Klavierspiel geprägt sind. Sie erinnern stilistisch an Toris Anfänge mit „Little Earthquakes“, das 1992 rauskam. Ist „Ocean to Ocean“ eine bewusste Rückkehr zu Amosʼ melodisch-intensiven Wurzeln? „Ja, ich sehe diese Parallelen auch. Vielleicht hat das damit zu tun, dass ich mich auch mit „Little Earthquakes“ aus einer schweren Krise befreit habe. Das Album entstand nach meiner Vergewaltigung und nach der Zurückweisung, die ich zuvor in der Musikindustrie erlebt hatte. Im Song ‚29 Years‘ besuche ich den tiefdunklen Ort von damals noch einmal und hoffe sehr, jetzt endgültig damit abschließen zu können.“ *Interview: Steffen Rüth

toriamos.com

Back to topbutton