CABARET im The English Theatre

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Foto: The English Theatre

Es könnte die Show-Sensation des Jahres werden: Mit CABARET zeigt das English Theatre ab November eines der bekanntesten Musicals der Welt.

Die Geschichte um das Schicksal des Revuegirls Sally Bowles, des amerikanischen Schriftstellers Cliff Bradshaw und weiteren Bewohnern der Pension von Fräulein Schneider spielt im Berlin der frühen 1930er-Jahre, in Zeiten des aufkommenden Nationalsozialismus. Neben schmissigen Revuenummern werden die gesellschaftskritischen Untertöne des Plots nicht zu kurz kommen – das verspricht Regisseur Tom Littler, der zuletzt „Jekyll & Hyde“ am English Theatre inszenierte. Wir haben die Musical-Darsteller Helen Reuben, die die Rolle der Sally spielt, und Greg Castiglioni, der die Rolle des Conferenciers übernimmt, bei den Proben in London interviewt.

Foto: The English Theatre

Greg, du spielst in CABARET den Emcee, also den Conferencier im Kit Kat Club. Aber er ist mehr als das: Was macht ihn und seine eher übergeordnete Rolle für das Musical so besonders?

Greg Castiglioni: Das Besondere an dieser Figur ist ihre Vielschichtigkeit und die damit verbundene Herausforderung für den Schauspieler, die Rolle zu „finden“, seinen eigenen Emcee zu entdecken. In jeder Produktion wird er anders sein und dem Publikum einen neuen Blickwinkel eröffnen. Am English Theatre ist er im Kit Kat Club ganz klar der Entertainer, außerhalb stellt er mehr eine Meinung dar, ein Gefühl oder eine Stimmung dessen, was passiert oder was in Zukunft passieren wird. Was genau er jedoch repräsentiert, hängt von der Wahrnehmung jedes einzelnen Mitglieds des Publikums ab. Die Möglichkeiten sind endlos und keine Show wird die gleiche sein.

Helen, du spielst Sally Bowles in CABARET. Was für eine Frau ist das in deinen Augen?

Helen Reuben: Für mich ist Sally ein so schöner und interessanter Charakter. Sie ist sehr jung und verletzlich und versucht sich in einer Welt durchzusetzen, die sie nicht wirklich versteht. Es gibt definitiv einen düsteren Aspekt in ihr, der sich in ihrem Drogenmissbrauch und ihren destruktiven Beziehungen zeigt. Das Buch Cabaret ist so reich und schön geschrieben, und Sally ist so komplex, was sie so unwiderstehlich macht. Ich denke, sie ist liebenswert und destruktiv, sehr ehrgeizig und völlig verloren.

Foto: The English Theatre

Das Musical zeigt Berlin in den frühen 1930er Jahren, pulsierend, sexuell freizügig, voller Menschen mit exzessiven Lebensstilen. Das wirkt experimentierfreudiger als der heutige Alltag. Würdest du dem zustimmen?

Greg Castiglioni: CABARET schließt an die „roaring twenties“ an, so dass die Aufregungen und Ausschweifungen im Stück nicht überraschend sind, besonders für eine kosmopolitische Stadt wie Berlin. Im Laufe der Jahre hat sich das sicherlich verändert und ist dann lediglich eine Erinnerung an vergangene Zeiten geworden. Aber ich denke, es gibt immer noch einige Parallelen zur heutigen Zeit.

Fällt es schwer, bei so einer intensiven Rolle und der langen Spielzeit zwischen eigener Person und Rollencharakter zu trennen?

Greg Castiglioni: Nein, für mich ist es nicht schwierig, sich von der Figur zu trennen. Als Schauspieler müssen wir ja alle Emotionen der Charaktere immer wieder reproduzieren. Die größere Problematik sehe ich darin, wenn Schauspieler zu viel Distanz haben und sich nicht selber voll in die Rolle geben können. Das größte Kompliment für mich ist immer, wenn jemand sagt: „Es ist, als wäre diese Rolle für dich geschrieben worden", so wie beispielsweise bei der Wiederaufnahme von Andrew Lloyd Webbers „The Woman in White“ im letzten Winter. Ich spielte Count Fosco, ein scheinbar galanter und nachdenklicher Mann mit italienischem Akzent, der tief im Inneren dunkel und böse ist. Obwohl ich Halbitaliener bin habe ich keinen italienischen Akzent, und ich hoffe, dass niemand glaubt, dass ich tief im Inneren düster und böse bin; aber „die Rolle ist dir wie auf den Leib geschneidert“ war das häufigste Kompliment, das ich erhalten habe.

Foto: The English Theatre

Helen, du stehst am Anfang deiner Karriere, CABARET ist die erste große Rolle am English Theatre. Gibt es Parallelen zwischen dir und der Figur von Sally Bowles, die sich auch im Showbusiness als Frau behauptet?

Helen Reuben: Ich denke, man kann immer Parallelen finden zwischen sich und der Figur die man spielt. Was ich als Schauspielerin interessanter finde, ist eher das Ausarbeiten der Unterschiede. Ich liebe Recherche und Details und es gibt so viel Material über Berlin in den 30er Jahren, nicht nur in Isherwoods Romanen. Auch Jean Ross, die reale Frau, auf der die Figur der Sally basiert, war eine faszinierende Person. Ich bewundere Schauspieler, die in ihrer Arbeit etwas von sich geben, und bemühe mich selber auch so ehrlich und authentisch wie möglich zu sein.

Greg, CABARET thematisiert den erstarkenden Nationalsozialismus Anfang der 30er Jahre. Heute erleben wir in Deutschland und Europa wieder einen politischen und gesellschaftlichen Rechtsruck, was das Musical alarmierend relevant macht. Wie fühlst du dich als Schauspieler, mit diesem Musical heute in Deutschland aufzutreten?

Greg Castiglioni: Ich habe mir schon Gedanken gemacht, wie eine Show, die Erinnerungen an die dunkelste Zeit deutscher Geschichte weckt, vom deutschen Publikum aufgenommen werden würde. Als Schauspieler ist es aber unsere Aufgabe, Geschichten zu erzählen und nicht zu zensieren. Das Publikum hat das Recht, die Geschichte zu fühlen und zu reagieren wie es will. Unsere Aufgabe ist es, das Script und die Charaktere mit Respekt darzustellen, egal ob es ein Drama, eine Komödie oder eine Satire ist, oder eben politisch. Jedes Mal, wenn ich auf die Bühne gehe, ist dies mein Ziel, so auch bei CABARET.

CABARET, Premiere am 3.11., The English Theatre, Gallusanlage 7, Frankfurt, www.english-theatre.de

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