Alli Neumann: „Je mehr man Assi ist, desto weiter kommt man“

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Foto: Clara Nebeling

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Mit Monstern, Biestern und Dämonen spielen, statt gegen sie anzukämpfen: Nach der EP „Hohes Fieber“ und ihrem Schauspieldebüt in Kim Franks Spielfilm „Wach“ überrascht Alli Neumann auf ihrer zweiten Veröffentlichung mit einem Sprungspagat zwischen Schwere und Charme, Scharfsinn und Spaß. Und das Ganze auch noch auf Deutsch. Wer sich an Falko erinnert fühlt, sollte sich nicht wundern: Produzent Franz Plasa zeichnete schon für den Hit „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“ verantwortlich. hinnerk quetschte die Wahlhamburgerin aus.

Du bist in Nordfriesland aufgewachsen. Was reizt dich an Hamburg, warum nicht Berlin?

In Berlin würde ich als schräger Vogel untergehen. Berlin ist mit seiner ganzen Vielfalt ein zweischneidiges Schwert: Ich käme wahrscheinlich vor lauter Ablenkung gar nicht mehr dazu, zu Hause zu sitzen und Mucke zu machen, sondern würde von einer Veranstaltung zur nächsten springen. Ich hab extreme Angst davor, dass diese Stadt mich aufsaugt. Hamburg ist dagegen für mich eine gute Mischung aus Berlin und Nordfriesland. Ich hab hier meine Ruhe, meine Parks, die nicht überlaufen sind, und kann alles zu Fuß erreichen. Das ist schon schön.

Und in welchem Park ist dir das Monster begegnet? Wie erarbeitest du deine gesellschaftskritischen Texte?

Foto: Clara Nebeling

Einmal resultiert es daraus, dass ich mich persönlich richtig tangiert fühle, missverstanden oder sogar angegriffen. Das will ich textlich verarbeiten. Bei „Monster“ geht es darum, dass ich jemand bin, der richtig wütend werden kann und in der Wut lieber sein Leben zerstört, als diplomatisch zu sein. Ich glaube, das kennen viele. Ob nun im familiären Bereich oder in einer Partnerschaft. In meinem Fall auch, wenn jemand klugscheißt, inkompetent ist oder einfach nur zu spät kommt. Da kann ich richtig eklig werden. Und daran muss ich arbeiten. (lacht) Einerseits ist diese Eigenschaft nämlich etwas, was mich weiterbringt, was mich antreibt, andererseits wäre es schon gut, wenn ich mich manchmal besser unter Kontrolle hätte. Unsere Gesellschaft funktioniert leider aber so: Je mehr man Assi ist und einfach Respekt einfordert, desto weiter kommt man. Auch im Business. Das ist ein totaler Abtörner: Man ist in Konflikt mit diesem Monster, will aber eigentlich ein freundlicher Mensch sein.

Eine freundliche Frau, schmeiße ich einfach mal ein, um auf das zweite große Thema auf „Monster“ zu kommen: Bezeichnest du dich als Feministin?

Ja. Wobei ich eigentlich ungern in diesen Kategorien denke, weil die zu oft missverständlich gebraucht werden.

Was meinst du?

Na, es gibt immer wieder Leute, die behaupten, Feministen wollten Frauen bevorzugen und ihnen Sonderrechte einräumen. Das macht mich unglaublich sauer. Ich habe noch nie jemanden gehört, der gefordert hätte, Frauen sollen mehr Rechte als Männer bekommen. Es geht darum, gleiche Rechte zu erreichen. Deshalb versuche ich, mit meiner Kunst Alternativen zu zeigen, die sich nicht kategorisieren lassen in Schubladen.

Politpop also, oder?

Ja. Ich komme aus einem sehr politischen familiären Umfeld und habe auch früher versucht, mich zum Beispiel in der Antifa zu engagieren – worauf ich nicht wirklich stolz bin – oder anderweitig Dinge zu bewegen. Die Kunst bietet mir aber die Möglichkeit, die Menschen über einen viel kürzeren Weg zu erreichen. Die Musik bietet mir als Person eine Öffentlichkeit und ich muss auch gar nicht in jedem Lied den Zeigefinger heben und sagen: „Ihr seid scheiße“, sondern kann, wie eben schon erwähnt, alternative Konzepte präsentieren, die über Melodie, Videos und Gesang in den Köpfen landen und dort arbeiten. Ich glaube, dass das viel effektiver ist, als auf der Schanze Parolen vom Band abzuspielen. Man verändert sich am besten durch Beispiele und dadurch, zum Denken angeregt zu werden. Und ich finde, die Gesellschaft ist zu einem sehr großen Teil auch bereit dafür und auf einem guten Weg.

*Interview: Christian Knuth

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