Hosen runter Robert Bläsing: Quo Vadis FDP?

by

Foto: Kevin Hackert

Robert Bläsing will am Sonntag in die Hamburger Bürgerschaft gewählt werden. Die Ereignisse in Thüringen machten den Wahlkampf für den FDP-Politiker nicht einfacher. hinnerk fragte ausführlich nach.

Der Reflex, linken Extremismus mit organisierten rechtsterroristischen Strömungen gleichzusetzen ist vordergründig nachvollziehbar. Wäre es nicht dennoch angebracht, hier differenzierter zu werten? Die sich herauskristallisierenden rechten Strukturen, die Teilweise bis in Polizei, Geheimdienste und Bundeswehr reichen, sind seit den RAF-Zeiten auf „linker“ Seite nicht existent, weil nachhaltig durch den Staat verhindert. Wie kann hier im liberalen Sinne eine Sprache gefunden werden, die G20- und 1. Mai Krawalle nicht verharmlost, aber den Unterschied zu NSU und Co deutlich macht?

Unser liberaler Rechtsstaat steht von vielen Seiten unter Druck. Endlich wird nun der Rechtsextremismus verstärkt ins Visier genommen, der mit Mitteln des Terrorismus Menschen tötet. Allerspätestens die schreckliche Bluttat von Hanau muss alle aufrütteln. Mit betroffener Miene mal wieder Pappschilder mit Slogans in die Kameras zu halten und auf Instagram zu posten, reicht schon lange nicht mehr. 

Foto: Kevin Hackert

Von vereinfachenden sog. Hufeisen-Theorien halte ich nichts. Gleichwohl muss eine wehrhafte Demokratie ebenfalls religiös motivierten Extremismus, durchgeknallte Reichsbürgerinnen und -bürger sowie auch nicht erst seit den G20-Krawallen in Hamburg auch linksextreme Strömungen im Blick haben. Ein Ranking oder relativierendes Aufrechnen ist nicht zielführend. Wer Rechtsextremismus beispielsweise dadurch bekämpfen möchte, indem man linke Autonome damit beauftragt, hat Demokratie offenkundig nicht verstanden. Das Gewaltmonopol muss beim Staat liegen und nirgendwo sonst.

Du hast kritisiert, von Journalisten wegen Thüringen gefragt zu werden. Bei vielen – auch FDP-Wähler*innen – ist aber zum Beispiel der Kurs von Herrn Lindner umstritten. Aussagen wie die zum Angstgefühl beim Bäcker, ob ein Ausländer in der Schlange das Recht habe, hier zu sein, werden aufgrund der Vorgänge in Thüringen wieder hochgespült. Ist denn eine solche Aussage mit dieser Konnotation für Dich im Sinne des Liberalismus in Ordnung? Trägt so etwas nicht eher zur Spaltung bei, weil es das Framing des „bösen Ausländers“ bedient?

Wir Freie Demokraten sprechen eben auch Fehlentwicklungen wie etwa bei der organisierten Clan-Kriminalität an und wollen diese mit Mitteln des Rechtsstaat konsequent bekämpfen. Falsch wäre es bestimmte Problemfelder einseitig auszublenden und Rechtspopulisten und -extremisten das Feld zu überlassen.

Die FDP wird oft kritisiert und stellt sich dieser Kritik auch. Schwere Fehler wie in Thüringen räumen wir ein und arbeiten diese auf. Die Maßstäbe, die an die Freien Demokraten angelegt werden, sind - zumindest gefühlt - oftmals strenger als bei anderen Parteien. Damit müssen Liberale klar kommen. Das ist der Preis dafür, wenn man sich nicht in eine ideologische Ecke kuscheln und Antworten anhand von ewigen sozialdemokratischen oder konservativen Glaubenssätzen geben möchte. Hier muss die FDP sicherlich mit noch schärferem Verstand und klarerer Kommunikation auftreten. 

Foto: Kevin Hackert

Ein türkischstämmiger Parteifreund von Dir ist nicht von Journalisten, dafür aber von Demonstranten aufs übelste als Nazi diffamiert worden. Auch andere Hamburger FDP-Mitglieder berichten über hasserfüllte Reaktionen. Hast Du selber auch solche Angriffe erlebt und wie reagierst du, bzw. was würdest du dir wünschen? 

Ich habe selbst wenig persönliche Anfeindungen erlebt. Schlimmer als Ablehnung ist im Übrigen Ignoranz. Insofern sehe ich das auch ein Stück weit positiv: Wenn man als Liberaler bepöbelt wird, ist das ja auch eine Art von Interesse an der FDP. Manchmal ist das sogar der Anfang für einen kritischen Dialog.

Welches sind im Bürgerschaftswahlkampf denn grundsätzlich deine dringendsten Themen, was möchtest Du erreichen?

Mein wichtigstes Thema ist persönlich die Schaffung eines Karl-Lagerfeld-Platzes in Hamburg in zentraler Lage. Objektiv gesehen ist das natürlich ziemlich irrelevant. Meines Erachtens ist das aber ein guter Gradmesser dafür, mit wie viel Offenheit man die politische Zukunft Hamburgs gestalten möchte. SPD und Grüne agieren hier ziemlich bräsig. Politik wird allgemein oftmals als denkfaul, routiniert und eingefahren wahrgenommen. Lagerfeld steht aus meiner Sicht für Kreativität, hanseatischen Fleiß und klare Ansagen. Das bedeutet nicht, dass man alle seine Ansichten teilen muss oder unkritisch auf die teilweise sehr schädlichen Auswirkungen der Fast-Fashion-Industrie schauen sollte. Wichtig ist mir darüber hinaus eine verbindliche Wartezeitobergrenze für Bus und Bahn sowie mehr Sport und Bewegung in der Bevölkerung. 

In eurem Wahlprogramm heißt es zur Familienpolitik: "Freiheitliche Familienpolitik für ein besseres Hamburg Familien sind heutzutage vielfältig: Verheiratete oder unverheiratete Eltern, Alleinerziehende mit einem oder mehreren Kindern, Patchwork-Familien oder Pflegefamilien – unterschiedliche Familienformen sind längst gesellschaftliche Realität. Ihnen allen möchte liberale Politik ermöglichen, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es sich wünschen.“ Warum werden hier Regenbogenfamilien nicht benannt?

Foto: Kevin Hackert

Unser Wahlprogramm sieht queerpolitische Themen als Querschnittsthema an und schließt selbstverständlich auch Regenbogenfamilien ein, auch wenn diese nicht explizit erwähnt werden. Ein konkreter queerpolitischer Punkt in unserem Wahlprogramm ist ein Ideenwettbewerb für ein Denkmal für sexuelle Vielfalt in Hamburg. In erster Linie soll dies den Opfern von Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung gedenken. So verhuscht und verklemmt, wie die Szene in Hamburg im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten zuweilen nach meinem Eindruck ist, könnte es aber auch darüber hinaus ein positives Signal für queeres Gay-Pride in die Stadt senden. Das scheint mir hin und wieder durchaus notwendig zu sein.

Du hast dich wieder für Haut auf den Wahlmotiven entschieden. Warum? Wie kann Politik Menschen überhaupt noch erreichen in SoMe- und postfaktischen Zeiten? 

Meine Devise lautet: Politik fängt mit uns an und hört mit uns auf. Es fehlt in unserer Demokratie vor allem an einer breiten Verankerung der Parteien in der Bevölkerung. Parteien leben - genau wie Gewerkschaften und NGOs - vom Mitmachen der Bürgerinnen und Bürger. Abseits großer Demos, die oftmals den Charakter einmaliger Events haben und für oder gegen dies und jenes sind, brauchen wir rund um die Uhr aktive Pro-Demokratinnen und -Demokraten.

Die Medienwelt unterliegt in den letzten Jahren rasanten Umbrüchen. Eine Kernfrage ist heutzutage, wie man überhaupt noch Menschen mit Politik erreichen kann. Viele leben nur noch in ihrer eigenen Wahrnehmungsblase und verlassen diese nie. Daher werbe ich auch auf Grindr für liberale Inhalte. Politik muss dahin gehen, wo die Menschen sind und darf nicht darauf warten, dass sie irgendwann schon zu ihr kommt. Ich mache das insofern nicht, weil ich es nötig habe, sondern weil ich es für die Demokratie für notwendig erachte. Dafür muss man auch bereit sein, persönlich in die Bresche zu springen. Die Resonanz ist sehr positiv und manche kann ich auch im persönlichen Kontakt überzeugen. 

Persönlich verzichte ich zudem auf Plakate und Flyer in diesem Wahlkampf. Es ist aus meiner Sicht völlig absurd, dass so ziemlich alle Parteien von Ressourcenschonung reden und gleichzeitig die Stadt mit lauter Einweg-Plastik, -Pappe und -Papier zugemüllt wird. Das ist doch irgendwie voll 90er-Jahre und meines Erachtens komplett dépassé.

Internet / Facebook / Twitter / Instagram 

Back to topbutton