Auf ein Wort .... ein Gastkommentar von Andreas Morris, Bavarian Mister Leather 2015

Foto: Privat

Zack! Und schon spürst du diesen gezielten Schlag in die Magengrube. Vollkommen überrascht von der Heftigkeit willst du Luft holen, einen Schritt zurückweichen, weglaufen, zuschlagen. Aber der Schmerz breitet sich in dir aus, nimmt dir den Atem und sagt dir: „Hey, hier ist es so schön – hier bleibe ich ein Weilchen. Und wenn du meinst, dich rühren zu können, dann vergiss es, denn ich, der Schmerz, werde dich lähmen.“ Aber immer noch hörst du die ‚Schwule Sau‘-Rufe. Sie klingen in deinen Ohren und haben sich seit der ersten Attacke auf dich vor vielen Jahren nicht verändert.

Mein Wahlspruch zu meiner Amtszeit als Bavarian Mister Leather 2015 war „Gesicht zeigen“. All die Angriffe auf mich, tätlich und verbal, konnten mich nicht dazu bringen, dass ich mich verstecke oder schweige. Mir war es wichtig, all denjenigen Mut zu machen, die Ähnliches erfahren hatten. Ich wollte Standhaftigkeit zeigen und nicht zurückweichen vor Aggression, Diskriminierung und Hass. Meine Waffen waren Sichtbarkeit, Augenhöhe, aber auch Wahrung des Respekts für diskutierbare Meinungen.

Seit dieser Zeit bin ich nicht müde geworden, weiterhin meinem Wahlspruch „Gesicht zeigen“ treu zu bleiben. Dennoch kann man müde werden, wenn man sich die Entwicklungen und Tendenzen in Politik, Gesellschaft, aber auch in der Community ansieht. Warum wir dennoch weitermachen sollen? Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen. Wir müssen unentwegt die Ablehnung, den Hass und die Angst der anderen beiseiterollen. Das ist unsere Aufgabe. Dadurch verhindern wir, dass sich Unmenschlichkeit breitmachen kann – und sei es nur durch einen einzigen Menschen.

Angriffe passieren, weil Aggression sich bevorzugt gegen (vermeintlich) Schwächere und Wehrlose richtet – gegen diejenigen, die allein dastehen. Durch wen können sie geschützt werden? Hier ist vor allem unsere Community gefragt. Um das zu gewährleisten müssen wir EINE Community sein und EINE Kraft. Das sind wir aber nicht. Weder faktisch noch gefühlt.

Alles begann mit einem Aufbäumen gegen Unterdrückung vor dem Stonewall Inn und setzte sich in ein Mit- und Füreinander in den Zeiten des Aidsschocks fort. Aber die Entwicklung der Vereinzelung entkräftet eine nach Anerkennung und Akzeptanz strebende Community. Kann eine noch viel zu oft angegriffene Gemeinschaft wehrhaft sein, wenn sie mit inneren Positionskämpfen beschäftigt ist? Können ihre Mitglieder in eine gleiche Richtung sehen, wenn doch das eigene Spiegelbild oft verführerischer ist?

Unsere Symbolik soll als Teil für das Ganze stehen: Unsere Flagge ist die Gay-Pride-Flagge, Zeichen für uns alle. Dann kam Leather Pride dazu. Okay. Dann Bear Pride. Okay. Dann Transgender. Gut. Dann Genderqueer. Dann Genderfluid. Polysexual. Polyamorous. Puppy Owner und so weiter. Seit Juni haben wir nun die Diskussion, dass in der ursprünglichen Gay-Pride-Flagge die Farben Braun und Schwarz für sogenannte farbige LGBTIQ*s fehlen und um diese ergänzt werden sollten. Und wer nicht dieser Meinung ist, der sei ein Chauvi und überhaupt verstoßen.

So haben wir uns selbst geschwächt. Wir stülpen anderen unsere Vorstellungen über, ereifern uns in akademischen Diskussionen und sind zu genau dem geworden, was wir anderen vorwerfen: intolerant und lebensfern.

Nicht jeder kann seine eigene Parade haben! Und nicht jede ihre. Und nicht jed*innen ihr*innen. Und ich nicht meine eigene, denn so wird es beliebig und austauschbar, niemand fühlt sich als Teil des Ganzen.

Wir müssen wieder zueinanderfinden. Wir müssen unsere Einheit in Vielfalt wiederfinden. Wir müssen den anderen als das sehen, was er ist: anders und doch gleich.

Wenn wir das geschafft haben – Akzeptanz und Frieden im Inneren – dann können wir stark und mit einer Stimme nach außen treten. Dann müssen wir keine Übergriffe fürchten, denn wir sind füreinander da. Nicht in Worten. Nicht auf Plakaten. Nicht in Lehrgebäude. Nein, auf der Straße und auf den Plätzen. Unausweichlich und unverrückbar.

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