DRESDEN: Am anderen Ufer

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Während die Dresdner Altstadt mit ihren Prachtbauten und Museen zum Schönsten gehört, was Deutschland zu bieten hat, findet sich auf der anderen Seite der Elbe eine alternative Szene, die einen erfrischenden Kontrast setzt.

Foto: Dirk Baumgartl

Trinitatisfriedhof, Feld IIC. Still ist es hier. Zwischen alten Bäumen, die an heißen Sommertagen kühlenden Schatten spenden, und zum Teil prächtigen Grabmälern, die vom wohlhabenden Bürgertum der Dresdner Johannstadt erzählen, wirkt der graue, schlichte Grabstein eher unscheinbar. Vögel zwitschern. Jemand hat, wohl schon vor längerer Zeit, einen violetten Seidenschal um den Stein gewickelt, der ausgebleicht von Sonne, Wind und Regen dennoch eine gewisse Eleganz ausstrahlt. Lili Elbe, die sich hier in Dresden, dem Elbflorenz, einen neuen Nachnamen gab, hätte das vermutlich gefallen. Ihre Geschichte wäre beinahe in Vergessenheit geraten, hätte nicht der Film „The Danish Girl“ mit dem grandiosen und für einen Oscar nominierten Eddie Redmayne die Geschichte von Lili Elbe wieder ins rechte Licht gerückt. Die Geschichte von dem dänischen Maler Einar Mogens Andreas Wegener, der sich als einer der ersten transsexuellen Personen Anfang der 1930er-Jahre gleich mehreren geschlechtsangleichenden Operationen unterzog – die anspruchsvollsten davon in der nur wenige Hundert Meter vom Trinitatisfriedhof entfernen Städtischen Frauenklinik unter den Händen des Arztes Kurt Warnekros. Auch nach den Operationen blieb Lili in Dresden, wo sie 1931 mit 49 Jahren verstarb. „2016 hat die Filmproduktionsfirma den Grabstein, der mit der Einebnung des Grabes in den 1960er-Jahren verschwand, nach alten Fotoaufnahmen wieder errichten lassen“, so Anett Lentwojt. Der Besuch auf dem Trinitatisfriedhof ist Schluss- und Höhepunkt ihrer LGBT-Thementour durch Dresden, die sie am liebsten mit dem Fahrrad macht. Seit 1994 lebt die gebürtige Erzgebirglerin in Dresden und bietet mit ihrer kleinen Firma „Kennst Du Dresden?“ vor allem Touren abseits des klassischen Dresden an. Dank ihrer Arbeit im Stadtteilhaus in der Dresdner Neustadt und dem Engagement beim Verein Gerede e. V. ist die 45-jährige Lesbe bestens in der Szene vernetzt.

Foto: Dirk Baumgartl

Gechillter Kurfürst

Ihre LGBT-Tour beginnt jedoch im historischen Zentrum Dresdens, dessen prominente Bauwerke wie Zwinger, Hofkirche, Residenzschloss, Semperoper und Frauenkirche vom Elbufer aus eines der schönsten Stadtpanoramen Deutschlands bilden. Die sächsischen Kurfürsten und Könige aus dem Geschlecht der Wettiner prägten nicht nur das Aussehen, sondern auch das gesellschaftliche Klima der Stadt. „Die Wettiner waren wohl ziemlich gechillt, was das Thema Homosexualität angeht“ so Anett. Im Sachsenspiegel, dem ältesten deutschen Rechtsbuch aus dem 13. Jahrhundert, wird das Thema überhaupt nicht erwähnt, und auch im weiteren Verlauf über Mittelalter, Barock, Aufklärung und dem napoleonischen Code civil blieb Homosexualität meist oder gar vollkommen straffrei. „Erst mit der Einführung des preußischen Strafrechts mit dem Paragrafen 175 im Jahr 1872 wurde es brenzlig“, so Anett. Bis dahin schien es in Dresden doch recht offen zuzugehen. Der als schwuler Casanova in die Geschichte eingegangene Kunsthändler Francesco Algarotti, unter anderem Liebhaber Friedrichs des Großen, tummelte sich ebenso in Dresden wie der schwule Aufklärer Johann Joachim Winckelmann, der sich an der antiken Skulpturensammlung ergötzte, die heute in der Gemäldegalerie Alte Meister im Zwinger zu sehen ist.

Foto: Dirk Baumgartl

Kunst von Weltrang

Nach siebenjähriger Teilschließung ist das berühmte Kunstmuseum seit dem Frühjahr 2020 wieder vollständig geöffnet und präsentiert sich in neuem Glanz. Dem Kunstsinn der sächsischen Herrscher ist es zu verdanken, dass hier Schlüsselwerke der europäischen Kunstgeschichte wie Raffaels „Sixtinische Madonna“ und Jean-Étienne Liotards Pastellgemälde „Das Schokoladenmädchen“ zu sehen sind. Eine Sammlung von Weltrang findet sich auch in den Räumen des Residenzschlosses. Sowohl das Neue als auch das Historische Grüne Gewölbe zeigen Kunsthandwerk aus Elfenbein, Gold, Edelsteinen und Bernstein in einer Fülle, die man sich kaum vorstellen kann. Vor allem für den Besuch des Historischen Grünen Gewölbes, in dem die Preziosen frei in den Räumen stehen, sollte man sich rechtzeitig ein Zeitticket besorgen. Kunst der Moderne gibt es dagegen im Albertinum neben der Brühlschen Terrasse zu sehen. Die darin befindliche Galerie Neue Meister zeigt Werke vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, darunter Gemälde von Caspar David Friedrich, Max Lieberman, Gerhard Richter und A. R. Penck. In der Skulpturensammlung finden sich Werke des 20. Jahrhunderts, unter anderen Statuen des in Dresden lebenden schwulen Künstlers Sascha Schneider. Bekannt wurde Schneider vor allem durch seine Freundschaft zu Karl May und seine homoerotischen Covergestaltungen für dessen Bücher, die man im Karl May Museum im benachbarten Radebeul bewundern kann.

Foto: Dirk Baumgartl

Liebesbeweis

Zeugnis einer anderen schwulen Liebesgeschichte findet man bei Loschwitz auf den Elbhängen mit ihren drei prächtigen Elbschlössern. Neben Weinbergen findet sich hier der wohl erste Grabstein für ein homosexuelles Paar. Der Ende des 18. Jahrhunderts von Schottland ins liberale Dresden emigrierte Earl of Findlater baute dort, wo heute das imposante Schloss Albrechtsberg steht, für sich und seinen geliebten Sekretär ein Palais, in dem der Geliebte auch nach dem Tod des Earls leben konnte. An der Kirche von Loschwitz fanden beide in einem Gemeinschaftsgrab ihre letzte Ruhe, ein für die Zeit sehr ungewöhnliches Ereignis.

Foto: Dirk Baumgartl

Doch auch die jüngere Geschichte kommt bei Anetts LGBT-Tour nicht zu kurz. Nicht ohne Augenzwinkern erzählt sie von den Namen ehemaliger Cruising-Spots und Klappen, an denen sich schwule Männer während der DDR-Zeit trafen und die „Hohe Tatra“ oder „Wäscheplatz“ hießen. „Zwar war der Paragraf 175 in der DDR ab 1968 reformiert, Schwule galten aber als subversive Objekte und waren vor allem für die Staatssicherheit Personen, die man erpressen oder als Informanten nutzen konnte“, so Anett. Verhöre fanden im Keller der Stasi-Bezirksverwaltung, der heutigen Gedenkstätte Bautzener Straße am anderen Ufer der Elbe statt.

Foto: Dirk Baumgartl

Travestie & Techno

Fährt man von dort flussabwärts, gelangt man in die Dresdner Neustadt, die besonders durch ihre geschlossene Gründerzeitbebauung bekannt ist. Hier befindet sich auch eine von Europas größten Travestiebühnen. Seit 2004 begeistert das von der im ehemaligen Jugoslawien geborenen Zora Schwarz gegründete und noch heute geführte Carte Blanche das Dresdner Publikum mit eigenen Programmen und Gastspielen von Kabarett bis Kleinkunst. In der Neustadt liegen nahe der kreativ gestalteten Kunsthofpassage auch die schwulen Szenebars Valentino’s und Boys Bar. Hier trifft man zum Beispiel auf Menschen wie Matthias. Der 23-Jährige lebt seit frühester Kindheit in Dresden und hat sich als Mister Matthew einen Namen in der deutschen Fashion-Blogger-Szene gemacht. Vor allem der Kontrast zwischen historischer Altstadt und der alternativen Szene der Neustadt gefällt dem jungen Studenten. „Auf der einen Seite hat man die internationalen Besucher und großartige Museen wie das Albertinum, die Gemäldegalerie Alte Meister und das Grüne Gewölbe mit seiner einzigartigen Kunstsammlung, auf der anderen Seite der Elbe findet man coole Technoklubs wie das objektkleina (OKA) – so eine Art Berghain Dresdens“, lacht der Student. Matthias’ Freund organisiert eine regelmäßige LGBTIQ*-Partyreihe mit dem Titel „Think Pink“ und veranstaltet auch die große Party zum CSD, der in diesem Jahr auf September verschoben wurde. Bis zu 15.000 Menschen nehmen an den Veranstaltungen rund um den CSD normalerweise teil, die Route durch Alt- und Neustadt gehört zu den längsten in ganz Deutschland. Und den Ruf als rechte Hochburg kann Matthias nicht bestätigen. „Der Sachse an sich ist vielleicht etwas kleinbürgerlich, aber durchaus auch offen und sehr sozial. Ich habe zumindest hier niemals Angst, nachts durch die Straßen zu gehen, und halte die Stadt für verdammt sicher“, so Matthias. Als Beispiel nennt er auch den in der Weihnachtszeit wöchentlich stattfindenden Gay-Treff auf dem Striezelmarkt. „Am Punschturm kommt da ein bunter schwuler Haufen aus Alt und Jung zusammen, der auch schon mal Regenbogenplätzchen an die Besucher verteilt und dabei positive Reaktionen bekommt.“

Foto: Dirk Baumgartl

Picknick am Fluss

An heißen Sommertagen zieht es Matthias wie viele Dresdner ans Ufer der Elbe, wo man sich zu Picknicks niederlässt oder man sich zu einem Open-Air-Kinoabend auf den Stufen vor dem Finanzministerium einfindet. Die Filmnächte am Elbufer sind Deutschlands größtes Open-Air-Kinofestival, das innerhalb von acht Wochen bis zu 200.000 Besucher anlockt und neben Filmen auch Konzerte der Dresdner Philharmonie und anderer Künstler vor der grandiosen Kulisse der Dresdner Altstadt am anderen Ufer bietet. In diesem Jahr wurde die Zuschauerzahl aufgrund der coronabedingten Sicherheitsmaßnahmen allerdings limitiert. Und sollte auf dem Programm aus Neuerscheinungen und Filmklassikern auch irgendwann einmal „The Danish Girl“ stehen, würde sich Lili Elbe bestimmt freuen.

Foto: Dirk Baumgartl

INFO

www.dresden.de/tourismus

HOTEL

In perfekter Lage neben der Frauenkirche und in direkter Nachbarschaft zu Residenzschloss, Zwinger und der Brühlschen Terrasse befindet sich das Hotel Vienna House QF Dresden. Das Boutiquehotel mit seinen modern ausgestatteten Zimmern und Suiten ist ein idealer Ausgangspunkt, um die Stadt zu erkunden. Die Bar auf der Dachterrasse steht auch Nicht-Gästen offen. www.viennahouse.com

Foto: viennahouse.com

RESTAURANT

Genuss nach der Kunst. Das Restaurant Alte Meister befindet sich neben der gleichnamigen Gemäldegalerie und bietet von seinem Außenbereich einen schönen Blick auf Semperoper und Hofkirche. Das auch von Einheimischen sehr geschätzte Restaurant serviert saisonale Gerichte und ein wöchentlich wechselndes Menü. www.altemeister.net

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