LUXEMBURG: Globales Dorf mit viel Charme

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London, Paris, Berlin: Wer über Reisen durch Europa nachdenkt, hält in Gedanken selten in Luxemburg an. Warum eigentlich? Zwischen Deutschland, Belgien und Frankreich, und damit im Herzen Europas gelegen, ist Luxemburg alles andere als versteckt – und hat so viel zu bieten. Auf Erkundungstour in einem zu oft übersehenen Juwel Europas.

Foto: Visit Éislek

Auf dem Wochenmarkt gibt es Gemüse, frisches Landbrot aus der Region, Blumen, Käse. Kirchenglocken schlagen zehn Uhr am Samstagmorgen. Man bummelt. „Beien erhalen d’Natur“ appelliert der Honigstand auf einem Schild auf Luxemburgisch für die Rettung der Bienen, in der Nähe verkauft ein Stand namens Der Hähnchenkönig knusprige Schlemmereien. Der Fischstand heißt auf Französisch Les Dents de la Mer, gegenüber wird auf Luxemburgisch „frësch quetschekraut“ angeboten. Einen Stand weiter gibt es Apfelstrudel und Berliner, daneben griechische Spezialitäten.

Multikulti-Metropole im Taschenformat

Man merkt sofort: Das Land im Herzen Europas ist multikulti, aufgeschlossen, bunt. Seit 2015 können homosexuelle Paare heiraten. Knapp die Hälfte der Einwohner sind Ausländer, viele Europäer – aber nicht nur. In der Hauptstadt Luxemburg-Stadt ist der Anteil anderer Kulturen noch höher. Dass Luxemburg eine weltoffene Metropole im Kleinformat ist, sieht man nicht nur – man hört es auch: Der gebürtige Luxemburger spricht Englisch sowie die drei Amtssprachen Deutsch, Französisch und die moselfränkische Sprachvarietät Luxemburgisch.

Foto: privat

„Wir werden oft als kleines, konservatives Land eingeschätzt, doch das sind wir nicht“, sagt Marc Angel. Der langjährige Touristenführer, in Luxemburg geboren und aufgewachsen, bezeichnet Luxemburg als „globales Dorf“. 26 Jahre war er im Gemeinderat, seit letztem Jahr sitzt der 57-Jährige für sein Land im Europaparlament. Marc erzählt: Gestern hatten er und sein Mann, gebürtiger Tscheche, Freunde zu Besuch – fünf Menschen saßen am Tisch und mit ihnen fünf verschiedene Nationalitäten. Nichts Ungewöhnliches in Luxemburg.

Trubelhaftes Treiben

Luxemburg-Stadt hat alles, was eine Großstadt braucht: Kunstgalerien, Museen, interessante Cafés, gute Restaurants. Der Palast der großherzoglichen Familie, das Luxemburger Äquivalent zu den britischen Royals, sorgt für königlichen Glanz. Für Bummelfreudige gibt es eine Shoppingmeile, viele Geschäfte, Concept Stores. Die wunderschöne Altstadt gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe. Auch sie ist Teil der Oberstadt, die auf dem Bockfelsen liegt, der „Wiege der Stadt“. Hier befand sich die frühmittelalterliche Wehranlage. Ein Highlight: die Besichtigung der Bock-Kasematten. Das sind in den Fels gehauene Gänge und Höhlen, die die Festung unterziehen.

Foto: LFT / Christophe Van Biesen.

Von der umtriebigen Oberstadt, den Geschäften, den Menschen und den Cafés führen nur wenige Schritte weg, und schon bewegt man sich in abschüssigen Gassen, über das Kopfsteinpflaster der Altstadt, schleicht an hohen sandsteinfarbenen Mauern entlang. Das trubelhafte Treiben bleibt hinter einem zurück. Straßen, die immer steiler werden, verbinden die Ober- mit der Unterstadt. Um einen herum wird es grüner. An den Hang schmiegt sich ein verwilderter Garten mit schiefen, knorrigen Apfelbäumen. „Schüler pflücken die Äpfel, Obstgärten der Stadt Luxemburg“ heißt es auf einem Schild in drei Sprachen.

Verwunschene Stille

Treppen führen hinunter zum Fluss, der Alzette, die durch Luxemburg fließt. Auf der anderen Uferseite: das Viertel Grund, einer der ältesten Stadtteile. Eine verwunschene Stille liegt über dem Ort. Wer sitzt denn da am Ufer? Tatsächlich, es ist eine Meerjungfrau. Unter den hängenden Ästen einer Trauerweide hervor blickt sie aufs Wasser, den Kopf zur Seite geneigt. Die Statue des Künstlers Serge Ecker befindet sich hier seit Oktober 2015. Ihr Name ist Melusina.

Melusinas Ausblick auf die Alzette ist traumhaft. Doch sieht sie die Schönheit dieses Ortes oder ist sie von Bitterkeit und Elend erfüllt? Ihre Vergangenheit ist eine traurige. Die Liebesgeschichte zwischen Melusina und Graf Siegfried von Luxemburg ist eine von Luxemburgs Gründungslegenden: Vor vielen Hundert Jahren verliebte sich der Graf in die schöne Jungfrau Melusina. Sie heiratete ihn – nachdem er ihr versprochen hatte, sie dürfe sich samstags vor den Augen der Welt verbergen. Siegfried wusste jedoch nicht: Melusina war eine Meerjungfrau, die jeden Samstag in der Badewanne ihre wahre Gestalt annahm.

Foto: LauraIberti / Comité Inspiring Luxembourg

Als Siegfried nach vielen Jahren hinter ihr Geheimnis kam, war Melusina für ihn auf immer verloren und verschwand in der Tiefe des Felsens. Dort wartet sie nun auf ihre Erlösung. Die Legende sagt: Alle sieben Jahre erscheint sie auf dem Bockfelsen und macht einen Stich auf dem Hemd, an dem sie arbeitet. Ist dieses Hemd fertig, bevor Melusina von Menschenhand erlöst wird, wird sie die Stadt Luxemburg untergehen lassen. Bitte Melusina, verschone sie doch!

Hier steppt der Bär – und Otter

Was trinkt man eigentlich in Luxembourg? Natürlich eisgekühlten Crémant de Luxembourg. Perlt, schäumt, verpufft. Köstlich! Wer braucht da noch Champagner? Beim Kneipenhopping bekommt man Crémant fast überall. In der Straße am Krautmarkt reiht sich eine Bar an die andere, es herrscht reger Betrieb. In lauen Sommernächten ist kein Durchkommen. Überall an den Tischen sitzen und stehen Menschen, manche tanzen mitten auf der Straße. Hier wird gefeiert, getratscht und gelacht. Schwul, hetero ... egal. Willkommen ist man(n) überall.

Foto: Axel Delandre / Bar Rouge

„Als ich jung war, gab es hier immer vier oder fünf Schwulenbars. Heute gibt es nur noch eine. Das liegt auch daran, dass Luxemburg sehr gay-friendly ist. Man kann überall auf der Straße seinen Mann oder seine Frau küssen“, findet der Europaabgeordnete Marc Angel. Die eine: Das ist die Bar Rouge. Tagsüber Bistro, abends Bar, sorgt sie zu jeder Tageszeit für schwule Sichtbarkeit. Abends herrscht passend zum Namen rotes Zwielicht. Vor der Tür stehen Grüppchen und unterhalten sich, Neuankömmlinge werden begrüßt, Bekannte umarmt. Man kennt sich in Luxemburg.

Touristen willkommen

Andy Maar wünscht sich dennoch mehr Locations in Luxemburg, in denen queere Kultur stattfindet – insbesondere angesichts eines durch Corona beschleunigten, weltweiten Szenesterbens. Andy, 36, seit 2009 Koordinator vom Luxembourg Pride und Mitglied im Verwaltungsrat des queeren Vereins in Luxemburg, Rosa Lëtzebuerg, erzählt, dass Locations ihn um Hilfe baten, weil sie sich gerne queerer in Szene setzen wollen. Rosa Lëtzebuerg erarbeitet gemeinsam mit ihnen derzeit ein Konzept. Die Organisation veranstaltet nicht nur den Pride, sondern auch viele andere Events – darunter Drag Bingo, Stammtische und saisonale Veranstaltungen wie Weihnachtsmarktbesuche und Sommerfeste. Touristen sind dabei jederzeit willkommen, betont Andy.

Foto: privat

Lars Hellers ist DJ. Der gebürtige Belgier ist in Luxemburg aufgewachsen, liebt elektronische Musik und machte seine Liebe vor vier Jahren zum Beruf. Er bestätigt: Ja, die Bar Rouge ist der Ausgangspunkt für queeres Feiern. Hier und auf anderen schwulen Partys in Luxemburg hat Lars schon aufgelegt. Er bezeichnet die Szene in Luxemburg als sehr familiär – und betont, das sei auch gut so. Das liegt auch an der Lage des Landes: Wem nach Circuit-Partys und Eskalation zumute ist, der ist von Luxemburg aus binnen zwei Stunden in den Schwulenmetropolen Köln, Brüssel und Paris. Ausnüchtern kann man dann in der umwerfenden Natur Luxemburgs.

Foto: Christian Hinz

Kleine Luxemburger Schweiz: Natur pur

Ob man nun vom Land kommt oder aus der Großstadt: In Luxemburg findet man beides: das unbekannte Aufregende und das Vertraute, in dem man sich zu Hause fühlt. Ein Trip aufs Land ist Pflicht – vor allem, seit Luxemburg 2020 als erstes Land der Erde den kostenlosen Personennahverkehr einführte. Ohne mühsame Planung oder Kosten kommt man nun von einem Ende Luxemburgs zum anderen. Wo steigt man aus? Die Auswahl fällt schwer.

Foto: LFT / Mélanie Maps

Während Weinliebhaber in der Luxemburger Moselregion nahe der deutschen Grenze auf ihre Kosten kommen, finden Möchtegern-Prinzen das berühmteste von vielen Luxemburger Schlössern in den Ardennen im Norden des Landes: Schloss Vianden ist eine der größten erhaltenen Burgen westlich des Rheins. Wer hingegen Natur liebt, gerne wandert, Mountainbike fährt oder an einer Felswand klettert, kommt im Müllerthal auf seine Kosten. Nicht nur zu Corona-Zeiten ist es befreiend, Menschenansammlungen hinter sich zu lassen und die frische Luft der im Volksmund „kleine Luxemburger Schweiz“ genannten Region zu atmen.

Wandern im Müllerthal mutet wie ein Abenteuer an: Der Wasserfall Schiessentümpel, ein beliebtes Fotomotiv, könnte auch Schauplatz einer Fantasyserie sein. An den vielen Wanderwegen im Müllerthal finden sich schmale Felsspalten und Höhlen. Felsen, in denen sich ein kleines Monster versteckt, daneben ein erschrocken aufgerissenes Gesicht: Die Sandsteinfelsen im Müllerthal halten so manche Überraschung bereit! Durch die Jahrtausende wirkende, wabenförmige Erosion formten sich hier alle möglichen Gebilde. Wer findet das schaurigste Monstergesicht?

Foto: LFT / T. Jutzler

Industrial Charme und eine Reise in die Vergangenheit

Eine helle Kinderstimme beginnt, ein französisches Kinderlied zu singen. Einige Sitze weiter vorne stimmt ein Mann mit ein. Lachen erfüllt das Zugabteil, weitere Menschen singen mit. Man kennt sich nicht, aber man kennt den Text – und das genügt. Am Fenster zieht ein Kirchturm vorbei, fast verschluckt vom wabernden Dampf. Der Zug pfeift.

Die Fahrt mit dem Dampfzug von 1900 ist ein besonderes Highlight. Man ertappt sich dabei, ein wenig enttäuscht zu sein, als man aussteigt – und feststellt, dass man sich noch immer in der heutigen Zeit befindet.

Im Süden Luxemburgs liegt das „Land der roten Erde“. Der Name deutet auf das hohe Eisenerzvorkommen und die Industrievergangenheit dieses Landesteils hin. Nur 3.700 Hektar des roten Eisenerzvorkommens gehörten geografisch zu Luxemburg, doch sie reichten finanziell, um das Land zu verändern und seine Geschichte zu bestimmen. Im Minett-Park Fond-de-Gras kann man in diese alte Zeit zurückreisen, Maschinen begutachten, mit dem Dampfzug oder einer Grubenbahn fahren. Im Sommer finden Open-Air-Events statt wie das Bluesfestival oder das Steampunk Festival.

Foto: Paul Schönen / Comité Inspirier Luxembourg

Vom Industriepark fußläufig erreichbar: das ehemalige Tagebaugebiet „Giele Botter“, inzwischen ein Naturschutzgebiet. Alte Fotos zeigen, dass hier vor vierzig Jahren noch Container und Maschinen standen, Menschen schufteten. Alles war rot, trocken, staubig. Inzwischen hat die Natur das Gebiet mit all ihrer Kraft zurückerobert, viele Schmetterlinge hielten Einzug, seltene Orchideen blühen. Das Naturschutzgebiet hat einen surrealen Charme. Die roten Schichten im aufragenden Fels erinnern an den Grand Canyon. Man starrt in den verlassenen Stollen, in dem sich weit hinten das Licht verliert. Fledermäuse leben nun hier.

Eine große Tanne steht am Wegesrand. Zu Weihnachten wird sie mit roten Christbaumkugeln geschmückt, jedes Jahr. Von wem? Das weiß niemand. Ein langer Weg, gewunden, am Rand hohe Bäume. Der Führer erzählt leise, er gehe am liebsten im warmen Mairegen hier durch. Weil man dann hören kann, wie der Regen auf die Blätter fällt. Und niemanden sieht. Nur die blühenden Blumen. Man ist dann ganz, ganz allein.

Wer Großstadtflair und Waldeinsamkeit gleichermaßen liebt, der muss nach Luxemburg – bevor Melusina an ihrem Hemd den letzten Stich macht.

INFO

www.visitluxembourg.com

HINKOMMEN

Freundlich, günstig, gut: LuxAir bringt einen sicher ins Land, u. a. ab Berlin, Hamburg, München und Saarbrücken. Wem beim Fliegen gern die Nerven flattern, dem sei gesagt: Der kostenlose Crémant über den Wolken beruhigt – und schmeckt köstlich! www.luxair.lu

Foto: Hotel Simoncini

HOTEL

Das Hotel Simoncini liegt sehr zentral mitten im Stadtzentrum nahe der Fußgängerzone. Ein besonderes Highlight ist die im selben Haus befindliche Kunstgalerie. Auch im Hotel finden sich Kunstwerke, die das moderne Design noch unterstreichen. www.hotelsimoncini.lu

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