INTERVIEW – JÜRGEN TRITTIN

© Foto: A. Nonnenmacher

Er war Bundesumweltminister und wird durch seine trockene, norddeutsche Art oft abweisend wahrgenommen. Das Direkte und Klare, was Jürgen Trittin zu Eigen ist, brachte ihm aber auch die Spitzenkandidatur im Mitgliederentscheid der Grünen ein. Wir trafen den 59-Jährigen in seinem Bundestagsbüro und fragten, warum Homosexuellenrechte Bürgerrechte sind und die Öffnung der Ehe bei den Grünen im Sofortprogramm verankert ist.

ICH WÜRDE GERNE MIT EINER PRIVATEN FRAGE BEGINNEN: KÖNNEN SIE SICH ERINNERN, WANN DAS THEMA SCHWULENRECHTE FÜR SIE RELEVANT GEWORDEN IST?

Ja, das war in den späten 1960er-Jahren. Wir waren auf Klassenfahrt in Hannoversch Münden. Es war das Jahr, als die Strafbarkeit aufgehoben wurde, was wir als Schüler gut fanden. Damals war „der 175er“ noch ein stehender Begriff und wir haben die Mitreisenden im Zug damit provoziert, alle „175er“ zu sein, was die noch völlig schockiert hat.

ALSO WURDEN SCHWULENRECHTE VON IHNEN DAMALS SCHON ALS BÜRGERRECHTE ANGESEHEN?

Für uns gehörte der Kampf gegen die Notstandsgesetze, der Ausspruch „mehr Demokratie wagen“ von Willy Brandt und auch die Beendigung der Strafbarkeit von Homosexualität in einen fixen Zusammenhang, der dann wiederum Ausgangspunkt für unser radikaldemokratisches Engagement wurde.

DAS THEMA „175ER“ IST BIS HEUTE AKTUELL, UND GERADE IN LETZTER ZEIT GIBT ES ERNSTE POLITISCHE BESTREBUNGEN, ES ZU EINEM ABSCHLUSS ZU BRINGEN, DER AUCH EINE ENTSCHÄDIGUNG DER OPFER MIT SICH BRINGEN SOLL ...

Ja, auch wenn sich nach wie vor viele damit schwertun zu akzeptieren, dass auch Urteile, die nicht direkt aus einem Unrechtsstaat hervorgehen, Unrechtsurteile sein können. Wir brauchen schnell eine Lösung, wenn man diesen Opfern noch etwas Gutes tun möchte: Aufhebung der Urteile und Entschädigung. Wir haben im Bundestag dafür Vorschläge vorgelegt, die aber von Schwarz-Gelb blockiert wurden.

SIE SIND MITGLIED IM BEIRAT DER AKADEMIE WALDSCHLÖSSCHEN, DIE SICH FÜR DIVERSITY-BILDUNG EINSETZT. WIE KAM ES DAZU?

Die Akademie Waldschlösschen ist eine sehr wichtige Bildungseinrichtung in meinem Wahlkreis Göttingen. Wir haben unter Rot-Grün in Niedersachsen der Erwachsenenbildung in diesem Bereich einen gesetzlichen Rahmen gegeben und dadurch auch die Finanzierung sichergestellt. Gerade in der Zeit, als in den 1980er-Jahren eine massive Verängstigung der Bevölkerung durch HIV stattgefunden hat, ist durch das Waldschlösschen wichtige Aufklärung geleistet worden. Dass zum Beispiel Rita Süssmuth sich damals konträr zur Parteilinie aufgestellt hat, hatte ganz spezifisch mit der Akademie zu tun. Ich fühle mich der Arbeit des Waldschlösschens traditionell verbunden.

IN DEN BEREICH ERWACHSENENBILDUNG FÄLLT AUCH DIE BUNDESSTIFTUNG MAGNUS HIRSCHFELD. EIGENTLICH EINE „GRÜNE IDEE“, WURDE SIE IN DIESER LEGISLATUR DURCH DIE FDP ENDLICH INSTALLIERT, ALLERDINGS IN EINEM BISHER ÜBERSCHAUBAREN FINANZIELLEN RAHMEN. GIBT ES HIER IDEEN, WIE ES WEITERGEHEN SOLL MIT DER STIFTUNG?

Die Idee hinter der Stiftung ist gerade für die Stadt Berlin auch eine historische, die daran erinnert, dass die Verteidiger der Demokratie in der Weimarer Republik liberale Bürgerrechtler waren, die auch die Sexualmoral, die Umgehensweise mit Homosexuellen als Zeichen einer liberalen Gesellschaft gegen die Nazis verteidigen wollten. Wenn die FDP hier mal etwas Gutes zustande gebracht hat, sollte man das nicht kleinreden, auch wenn ich mir durchaus eine Stärkung der Stiftung wünsche.

WENN SIE SICH DIE LETZTEN VIER JAHRE ANSCHAUEN UND SEHEN, WIE BUNDESRATS- UND BUNDESTAGSVORSTÖSSE IMMER WIEDER AM WIDERSTAND DER CDU/CSU SCHEITERN, RESIGNIERT MAN DANN NICHT IRGENDWANN? SIE SIND SEHR LANGE IM POLITISCHEN GESCHÄFT. WAS MOTIVIERT SIE, IMMER WEITERZUMACHEN?

Beharrlichkeit zahlt sich aus. Ich war im letzten Jahr in Japan, und da wurde ich gefragt, wie wir uns die Energiewende eigentlich leisten können. Dort denkt man, wir hätten innerhalb eines Jahres alle Atommeiler abgeschaltet. Nein, wir haben 2001 damit begonnen, den Atomausstieg zu realisieren und alternative Kapazitäten aufzubauen. Es hat zehn Jahre gedauert, aber heute ist es gesellschaftlicher Konsens, eine alternative Energieversorgung zu verwirklichen. Es hilft nichts, einen Koalitionsvertrag zu haben, es benötigt immer auch eine gesellschaftliche Mehrheit, Veränderungen durchzusetzen. Andersherum führt unser politisches System von Check und Balance (Bundesrat/Bundestag/Verfassungsgericht, A. d. R.) heute häufig dazu, dass die Gesellschaft weiter ist als die politischen Institutionen. So auch in der Frage der Rechte Homosexueller. 2000 meinte der damalige Bundeskanzler noch, aus Rücksicht auf die Wahlen in Nordrhein-Westfalen das Lebenspartnerschaftsgesetz nicht auf den Weg bringen zu können. Franz Müntefering war es, der damals sinngemäß sagte: „Gerd, ich glaube die Kollegen sind dort schon weiter.“ So ist es auch heute. Es herrscht eine tiefe gesellschaftliche Überzeugung, dass da, wo Menschen Verantwortung füreinander und für Kinder übernehmen, gleiche Rechte unabhängig von sexueller Orientierung gelten müssen. Wer politisch keine Beharrlichkeit mitbringt, wird keine strukturellen Veränderungen bewirken können. Das ist uns zum einen in der Frage der Atompolitik, der Energiewende und auch in der Gleichstellung homosexueller Partnerschaften gelungen.

NUN HAT ES ABER DAS „PROJEKT 48“, DIE GLEICHSTELLUNG DER HOMOSEXUELLEN PARTNERSCHAFTEN, DIE ÖFFNUNG DER EHE, NICHT IN DIE TOP ZEHN WAHLKAMPFTHEMEN DER GRÜNEN GESCHAFFT. HAT DIES AUSWIRKUNGEN ZUM BEISPIEL AUF KOALITIONSVERHANDLUNGEN NACH DER WAHL?

Nein. Es ist so, dass wir 58 Themenfelder zur Wahl gestellt haben. Marketingstrategen sagen, man solle sich im Wahlkampf auf drei große Themen konzentrieren. Wir Grünen sind gerne etwas komplizierter, bei uns gibt es zehn Themen. Das heißt aber nicht, dass die anderen 48 Themen nicht auch aktuell bleiben. Bei Koalitionsverhandlungen wird es sogar ganz praktisch darauf hinauslaufen, dass die Öffnung der Ehe ganz oben auf der Liste steht. Wir haben eine Mehrheit im Bundesrat und wissen durch die Erfahrungen mit der Lebenspartnerschaft, wie wichtig diese ist. Zudem kostet die Öffnung der Ehe den Staat nicht viel, was auch ein ganz pragmatischer Grund ist, dieses bürgerrechtlich drängende und öffentlichkeitswirksame Thema nach der Wahl zügig anzugehen.

•Interview: Christian Knuth

Internet: WWW.GRUENE.DE

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