Amy Coney Barrett: Fundamentalistische Sekte mit Sitz im Supreme Court?

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Trumps Vermächtnis: Ein gespaltenes Land, hunderttausende Corona-Tote – und ein mehrheitlich konservativer Supreme Court? Er nominierte die erzkonservative Richterin Amy Coney Barrett als Nachfolgerin der im September verstorbenen liberalen und um soziale Gerechtigkeit bemühten Richterin Ruth Bader Ginsburg (wir berichteten). Mit einer schwulenfeindlichen Äußerung ließ Coney Barrett diese Woche sämtliche Alarmglocken schrillen – die Demokraten kämpfen mit allen Mitteln gegen die Nominierung. Aber gibt es überhaupt noch Hoffnung? Und wer ist die Frau, die derzeit der Albtraum jedes liberalen US-Amerikaners zu sein scheint? 

Foto: gemeinfrei

Die Republikaner legten den Zeitplan für die Nachfolge am Supreme Court fest: Am 22. Oktober soll der Justizausschuss abstimmen, in der folgenden Woche der Senat. Direkt vor der Wahl und damit vor einem möglichen Regierungswechsel. Nicht nur das sorgt für große Kritik und Sorge aus dem gegnerischen Lager – auch Trumps Wunschkandidatin für den Sitz hat sich in der Vergangenheit nicht nur Freunde, sondern auch viele Feinde gemacht. 

Ganz oben auf der Liste der Sorgen: Die vorgeschlagene Rücknahme der gesetzlichen Krankenversicherung Affordable Care Act (Spitzname „Obamacare“) – denn in der Woche nach der Präsidentschaftswahl will sich der Supreme Court mit der Gesundheitsreform befassen, die Millionen US-Amerikanern Zugang zur Gesundheitsversorgung bietet. Abtreibungsgegner wollen zudem die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen durch den Obersten Gerichtshof im Jahr 1973 rückgängig machen. Zwei Themen, bei denen Coney Barretts Meinung festzustehen scheint – ebenso wie bei der Ehe für alle. 

Kamala Harris warnt vor Amy Coney Barrett

Am Eröffnungstag der Anhörungen zur Nominierung von Coney Barrett hielt Joe Bidens Vizekandidatin Kamala Harris eine leidenschaftliche Rede. Sie sprach sich entschieden gegen die Verfassungsrechtlerin aus und äußerte ihre Sorge, dass die Gleichberechtigung der US-Amerikaner auf dem Spiel stünde – ebenso wie die Öffnung der Ehe. Äußerungen wie diese sind von Bidens Vizekandidatin übrigens mehr als politisches Pink Washing: Kamala Harris setzte sich in ihrer Rolle als Generalstaatsanwältin von Kalifornien maßgeblich für die Öffnung der Ehe ein (wir berichteten).

Foto: Gage Skidmore. CC BY SA 2.0

Zuerst tadelte Harris aber den Ausschuss dafür, dass er diese „rücksichtslose Anhörung“ überhaupt abhielt. Sie hätte verschoben werden müssen, so die Demokratin. Immerhin seien nun mehr als 50 Menschen stundenlang in ein und demselben Raum, während die Nation mit einem tödlichen, durch die Luft übertragbaren Virus konfrontiert sei. Sie warf dem republikanischen Senat vor, in 150 Tagen keinen Finger gerührt zu haben, um ein Coronavirus-Hilfegesetz durchzubringen, stattdessen nun aber diese Anhörung in lediglich 16 Tagen durchpeitschen zu wollen.

Foto: Lynn Gilbert, CC BY-SA 4.0, wikimedia.org

Die Demokratin macht deutlich: Sie fürchtet den drohenden Verlust eines Zustandes, in dem jedem US-Amerikaner vor dem Gericht das gleiche Recht gewährt wird. Ein Zustand, an dessen Errichtung Ruth Bader Ginsburg einen erheblichen Anteil gehabt habe, so Harris. Jemanden als ihren Ersatz zu ernennen, der dem zuwider handele, würde das Vermächtnis der kürzlich verstorbenen Richterin zerstören.

„Richterin Ruth Bader Ginsburg widmete ihr Leben diesem Kampf für gleiche Gerechtigkeit. Sie verteidigte die Verfassung. Sie setzte sich für Menschenrechte und Gleichberechtigung ein. Sie setzte sich für die Rechte der Frauen ein. Sie schützte die Arbeitnehmer. Sie kämpfte für die Rechte der Verbraucher gegen Großkonzerne. Sie setzte sich für die Rechte von LGBTQ ein. Aber jetzt sind ihr Vermächtnis und die Rechte, für deren Schutz sie so hart gekämpft hat, in Gefahr. Indem Präsident Trump die Richterin Ruth Bader Ginsburg durch jemanden ersetzt, der ihr Vermächtnis ungeschehen machen wird, versucht er, die Rechte der Amerikaner für die kommenden Jahrzehnte zurückzudrängen.“


... während Amy Coney Barrett sagt, Homosexualität sei eine Entscheidung

Das starke Unbehagen ihrer politischen Gegner und die Angst der Queercommunity gipfelte diese Woche in einer offenen Revolte gegen Amy Coney Barrett. Was war geschehen?

Am zweiten Tag ihrer Anhörung weigerte Coney Barrett sich, dazu Stellung zu nehmen, ob die Gleichstellung der Ehe ein verfassungsmäßig geschütztes Recht sei. Sie behauptete, sie habe niemals jemanden aufgrund seiner „sexuellen Präferenz“ diskriminiert und plane auch nicht, dies zu tun.

Die Human Rights Campaign bezichtigte sie diesbezüglich einer Lüge, da laut der Organisation die richterlichen Entscheidungen der Richterin sowie ihr Abstimmungsverhalten eine „Feindseligkeit gegenüber den Rechten von LGBTIQ+“ zeigten. Vor allem aber war es ihre Formulierung bezüglich der „sexuellen Präferenz“, die bei Aktivist*innen sofort sämtliche Alarmglocken schrillen lässt. Der Ausdruck gilt als überholt und verpönt. Barretts Äußerung löste auf Twitter einen Shitstorm aus.


Wer ist Amy Coney Barrett?

Die Mutter von sieben Kindern, zwei davon aus Haiti adoptiert, war schon in der Schule stets Klassenbeste. Nachdem sie ihr Studium der Rechtswissenschaften an der Notre Dame Law School in Indiana mit summa cum laude abgeschlossen und fünf Jahre in einer Anwaltskanzlei gearbeitet hatte, wurde die heute 48-Jährige an ihre ehemalige Universität berufen. 15 Jahre lang lehrte sie als Professorin Zivilprozessrecht und Verfassungsrecht, bevor sie 2017 zur Richterin am Bundesberufungsgericht für den siebten Gerichtskreis Illinois, Indiana, Wisconsin ernannt wurde. Demokratische Senatoren befürchteten schon damals, ihre erzkatholischen Überzeugungen könnten ihr Urteil über Themen wie gleichgeschlechtliche Ehe und Abtreibung beeinflussen. Hier ein Auszug aus ihrer Anhörung 2017.

Aus ihrer streng katholischen Überzeugung machte Coney Barrett in der Tat nie einen Hehl, über die 1971 gegründete katholische Erneuerungsbewegung People of Praise, der sie gemeinsam mit ihrem Ehemann angehört, weiß man hingegen wenig. Mehrmals schon wurde der Gemeinde ein „Mangel an Transparenz“ bescheinigt. 

Fundamentalchristliche Sekte

People of Praise zählt lediglich rund 1.800 Mitglieder an 22 Standorten in Nordamerika und der Karibik. Bei Eintritt in die Gemeinschaft schwören die Mitglieder lebenslangen Gehorsam, außerdem sind sie geistlich reiferen Beratern gegenüber rechenschaftspflichtig. Verheiratete Frauen werden zusätzlich von ihren Ehemännern „angeführt“. Männer werden folgerichtig als „heads“ (Köpfe) bezeichnet, während Frauen lange Zeit „handmaids“ (Mägde) waren, bevor sie kürzlich die Bezeichnung „woman advisors“ (Frauenberaterinnen) erhielten. 

Kennzeichnend für People of Praise ist ein massiver Widerstand gegen liberale Veränderungen in der Gesellschaft. „Vieles von dem, was in ‚People of Praise‘ vor sich geht, unterscheidet sich kaum von dem, was in rechten oder konservativen katholischen Kreisen läuft“, schrieb die Analystin Heidi Schlumpf im National Catholic Reporter.

Foto: gemeinfrei

Homosexualität wird entschieden abgelehnt, ebenso Abtreibungen, denn diese seien „immer unmoralisch“, schrieb Coney Barrett 1998 in einem Artikel in der Marquette Law Review . Zusammen mit einer Gruppe katholischer Frauen unterzeichnete Coney Barrett einen Brief zur Unterstützung der ordentlichen Bischofssynode über die Familie. Darin heißt es:

„Wir bezeugen, dass die Lehren der Kirche – über die Würde der menschlichen Person und den Wert des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod [...] – eine sichere Richtschnur für das christliche Leben bieten, das Gedeihen der Frauen fördern und dazu dienen, die Armen und Schwächsten unter uns zu schützen.“

In Indiana betreibt People of Praise auch drei Mittel- und Oberschulen, sogenannte Trinity-Schulen. Deren Bildungskonzept entspricht voll und ganz den betont traditionellen Werten der People-of-Praise-Bewegung. In ihrer Selbstdarstellung widmet sich die Schule ausführlich dem Thema Sexualität. Die Ehe sei „eine legale und engagierte Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau“, eheliche Liebe somit der „einzig richtige Ort für sexuelle Aktivitäten“. „Außerhalb der so verstandenen Ehe glauben wir, dass sexuelle Aktivitäten (ob heterosexuell oder homosexuell) nicht im Einklang mit Gottes Plan für die menschliche Sexualität stehen“, so der Wortlaut der Schule.

Vom heteronormativen Geschlechtsmodell abweichendes Verhalten wird als pubertierende Verirrung im Zuge der Identitätsentwicklung gesehen: „In diesem Alter können einige Schüler auch gleichgeschlechtliche Anziehungskraft erfahren. Wir glauben jedoch, dass es für Jugendliche unklug ist, eine bestimmte emotionale Erfahrung vorzeitig als identitätsbestimmend zu interpretieren. Wir glauben, dass eine solche Selbstidentifikation in jungen Jahren dazu führen kann, dass Schüler ausschließlich aufgrund ihrer Sexualität gekennzeichnet werden, Ablenkung erzeugen, Verwirrung stiften und Schüler daran hindern, echte Freiheit innerhalb der Schulkultur zu erfahren.“

An Trinity-Schulen dürfen Schüler*innen deshalb nicht über ihre Sexualität sprechen: „Wenn für einen Schüler herausfordernde Fragen der Sexualität auftauchen, bemüht sich die Schule, diese Situationen mit Sensibilität, Diskretion und Sorgfalt für den Schüler zu behandeln. Aus Gründen der richtigen Sprache bitten wir die Schüler, Fragen der persönlichen Sexualität nicht offen zu diskutieren.“

Amy Coney Barrett war von 2015 bis 2017 Mitglied im Vorstand der Trinity School. In diese Zeit fällt die Verabschiedung einer Richtlinie, wonach Kinder von unverheirateten Paaren nicht aufgenommen werden. 

Halbherzige Entschuldigung zum Thema Ehe für alle von Barrett

Während der Anhörung wies die demokratische Senatorin aus Hawaii, Mazie Hirono, Barrett auf ihre problematischen Äußerungen hin. Sie erklärte:

„Lassen Sie mich klarstellen, dass 'sexuelle Präferenz' ein beleidigender und veralteter Begriff ist. Er wird von Anti-LGTB+-Aktivisten verwendet, um anzudeuten, dass die sexuelle Orientierung eine Wahl ist. Das ist sie nicht.“

Im Präzedenzfall Obergefell vs Hodges vor dem Supreme Court, der zur Öffnung der Ehe führte, sei es ein wesentlicher Teil der mehrheitlichen Meinung gewesen, dass die sexuelle Orientierung sowohl ein normaler Ausdruck der menschlichen Sexualität als auch unveränderlich ist, so Hirono.

Dann wies sie Barrett darauf hin, dass ihr Mentor, Richter Antonin Scalia dies anders gesehen habe. Zuvor hatte Barrett nämlich versprochen, ihre Fälle nach dem Vorbild des verstorbenen Richters zu entscheiden, für den sie Ende der 1990er Jahre als Angestellte arbeitete. Der ehemalige Richter am Supreme Court (verstorben 2016) galt als absolut queerfeindlich.

Er verglich die Rechte von Homosexuellen offen mit Pädophilie und Inzest und stimmte gegen jede einzelne Pro-LGBT+-Entscheidung während seiner Zeit am Supreme Court – von der Entkriminalisierung der Homosexualität bis zur Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe.

Scalias Zögling Barrett entschuldigte sich bei ihrer Anhörung für den Ausdruck „sexuelle Präferenz“ – wenn auch sehr halbherzig. 

Ich wollte und würde niemals einen Begriff verwenden, der in der LGBT+-Gemeinschaft Anstoß erregen würde. [...] Falls doch, entschuldige ich mich dafür vielmals.

Ihre zahlreichen Kritiker*innen hat sie damit nicht wirklich beruhigt ... Letztlich stehen auch die Chancen, dass sie nicht ernannt wird, sehr gering. Das liberale Amerika kann seine Macht nur noch zurückerobern, wenn es erst die Wahl gewinnt und danach stückweise versucht, den Schaden Donald Trumps aufzuarbeiten. 

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