#Wahlanalyse: Gleichstellung siegt • Kamala Harris: „We did it, Joe!"

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Die Queercommunity der USA fuhr in den Wahlen große Erfolge ein: Die beiden ersten schwulen schwarzen Kongressabgeordneten, der erste nicht-binäre Mensch in einem US-Repräsentantenhaus, die erste transgeschlechtliche Senatorin ... Medien sprechen von einer Regenbogenwelle. Einige der historischen Siege für Sichtbarkeit haben wir für euch aufgelistet und erklären euch, warum mit hoher Wahrscheinlichkeit LGBTIQ* und ihre Straight Allys ein Zünglein an der Waage waren. 


Proud gay boy besiegt Proud Boy

In diesem Jahr standen in den USA fast 600 geoutete LGBTIQ*-Kandidat*innen auf dem Wahlzettel – mehr als jemals zuvor. Viele von ihnen konnten einen Sieg einfahren – teilweise sind sie die ersten offen queeren Menschen, die in ihren Staaten diesen Erfolg hatten. So wie der schwule Adrian Tam aus Hawaii, der nun in das Repräsentantenhaus des Staates einzieht. Vor der Wahl gab es drei US-Bundesstaaten – Hawaii, Mississippi und South Dakota – die keine gewählten offen queeren Beamten auf irgendeiner Regierungsebene hatten. Nun sind es nur noch zwei.

Tam siegte bei der Wahl dazu auch noch gegen einen echten Rechten: Sein Gegner Nick Ochs ist der Vorsitzende der hawaiianischen ultrarechten, paramilitärischen Landesgruppe „Proud Boys“. Donald Trump hatte im ersten Fernsehduell auf die Frage nach einer Distanzierung von Faschisten doppeldeutig von „Proud Boys“ gesprochen und damit eine Welle der Empörung und eine Welle von küssenden und kopulierenden Männerpaaren bei Twitter ausgelöst: Queers auf der ganzen Welt hatten mit dem gleichlautenden Hashtag #ProudBoys Twitter mit schwulen Küssen und Pornos geflutet.


Trans*-, Non Binary- und Lesben-Power in den Ämtern

Große internationale Beachtung fand der Sieg von Sarah McBride: Sie wurde die erste transgeschlechtliche Senatorin des Landes (wir berichteten). Andere transgeschlechtliche Frauen, darunter Taylor Smalls aus Vermont, Stephanie Byers aus Kansas und Brianna Titone aus Colorado gewannen am Dienstag ebenfalls mit beachtlichen Siegen auf Bundesstaatsebene.

Foto: sarahmcbride.com

Foto: Mauree for House District 88 / CC BY 4.0 / Wikimedia

Mauree Turner aus Oklahoma wurde der erste nicht-binäre Mensch, der in das Repräsentantenhaus eines US-Bundesstaates einzieht. Turner gewann in Oklahoma gegen die Republikanerin Kelly Barlean mit einer komfortablen Zwei-Drittel-Mehrheit.

Michele Rayner-Goolsby ist die erste schwarze, lesbische Frau, die einen Sitz in der Legislative von Florida gewonnen hat. Die ebenfalls schwarze und lesbische Kim Jackson wiederum wurde die erste queere Person im Senat des Staates Georgia, während Jabari Brisport der erste schwarze Schwule ist, der je in die Legislative des Bundesstaates New York gewählt wurde.

Einen großen Erfolg fuhr auch Charmaine McGuffey ein – sie gewann die Sherrif-Wahl in Hamilton County, Ohio. Die offen lesbische McGuffey ist nicht nur die erste Frau, sondern auch die erste queere Person in diesem Job. Und das beste: Sie gewann gegen ihren ehemaligen Chef Jim Neil, der sie nach 23 Jahren im Dienst von ihrer Position als Leiterin der Gefängnis- und Gerichtsdienste gefeuert hatte – laut McGuffey nur deshalb, weil sie lesbisch war.


Die ersten schwulen schwarzen Kongressabgeordneten ...

… wurden Ritchie Torres (32) und Mondaire Jones (33). Die beiden offen schwulen New Yorker gewannen bei der Wahl in ihren Bezirken und werden nun in den Kongress einziehen.

Foto: Sage / CC BY 2.0 / Wikimedia

Nominiert wurden beide von den Demokraten als Nachfolger von Abgeordneten, die in den Ruhestand gehen. Torres ist Afro-Latino, seine Mutter ist Afroamerikanerin, sein Vater kommt aus Puerto Rico. Er wird somit auch der erste offen schwule Latino im Kongress sein.

Beide Kandidaten gewannen in ihren stark demokratisch geprägten Bezirken mit überwältigender Mehrheit gegen eher symbolisch aufgestellte, republikanische Gegner. Die Bezirke sind sehr unterschiedlich – Jones' Bezirk in den Vorstädten nördlich von New York City ist größtenteils weiß und wohlhabend, mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 108.000 Dollar. Der Bezirk von Torres liegt in der Bronx, die Bevölkerung ist weitgehend hispanisch und schwarz, mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 31.000 Dollar.

Alphonso B. David, Leiter der Human Rights Campaign, begrüßte die Wahl der beiden Demokraten.  

„Mit ihren Siegen werden wir jetzt einen Kongress haben, der mehr Menschen einbezieht. Wir werden einen Kongress haben, der die Vielfalt unserer Community besser widerspiegelt, und wir werden einen Kongress haben, der all unsere Interessen schützt.“


Trump verdoppelte seinen Stimmenanteil zwar unter Queers ...

Laut der Exit Poll, einer Befragung von Wählern nach ihrer Stimmabgabe, schnitt Trump bei der Queercommunity weit besser ab als vor vier Jahren. Was? Ja, ganz genau. Er verdoppelte den Prozentsatz von queeren Wählern beinahe – statt 16 Prozent stimmten dieses Jahr 28 Prozent für den derzeitigen Präsidenten. Zwar bekam Joe Biden mit 60 Prozent der Stimmen mehr als das Doppelte, Fragen bleiben trotzdem. Vor vier Jahren holte Hillary Clinton noch 78 Prozent der queeren Stimmen.

Für die Community tat Donald Trump in seinen vier Amtsjahren nun wirklich nicht viel, das für ihn gesprochen hätte – woher dann die Unterstützung? Sie folgt auf ein gezieltes Werben um queere Stimmen seitens der Trump-Kampagne. Einer der bekanntesten schwulen Unterstützer von Trump, der ehemalige Botschafter in Berlin, Richard Grenell (wir berichteten), sowie Trumps Ehefrau Melania und sein Sohn Eric (wir berichteten), warben gezielt um lesbische und schwule Stimmen und verbreiteten widerlegte oder zumindest stark angezweifelte Behauptungen über seine politische Unterstützung sexueller und geschlechtlicher Minderheiten. 


... doch Queers und ihre Straight Allys wurden umso stärker motiviert 

Donald Trump hatte oft behauptet, ein entschiedener Befürworter von LGBTIQ*-Rechten zu sein, im selben Atemzug versuchte die Trump-Administration aber, diese Rechte zu untergraben, sei es durch Gerichte (wir berichteten), im Zuge von Abkommen (wir berichteten) oder mittels Einfluss auf die Medien (wir berichteten).

Foto: privat

Für die größte LGBTIQ*-Organisation der USA, Human Rights Campaign, ein Grund, so viele Menschen wie möglich dazu zu bringen, Donald Trump am 3. November abzuwählen. 

„In diesem Jahr müssen wir abstimmen, um unser Leben zu retten“, lautete die Überschrift ihrer Wahlkampf-Kampagne „Unite for Equality. Like never before“, die sich an queere Wähler*innen, aber auch an ihre Familien und Freunde richtete – an die „Equality Voters“ (‚Gleichstellungswähler*innen‘).

Konzept und Einsatz „Equality-Voter-Modell“

„Equality Voters“ – das sind zum einen Menschen, die sich selbst als queer identifizieren, zum anderen aber auch Personen, die sehr wahrscheinlich für Kandidat*innen stimmen, die LGBTIQ*-Rechte unterstützen, und eher gegen Kandidat*innen, die dies nicht tun.

Gleichstellungswähler sind tendenziell jung (30 Prozent sind jünger als 35 Jahre) und oft People of Color (48 Prozent). Am signifikantesten aber ist, dass 60 Prozent von ihnen Frauen sind. Lucas Acosta, nationaler Pressesprecher von HRC, beschrieb Gleichstellungswähler*innen als „mich, aber auch meine Mutter“.

In diesem Jahr umfasste diese Gruppe insgesamt 57 Millionen Menschen, davon 11 Millionen LGBTIQ*s. Wie mächtig dieser Wahlblock ist, soll folgendes Beispiel verdeutlichen: 2018 machten weiße evangelische Wähler*innen 26 Prozent aller Wähler*innen aus, der Anteil von Gleichstellungswähler*innen lag laut Angaben von HRC bei 29 Prozent.

Überzeugt davon, dass diese Gruppe das Potenzial hat, die Präsidentschaftswahl zu entscheiden, hatte sich HRC das Ziel gesetzt, LGBTIQ*-Wähler*innen und ihre Familien gezielt zu mobilisieren – mithilfe des Equality-Voter-Modells.

Das Equality-Voter-Modell wurde laut USA Today bereits 2016 in Zusammenarbeit mit dem Daten- und Analyseunternehmen Catalist entwickelt. Es basiert auf Wähler- und Umfragedaten, die über Jahrzehnte hinweg von HRC gesammelt wurden. Die gespeicherten Daten wurden mit öffentlichen Wählerdateien kombiniert und daraus eine Wähler-Rangliste mit einer Punktzahl zwischen 0 und 100 erstellt. Personen mit einem Ergebnis von 70 und mehr fielen in die Kategorie der Equality Voters.

„Wir waren an einem Zeitpunkt angelangt, wirklich zum ersten Mal in der Geschichte, an dem wir nicht nur uns LGBTIQ*-Leute selbst, sondern auch unsere Verbündeten organisieren konnten“,

erzählt Kampagnenleiter Geoff Wetrosky. Das sei enorm wichtig gewesen, „weil LGBTIQ*s im Großen und Ganzen in viel höherer Zahl wählen gehen als die allgemeine Öffentlichkeit“.

Vor allem in wichtigen Distrikten und Bundesstaaten, den Swing-States, trat das Political Action Committee (PAC) von HRC verstärkt mit Equality Voters in Kontakt, informierte über LGBTIQ*-Kandidat*innen, die für den Kongress und andere wichtige landesweite Ämter antraten, und rief dazu auf, Donald Trump abzuwählen. Als Political Action Committees (PAC) werden in den USA Lobbygruppen bezeichnet, die sich darauf konzentrieren, Abgeordnete oder Wahlbeamte der Regierung zu unterstützen oder zu bekämpfen.

Mit den eigenen Waffen geschlagen?

Angesprochen wurde die Zielgruppe der Equality Voters meist in Form von kurzen Spots auf Social-Media-Kanälen wie YouTube oder Facebook. Die folgenden Clips aus Wisconsin und Minnesota sind nur zwei Beispiele einer ganzen Reihe von Wahlwerbespots, die auf Grundlage des Equality-Voter-Modells geschaltet wurden. 

Microtargeting nennt sich die Methode des gezielten politischen Marketings, bei der mithilfe von Datenanalysen Zielgruppen definiert und mit ausgesuchten Botschaften angesprochen werden. Der Skandal um die Softwarefirma Cambridge Analytica hat gezeigt, wie konservative US-Kirchen und politische Organisationen versuchten, Teile der Gesellschaft durch das gezielte Verknüpfen digitaler Informationen zu beeinflussen.

Auch Human Rights Campaign bediente sich dieser Methode. Mit dem Unterschied, dass das Human Rights Campaign Equality Votes PAC von keinem Kandidaten oder Kandidatenausschuss autorisiert oder gar bezahlt wurde, und dass die Inhaber der Daten, mit denen die Organisation arbeitete, davon Kenntnis hatten, weil sie selbst es waren, die ihre Daten an HRC weitergegeben haben.

Die Ergebnisse der Wahlnacht sprechen für sich: Mit Stand heute konnte Biden sowohl Wisconsin als auch Minnesota für sich entscheiden. In Wisconsin fielen auf den demokratischen Herausforderer 49,6 Prozent der Stimmen, auf Präsident Trump 48,9 Prozent. In Minnesota haben 54,6 Prozent für Biden gestimmt, 45,4 für Trump.

Foto: Tatjana Rodriguez / Unsplash / CCO

Aktuell bleibt nur noch zu hoffen, dass die neu gewählten queeren Mandatsträger*innen ihre Chancen auch umfassend nutzen. Wir bleiben für euch dran. 


Update 7. November 22:15 Uhr

Biden und Harris gewählt

Foto: joebiden.com

Nach einer tagelangen Zitterpartie haben im Laufe des 7. Novembers nach CNN alle Medien inklusive der Trump nahestehenden Fox News Joe Biden und Kamala Harris als Wahlsieger der US-Präsidentschaftswahl gemeldet. HRC-Chef David machte in einer Stellungnahme noch einmal deutlich, wie wichtig die Equality Wähler für diesen Erfolg waren, machte aber auch darauf aufmerksam, dass der Schaden der Trump-Admistration schwer ist:

„Die Wahl von Joe Biden und Kamala Harris beweist einmal mehr, dass Gleichstellung ein Gewinn ist. ... Aber harte Arbeit liegt vor uns. Trump, Pence und Anti-Gleichstellungskräfte haben uns eine rechtswidrige und regressive Politik beschert, die den Schutz, den marginalisierten Communities seit Jahren genossen, aufgehoben hat. 

In den kommenden Tagen wird HRC unseren Entwurf für positive Veränderungen veröffentlichen, der den Weg für die Gleichstellung unter Joe Biden und Kamala Harris aufzeigt.“

Außerdem wurde in der Stellungnahme noch einmal über das Ausmaß der Mobilisierung für das Equality Voters Modell berichtet:

Mehr Infos: hrc.org/vote

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