Brasiliens Schicksalswahl

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Bei der mit Spannung erwarteten Präsidentschaftswahl in Brasilien haben sich der rechtsradikale Amtsinhaber Jair Bolsonaro und sein linksgerichteter Herausforderer Luiz Inácio Lula da Silva siegesgewiss gezeigt. Die beiden Kandidaten gaben relativ bald nach Öffnung der Wahllokale ihre Stimme ab – insgesamt sind mehr als 150 Millionen Brasilianer*innen zu den Urnen gerufen. Umfragen sagten ein äußerst enges Rennen voraus.

Foto: Bruna Prado / POOL / AFP

„So Gott will, werden wir heute Abend gewinnen“, sagte Bolsonaro, nachdem er seine Stimme in Rio de Janeiro abgegeben hatte. „Oder noch besser, Brasilien wird heute Abend siegreich sein“, sagte der Amtsinhaber, der ein T-Shirt in den Farben der brasilianischen Flagge trug.

Sein Herausforderer Lula, der von 2003 bis 2010 Präsident Brasiliens war, sagte nach seiner Stimmabgabe, er sei „zuversichtlich für den Sieg der Demokratie“. Im Falle seines Wahlsieges wolle er den Frieden zwischen den Brasilianer*innen wiederherstellen.

Foto: Carl de Souza / AFP

Bei der Wählerschaft kamen die beiden Kandidaten unterschiedlich an. „Ich denke, dass das die beste Regierung war, die Brasilien jemals hatte“, sagte die 61 Jahre alte Anwältin Eliane de Oliveira gegenüber AFP. Sie habe für Bolsonaro gestimmt. Fußallstar Neuymar kündigte sogar an, dem amtierenden Präsidenten Bolsonaro im Fall von dessen Wahlsieg sein erstes Tor bei der Fußball-WM in Katar zu widmen. Der Sportlehrer Gustavo Souza wählte hingegen nach eigenen Angaben Lula. Er hoffe, dass der Ex-Präsident „erneut das Leben vieler Menschen verbessern“ wird.

Umfragen vor der Stichwahl sahen Lula zuletzt vorn – Bolsonaro lag weiterhin hinter seinem Konkurrenten: Eine unmittelbar vor Beginn der Stichwahl veröffentlichten Meinungsumfrage des Instituts Datafolha sah Lula bei 52 Prozent, Bolsonaro bei 48 Prozent (auch Economist kommt zu einem ähnlichen Ergebnis). Bolsonaro aber beharrt darauf, dass die Daten des renommierten Instituts Datafolha lügen: „Alle sagen, dass ich beliebter bin als mein Gegner“, sagte Bolsonaro Ende der vergangenen Woche in einem Fernsehinterview.

Beim ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl in Brasilien Anfang Oktober hatte Lula 48 Prozent der Stimmen erzielt, Bolsonaro kam auf 43 Prozent. Umfragen hatten damals einen deutlich größeren Vorsprung Lulas vorausgesagt. Das Rennen sei „viel enger, als irgendjemand gedacht hätte“, sagte Brian Winter von der Zeitschrift „Americas Quarterly“.

Foto: Caio Guatelli / AFP

Der Wahlkampf hatte zuletzt immer mehr einer Schlammschlacht geglichen. Bolsonaro nannte seinen Herausforderer Lula, der wegen seiner Verwicklung in den Korruptionsskandal um den staatlichen Ölkonzern Petrobras 2018 und 2019 insgesamt 18 Monate im Gefängnis saß, einen „Dieb“, „Alkoholiker“ und eine „nationale Schande“. Lula bezeichnete seinen Kontrahenten Bolsonaro als „Kannibalen“ und „kleinen Diktator“.

Mit Sorge wird zudem betrachtet, wie sich Bolsonaro bei einer möglichen Niederlage verhalten wird. Am Freitag sagte Bolsonaro, „wer die meisten Stimmen hat, gewinnt. Das ist Demokratie“. Kritiker zweifeln jedoch an der Ernsthaftigkeit solcher Aussagen Bolsonaros und fürchten, er könnte eine Wahlniederlage wie der abgewählte US-Präsident Donald Trump nicht akzeptieren.

Viele Brasilianer*innen befürchten, dass Bolsonaro, dessen demagogischer Stil ihm den Spitznamen „Trump der Tropen“ eingebracht hat, ähnlich wie der abgewählte US-Präsident Trump eine Wahlniederlage nicht akzeptieren würde. Regelmäßig zieht er die Zuverlässigkeit von Brasiliens elektronischen Wahlmaschinen in Zweifel, ohne dafür Beweise vorzulegen. Zuletzt hatte Bolsonaro in einem Interview gesagt, es gebe für ihn „keinen Grund, am Wahlergebnis zu zweifeln“ – mit einer wichtigen Ergänzung: „Falls die Transparenzkommission, zu denen auch die Armee gehört, nichts Unnormales aufzeigt.“ Wie Bolsonaro das meint, wird sich womöglich schon in den Stunden nach der Wahl zeigen.

Das Ergebnis der Präsidentschaftswahl wurde bereits wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale am Sonntagabend 21.00 Uhr MEZ erwartet.

Foto: Mauro Pimentel / AFP

Jair Bolsonaro: Unversöhnlich und ohne Spur von Selbstzweifel

2018 war Jair Bolsonaro als Außenseiter bei der brasilianischen Präsidentschaftswahl angetreten, um – ähnlich wie sein Vorbild Donald Trump – das Establishment aufzumischen. Vier Jahre später polarisiert der rechtsradikale Politiker das südamerikanische Land mehr denn je – und seine Kritiker halten ihm vor, er habe wenig vorzuweisen außer hasserfüllten Sprüchen, Missmanagement der Corona-Pandemie und einen brennenden Regenwald. Umfragen zufolge lehnen 50 Prozent der Brasilianer Bolsonaro ab – der schlechteste Wert, den ein zur Wiederwahl stehender Präsident jemals erzielt hat.

„Bullen, Ballern, Bibel“

Bolsonaro hatte es 2018 geschafft, die Frustration der Wähler*innen wegen Wirtschaftsproblemen und Korruptionsskandalen für sich zu nutzen. Aber die Aura der Unbesiegbarkeit verblasst nun zum Ende seiner Amtszeit: Die Wirtschaft ist ins Stottern geraten, seine Popularität ist gesunken und den Umfragen zufolge steuert er auf eine Niederlage zu.

Bolsonaro hatte die Präsidentschaft 2018 durch die Stimmen von Wähler*innen gewonnen, die von Korruptionsaffären nichts mehr hören wollten, sowie durch den Rückhalt der mächtigen Agrarindustrie, der Sicherheits-Hardliner und der evangelikalen Christen – was im portugiesischen Brasilianisch mit dem einprägsamen Stabreim „boi, balas, bíblia“ ausgedrückt wird (etwa Bullen, Ballern, Bibel). Seine Fans mögen seinen radikalen Stil, seine Angriffe gegen das politische Establishment und seine Auftritte in Online-Netzwerken, wo seine Bewegung gedeiht. Kritiker*innen bringt er mit seinen Hasstiraden und seiner oft offen zur Schau gestellten Menschenverachtung in Rage: Bolsonaro gilt als rassistisch, sexistisch und homophob (männer* berichtete).

Auch sein Umgang mit der Corona-Pandemie hat Bolsonaro im Ausland zu trauriger Berühmtheit verholfen. Beharrlich hat der Impfgegner das Coronavirus als „kleine Grippe“ heruntergespielt. Heute hat Brasilien mit 686.000 weltweit die zweithöchste Todeszahl der Pandemie.

Bolsonaro sieht sich zudem internationaler Empörung über die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes gegenüber, dessen Abholzung während seiner Amtszeit stark vorangetrieben wurde, vor allem durch das Vordringen von Rinderzüchtern in den Urwald. Außerdem ist er mit mehreren Amtsenthebungsverfahren und einer Reihe von Korruptionsskandalen konfrontiert, an denen seine Familie und enge Mitarbeiter beteiligt sind.

Bolsonaro wurde 1955 in eine katholische Familie mit italienischen Wurzeln geboren und diente als Fallschirmjäger der Armee, bevor er 1988 seine politische Karriere als Stadtrat von Rio de Janeiro begann. Zwei Jahre später wurde er in das Unterhaus des Kongresses gewählt, wo er bis zu seiner Ernennung zum Präsidenten saß. Drei von seinen vier Söhnen sind ebenfalls Politiker.

Zur Spitze der Armee hat Bolsonaro eine enge Beziehung aufgebaut und einen General zu seinem Vizekandidaten gemacht. Ganz offen trauert er Brasiliens Militärdiktatur (1964 bis 1985) nach. *AFP/sah

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