Cartier in der Kritik: Schwules Paar in chinesischer Werbung als „Vater und Sohn“ zensiert?

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„Wie weit würden Sie für die Liebe gehen?“ fragt der neue chinesische Werbespot des Juweliers Cartier. Im Spot zu sehen sind Menschen, die eindeutig romantisch involviert sind – darunter auch zwei Männer und zwei Frauen. Die Art der Beziehung der Menschen zueinander wurde in eindeutiger Zweideutigkeit im Clip nicht aufgelöst – inzwischen wurden die homosexuellen Paare in Werbeanzeigen aber als „Freundinnen“ oder „Vater und Sohn“ zensiert. Aktivist*innen zeigen sich entsetzt.

Zwei Männer, die zusammen Fahrrad fahren und sich dabei in die Augen schauen - eine Frau, die den Kopf auf die Schulter der anderen legt, während diese verträumt ihre Augen schließt ... Der 60-sekündige Clip des Juweliers Cartier wurde pünktlich zum Qixi-Festival veröffentlicht, einer Art chinesischem Valentinstag in einigen Wochen. In der Werbung geht es um einen Ring – bekanntermaßen eines der größten Symbole ewiger Liebe. 

In diesem Kontext wirkt es sehr progressiv, dass Cartier nicht nur heterosexuelle, sondern auch gleichgeschlechtliche Paare abbildet. Im Spot selbst wird die Beziehung der Paare zueinander nicht aufgelöst, aber die Intention ist eindeutig – möchte man zumindest meinen. Inzwischen ist Cartier zurückgerudert: In Anzeigen und Bannern auf seiner Tmall-Seite hat Cartier den Paaren inzwischen andere Label verpasst. Tmall ist eine der weltweit größten E-Commerce-Seiten der Welt und erreicht um die 500 Millionen Nutzer im Monat. 

Auf dem Bild der beiden Frauen hieß es:

„Gegenseitiges Verständnis jenseits aller Worte. Werden Sie Zeuge unserer immerwährenden Freundschaft“. 

Die beiden Männer wurden erst als Vater und Sohn bezeichnet. Nachdem Nutzer darauf hinwiesen, dass sich die Männer altersmäßig sehr nah seien, soll der Text geändert worden sein in:

„Vater und Sohn sind wie Brüder“

In einem Statement am Donnerstag blieb das Unternehmen bei seiner Darstellung. Die Trinity Collection würde vier Geschichten von Liebe, Freundschaft und Familienbindung erzählen. Es hieß:

„So zeigt eine der Geschichten die einzigartige Bindung zwischen einem Vater und seinem Sohn, die gemeinsam eine freudige und spielerische Fahrradtour genießen, die den Lebensweg symbolisiert, auf dem es Momente der Trennung geben wird.“


Deutliche Kritik in sozialen Medien

In sozialen Medien hagelte es daraufhin Kritik. Auf der Plattform Weibo, einer chinesischen Antwort auf Twitter, nahmen viele Nutzer dem Unternehmen die vermeintliche „Ausbesserung“ der Kampagne übel. Sie waren der Meinung, die beiden Männer seien offensichtlich dazu bestimmt, ein Paar zu sein – aufgrund des kaum vorhandenen Altersunterschiedes und der Tatsache, dass Vater und Sohn selten Ringe als Symbol ihrer Verbundenheit tragen.

Einer schrieb beispielsweise:

„Sie sind im Alter höchstens drei Jahre auseinander. Außerdem habe ich noch nie von Vätern und Söhnen gehört, die zusammenpassende Ringe tragen.“

Ein anderer wies darauf hin, welches Signal Cartier mit der nachträglichen Attributzuweisung sende:

„Die Kampagne war viel besser, als sie im Bereich der Zweideutigkeit blieb. Jetzt habe ich das Gefühl, dass schwul sein etwas ist, wofür ich mich schämen muss.“


Versuchte Cartier, die Medienzensur zu umgehen?

Bekam Cartier Angst vor der eigenen Courage – oder wollten sie das chinesische System überlisten? Zwar zeigten sich viele Queeraktivist*innen enttäuscht, aber zugleich auch resigniert. Auch in sozialen Netzwerken machten viele die verschärften regulatorischen Vorgaben für Unternehmen sowie die in China herrschende Medienzensur verantwortlich – die im Endeffekt nicht weniger als den Wert aller Kulturen ausradiere, so ein Kritiker auf Weibo.

Noch immer gilt Homosexualität in China als Tabu. Zwar wird Homosexualität dort seit 2001 offiziell nicht mehr als psychische Störung geführt, die Realität sieht leider anders aus. Kürzlich verklagte eine mutige lesbische Studentin einen chinesischen Verlag in dessen Publikationen Homosexualität noch immer als „psychosexuelle Störung“ bezeichnet wurde (wir berichteten). Seit 2016 herrscht ein landesweites Verbot für die Darstellung von „abnormalem Sexualverhalten“ in Online Video- und Audioinhalten. Dazu zählen die Verantwortlichen auch Homosexualität.

Yanzi Peng, die Leiterin der China Rainbow Media Awards, sagte CNN, dass Unternehmen mutiger sein müssten. Allerdings wandte auch sie ein, dass Cartier mit seiner Werbung und der offensichtlichen „Umschiffung“ des Tabus die Sichtbarkeit von queeren Lebensformen erhöht habe.

„Einige mögen glauben, dass [Cartier] nur versucht, ein paar 'pinke Dollar' zu verdienen, aber ich neige dazu, positiver zu denken, dass sie die Rechte der Homosexuellen auf eine Art und Weise unterstützen ... indem sie unsere Sichtbarkeit durch diese Art von Anzeigen erhöhen“

Die China Rainbow Media Awards sind eine Preisverleihung, die seit 2011 Verlage und Medienunternehmen auszeichnet, die sich in vielfältiger Weise für die Queercommunity einsetzen und die Sichtbarkeit nicht-heteronormativer Lebensformen in China erhöhen. 

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