Türkei: Netflix stoppt Serienproduktion wegen homofeindlicher Zensur

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Netflix hat die Produktion der türkischen Dramaserie „If Only“ eingestellt, nachdem Kultusministerium und Medienaufsichtsbehörde (RTÜK) der Türkei dem Produktionsteam die Drehgenehmigung wegen eines homosexuellen Charakters verweigert hatten.

Die Dreharbeiten zur Serie „If Only“, in der die unglücklich verheiratete Reyhan in die Vergangenheit reist, sollten eigentlich in Kürze beginnen. Neben Reyhan hätte es eine weitere, schwule Hauptfigur geben sollen – die allerdings war der türkischen Medienaufsichtsbehörde ein Dorn im Auge.

„Wegen eines homosexuellen Charakters wurde der Serie keine Genehmigung erteilt“, berichtete die Autorin des Drehbuchs von „If Only“ („Şimdiki Aklım Olsaydı“), Ece Yörenç, dem türkischen Online-Filmmagazin Altyazı Fasikül. Das sei „sehr beängstigend für die Zukunft“.

Mahir Unal, Sprecher der regierenden Partei AKP („Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung“), twitterte am Montag, dass es Probleme mit einigen Skripten gab, Netflix sich aber kooperativ gezeigt habe und jetzt „sensibler“ sei. Er glaube, 

„dass Netflix in engerer Zusammenarbeit mehr Sensibilität für die türkische Kultur und Kunst zeigen wird.“

Der „engen Zusammenarbeit“ wollte sich Netflix in diesem Fall nicht aussetzen: Statt den Forderungen der Regierung in Ankara nachzukommen, hat das Unternehmen beschlossen, die Produktion komplett einzustellen, bestätigte ein Sprecher des Streaming-Dienstes gegenüber der Financial Times. Gerüchte um etwaige Einstellungen aller Produktionen in der Türkei bestätigte Netflix nicht. „Netflix ist unseren türkischen Mitgliedern und der kreativen Gemeinschaft in der Türkei nach wie vor sehr verpflichtet“, teilte der Sprecher mit.

US-Streamingriese richtet sich oft nach Ländersitten

Netflix ist dafür bekannt, Inhalte so zu gestalten, dass sie zur politischen Konjunktur des jeweiligen Landes passen. Aufforderungen zur lokalen Entfernung bestimmter Inhalte kam das Unternehmen schon mehrmals nach, wie im Transparenzbericht 2019 nachzulesen ist.

Die türkischen Behörden ließen dieses Jahr eine Episode von „Designated Survivor“, in der ein fiktiver türkischer Staatsmann von den USA die Auslieferung eines Aktivisten verlangt, aus dem lokalen Angebot streichen. Spekulationen, Netflix habe sich dem Druck der türkischen Behörden auch in puncto Homosexualität schon einmal gebeugt und einen homosexuellen Charakter aus der Serie „Love 101“ entfernt, erteilte der Konzern hingegen eine Absage – eine solche Figur habe es nie gegeben, hieß es.

Auch wenn Homosexualität in der Türkei nicht strafbar ist und LGBTIQ*-inklusive Serien wie „Orange Is the New Black“ in der Türkei unzensiert gestreamt werden können, ist das Klima unter der islamisch-konservativen Regierung von Recep Tayyip Erdoğan rauer geworden. Die Istanbuler Pride Onur Yürüyüşü („Marsch des Stolzes“) beispielsweise wurde seit fünf Jahren in Folge von der Regierung verboten und auch das queere Sportfest Queer Olympix konnte im vergangenen Jahr nicht stattfinden, weil die türkischen Behörden in letzter Minute ein Verbot aussprachen (wir berichteten/wir berichteten).

Foto: twitter.com/DIBAliErbas

Der Leiter der türkischen Direktion für religiöse Angelegenheiten (Diyanet), Ali Erbaş, hatte erst kürzlich für Aufruhr gesorgt, als er seinen ‚Unmut‘ über Homosexualität offen aussprach (wir berichteten). Am 24. April sagte Erbaş in einer Predigt, der Islam verfluche die Homosexualität, denn „Homosexualität bringt Krankheiten und den Verfall der Abstammung mit sich. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die Menschen vor solchem Übel zu schützen.“

Deutungs- und Meinungsmonopol der AKP?

Für die Opposition steht außer Frage, dass die Regierung mit der Netflix-Zensur bezweckt, dass alle Menschen in der Türkei so denken, wie die AKP. Die türkische Zivilgesellschaft sieht das bei weitem nicht komplett so, was unter anderem Wahlergebnisse, aber auch die Debatte über die Zensur exemplarisch belegen.

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