Haiti will Homosexualität straffrei machen: Kirche und Konservative laufen Sturm

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Die Überarbeitung des haitianischen Strafgesetzbuchs, das unter anderem die Entkriminalisierung von Homosexualität vorsieht, löste bei konservativen und religiösen Führern in der karibischen Nation einen Aufschrei aus.

Im Zentrum der aktuellen Diskussion steht die von Präsident Jovenel Moïse1 am 24. Juni in einem offiziellen Mitteilungsblatt der Regierung angekündigte Neufassung des haitianischen Strafgesetzbuchs. Unter der Voraussetzung, dass kein neu gewähltes Parlament das Dokument ablehnt, tritt die Neufassung ab 2022 in Kraft. Haiti wäre dann das LGBTIQ*-freundlichste Land der Karibik.

Umfassende Strafrechtsreform

Der Penal Code, der seit 185 Jahren nicht mehr geändert wurde, sieht eine Reihe von Liberalisierungen vor: Abtreibungen sollen legalisiert und das gesetzliche Mindestalter für einvernehmlichen Sex auf 15 Jahre gesenkt werden. Auch mit Blick auf sexuelle Minderheiten, die in Haiti jahrhundertelangen Repressionen ausgesetzt waren, verspricht das neue Strafgesetzbuch umfangreiche Verbesserungen. Alle Bestimmungen, die eine Bestrafung aufgrund der „sexuellen Orientierung“ vorsahen, wurden zur Gänze gestrichen. Gleich sieben Artikel des neuen Penal Codes betreffen die Entkriminalisierung gleichgeschlechtlicher Handlungen oder Beziehungen bzw. den Schutz sexueller Minderheiten, darunter auch, dass Beamten, die sich weigern, gleichgeschlechtliche Hochzeiten durchzuführen, in Zukunft mit Geld- oder Haftstrafen belangt werden können.

Kritik kommt wie immer von den Konservativen und der Kirche

Foto: Logan Abassi / UNDP Global / Flickr / CC BY 2.0

Kritiker lehnen die per Dekret erlassenen Änderungen ab. Der neue Penal Code sei von Grund auf amoralisch und stehe im Widerspruch zu den religiösen Überzeugungen und Werten der haitianischen Familie.

„Die Menschen brauchen keine Unmoral, die Menschen brauchen keine Homosexualität“, sagte Dr. Francoise St. Vil Villier, Präsidentin des Nationalen Spirituellen Rates der haitianischen Kirchen, während einer Pressekonferenz. „Wie auch immer, [LGBTIQ*s] waren schon immer hier, wir stören sie nicht, wir schauen ihnen in die Augen. Aber in Haiti legalisieren? Wir sagen nein.“ 

Auch der ehemalige Senator Jean Renel Senatus sagte gegenüber VOA Creole, das Dekret des Präsidenten verstoße gegen die Werte der haitianischen Gesellschaft. Außerdem empörte er sich darüber, dass Teile des neuen Strafgesetzbuchs eine wörtliche Kopie der Gesetze in Kanada, Frankreich und Belgien seien.

„Leider hat Präsident Jovenel Moïse beschlossen, ein Gesetz zu erlassen, das viel liberaler ist als das, an dem wir [Senatoren] gearbeitet haben.“

Um „gegen das liberale Strafgesetzbuch und die Ausschweifung von Präsident Jovenel Moïse“ vorzugehen, habe er eine Petition ins Leben gerufen, twitterte Senatus am 13. Juli.

ACIFVH, eine Organisation, die sich für die Trans*-Community in Haiti einsetzt, konterte auf Senatusʼ Twittermeldung:

„Sind es die Menschen, die schwul, trans, lesbisch, bi sind, die das Sterben der Kind verursachen, oder sind es die Waffen, die wir in die Ghettos gegeben haben, die die Kinder der Menschen getötet haben? Nicht diese Menschen sind es, die wider die Natur töten. Begreifen Sie endlich, dass Haiti ein säkulares Land ist.“

Für die „Bürgeraktion für soziale Gleichstellung in Haiti“, ACESH, ist die neue Gesetzgebung ein Schritt in die richtige Richtung, „um alle Formen der Diskriminierung, einschließlich der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung, zu begrenzen und gleichzeitig den Schutz der körperlichen und moralischen Integrität des Einzelnen zu stärken.“


1 Jovenel Moïse ist seit 7. Februar 2017 Präsident von Haiti, ob durch Wahlbetrug, konnte bis heute nicht geklärt werden.

Foto: MovimineotSacrado / wikimedia.orgCC BY-SA 4.0

Im Januar und März 2019 veröffentlichte der Oberste Rechnungshof zwei Untersuchungsberichte zur Veruntreuung von Geldern, die für Straßen, Brücken und Markthallen bestimmt waren, die jedoch nie gebaut wurden. Seither vergeht kein Tag, an dem die Menschen nicht auf die Straße gehen, um gegen den Präsidenten zu demonstrieren und seinen Rücktritt zu fordern. Denn einer der Geldempfänger, bei dem die Mittel „versickerten“, war Moïses Firma Agritrans. Mehr als 40 Personen starben bei den Protesten. Laut Amnesty International haben Sicherheitskräfte, die dem Befehl von Präsident Jovenel Moïse unterliegen, übertriebene Gewalt angewandt.

Es bedarf keines weiteren Kommentars, dass Moïse, der seit Januar 2020 per Dekret regiert, weil das Parlament wegen der Covid-19-Pandemie nicht mehr tagt, in das neue Strafgesetzbuch auch einen Artikel aufnehmen ließ, der eine Amnestie für Wirtschaftskriminalität, Korruption und die Veruntreuung öffentlicher Gelder vorsieht.

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