Trotz steigender Gewalt: Italien ohne Gesetz gegen Homohass

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In Italien wurden zwei schwule Männer in einer U-Bahn-Station tätlich angegriffen, weil sie sich küssten. Anti-homosexuelle und transphobe Angriffe sind trauriger Alltag in Italien. Zwei von drei queeren Italiener*innen vermeiden aus Angst vor Belästigung oder Übergriffen, in der Öffentlichkeit Zärtlichkeiten auszutauschen oder mit ihren Liebsten Händchen zu halten.

Am 26. Februar gegen 21 Uhr abends wartete der 25-jährige Jeanne Pierre Moreno gemeinsam mit seinem Freund Alfredo Zenobio und einem weiteren Kumpel in der Metro-Station Valle Aurelia in Rom auf die nächste U-Bahn, um nach Hause zu fahren, als plötzlich von der gegenüberliegenden Seite ein Mann auf sie zustürmt und die jungen Männer attackiert.

„Wir haben nichts falsch gemacht“, erzählte Jean Pierre der Tageszeitung Corriere della Sera, „wir wollten nach Hause zurückkehren, nachdem wir eine Weile unterwegs waren. Alfredo und ich tauschten auf dem Bahnsteig einen Kuss aus, und auf der anderen Seite begann dieser Mann uns plötzlich zu beschimpfen. ‚Schande über euch! Ihr solltet euch schämen!‘, schrie er uns an. Dann, ohne uns auch nur die Chance zu geben zu reagieren, stürmte er über die Gleise und rannte auf uns zu.“

Im Video, das der Kumpel der beiden aufgenommen hat, ist zu sehen ist, wie der Mann die Gleise überquert und auf die jungen Männer einzuschlagen beginnt. „Er hat uns getreten und geschlagen, wir haben uns verteidigt“, sagte Jean Pierre, dessen Freund am Auge verletzt wurde. Schließlich sei der Mann zurückgegangen und in den ersten Zug in die entgegengesetzte Richtung eingestiegen.

Das laute Schweigen der Behörden – Aufschrei nach TV-Bericht

Die beiden Männer erstatteten Anzeige bei der Polizei, doch weil die Sicherheitsbeamten keine LGBTIQ*-Feindlichkeit in der Tat erkennen konnten oder wollten, ist wertvolle Zeit verloren gegangen. So ist noch nicht sicher, ob es Bilder der Überwachungskameras gibt, weil die Aufzeichnungen üblicherweise nach sieben Tagen gelöscht werden. Erst als das italienische Fernsehen die Aufnahmen des Angriffs ausstrahlte, machte sich allseits große Bestürzung breit. 

Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi verurteilte den Angriff und nannte ihn ein „unerträgliches Vergehen gegen unsere gesamte Gemeinschaft“. Der Gouverneur der Region Lazio, Nicola Zingaretti, zeigte sich ebenfalls erschüttert über den Angriff. „Zwei junge Männer wurden zu einem Kuss zusammengeschlagen. Es scheint unglaublich, aber es ist einem schwulen Paar vor ein paar Tagen in Rom passiert“, schrieb Zingaretti auf Facebook und forderte, das Zan-Gesetz (gemeint ist Alessandro Zan, Abgeordneter in der Camera dei deputati und LGBT-Aktivist) so schnell wie möglich einzuführen. Es sei Zeit „für ein gerechteres Land für alle“.

Kommt das Zan-Gesetz endlich?

Dass die Debatte endlich in der Öffentlichkeit geführt wird, wurde tatsächlich Zeit. Die Zahl an Hasskriminalität gegenüber queere Personen nimmt drastisch zu in Italien – 138 Fälle meldete ILGA Europe für das vergangene Jahr.

Im Hinblick auf die trans* Community ist Italien mit südamerikanischen Ländern vergleichbar. 2020 wurde in Mailand eine Trans*-Frau ermordet, in Rom waren es zwei.

Wie in Deutschland: Die Rechtsextremen heucheln Mitgefühl, verhindern aber im Parlament Fortschritte

Unter jenen, die ihre Bestürzung über den Angriff zum Ausdruck brachten, befand sich auch Giorgia Meloni, die Vorsitzende der populistisch-rechtsextremen Partei Fratelli d’Italia.

Foto: Jose Antonio, CC BY 4.0, wikimedia


Sie sei „angesichts dieser absurden und brutalen Gewalt in Rom auf Kosten eines jungen Mannes schockiert“, schrieb Meloni auf Facebook und fügte hinzu: „Diese Bilder sind eines zivilisierten Landes unwürdig.“

Für ihre scheinheilige Solidarität und Heuchelei erntete Meloni scharfe Kritik. Als rechtsextreme Verbündete von Matteo Salvini kämpfte Meloni mit der Fratelli d'Italia von Anfang an gegen das geplante Gesetz gegen Hassverbrechen, das derzeit im italienischen Parlament verhandelt wird. 

Der italienische Justizausschuss hatte im Sommer des letzten Jahres beschlossen, ein bestehendes Gesetz gegen Hassverbrechen (das Rassismus, Hass und Diskriminierung bereits einschließt) um die Straftatbestände „omotransfobia“ und „misoginia“ zu erweitern (wir berichteten). Das Gesetz soll die LGBTIQ*-Community, Frauen sowie Menschen mit Behinderungen besser vor Hasskriminalität schützen. Der Entwurf sieht Haftstrafen von bis zu 18 Monaten für Homo-/Transphobie, Misogynie und Behindertenfeindlichkeit vor. 

Letzte parlamentarische Hürde noch zu nehmen 

Im August war der Entwurf zur Abstimmung an die Camera dei deputati des italienischen Parlaments weitergeleitet worden, wo er gegen den heftigen Widerstand der katholischen Kirche im November 2020 verabschiedet wurde. Aktuell wartet der Entwurf auf die Abstimmung im Senat.

Für Jeanne Pierre Moreno und Alfredo Zenobio kommt die Einführung des Gesetzes zu spät. Die beiden hoffen aber, mit der Veröffentlichung des Videos dazu beizutragen, dass die Gesellschaft erkennt, wie wichtig eine Erweiterung der Antidiskriminierungsgesetze um sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität ist.

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