Russland: Krieg gegen die Zivilgesellschaft

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Nachdem Ende 2021 die Auflösung der Menschenrechtsorganisation MEMORIAL für internationalen Protest sorgte, kümmert solcher die Mächtigen in Putins Reich nach Kriegsbeginn wohl noch weniger. Dem „Russian LGBT Network“, das trotz seiner schon prekären Lage als angeblicher „ausländischer Agent“ weiter arbeitet, wird jetzt die Finanzierungsbasis entzogen. 

Am 21. April entschied ein Richter in St. Petersburg, die gemeinnützige Stiftung Sphere zu schließen. Sphere ist der einst anerkannte Rechtsträger, hinter dem das Russische LGBT-Netzwerk tätig ist, Gelder einwirbt und alle Programme der Bewegung durchführt.

„Russian LGBT Network“ war auch in Tschetschenien aktiv

Foto: Dmitry Astakhov Ria Novosti / AFP

Russian LGBT Network ist eine überregionale Bewegung, die verschiedene LGBTIQ*-Initiativen und -Aktivist*innen aus dem ganzen Land vertritt. Seit seiner Gründung vor mehr als 15 Jahren setzt es sich für die Förderung und den Schutz der Rechte von LGBTIQ*-Menschen in Russland ein und bietet queeren Menschen im ganzen Land rechtliche und psychologische Unterstützung. Darüber hinaus unterstützt es queere Initiativen und Organisationen, leistet Nothilfe in Krisensituationen und engagiert sich in der Überwachung und Interessenvertretung. So war das Netzwerk während der Anti-LGBTIQ*-Razzien in Tschetschenien, die 2017 begannen, maßgeblich daran beteiligt, Übergriffe zu verhindern und Überlebende zu evakuieren.

Russland darf nicht queer werden

Die Organisation fördert nach eigenen Angaben das öffentliche Bewusstsein für LGBT*-Personen und deren Diskriminierung und leistet einen wichtigen Beitrag zur Überwindung von Homophobie, Biphobie und Transphobie in der russischen Gesellschaft. Wohl genau dies dürfte dem russischen Staat auch aufgefallen sein, denn:

Die russischen Behörden berufen sich bei der Schliessung von Sphere darauf, die Unterstützung von LGBTIQ*-Menschen würde gegen traditionelle russische Werte verstoßen. Das russische Justizministerium behauptet, dass die Stiftung darauf abzielt, die „moralischen Grundlagen der Russischen Föderation“ zu verändern und versucht, „Zwietracht in die russische Gesellschaft zu bringen, indem sie gegen die Verfassung des Landes verstößt“.

Aktivist*innen und mit dem Netzwerk verbundene Initiativen wurden bereits in der Vergangenheit immer wieder Ziel von Drohungen, Provokationen und Diffamierungskampagnen. Doch laut Organisation AllOut, die eine Onlinekampagne zur Unterstützung von Sphere gestartet haben, will das Team Widerstand leisten.

„Die Entscheidung zur Auflösung des Fonds, insbesondere aus diesen Gründen, ist absolut unvernünftig und widerspricht den gesetzlichen Normen. Wir betrachten es als politisch und ideologisch motiviert, wobei wir gesondert auf den Wunsch des Staates hinweisen, die Mehrheit der Bürger- und Menschenrechtsorganisationen im Land zu zerstören." (Quelle)

Massive Zerstörung der Zivilgesellschaft

Foto: Kirill Kudryavtsev / AFP

Das verschärfte und konzertierte Vorgehen gegen NGOs, vornehmlich im Bereich der Menschenrechte, scheint zeitlich parallel mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine geplant worden zu sein. Anfang dieses Monats hat das Justizministerium bereits die Registrierungen von Human Rights Watch zusammen mit der von Amnesty International und 13 weiteren Büros ausländischer Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen annulliert. Zumindest Human Rights Watch, das auf dem Gebiet der ehemaligen UDSSR 30 Büros unterhielt, klagt gegen die Schließungen. 

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