Großbritannien: „Historische Ungerechtigkeit“ korrigiert

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Britische Militärveteranen, die aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Orientierung unehrenhaft aus dem Militär entlassen wurden und sämtliche Auszeichnungen verloren haben, sollen rehabilitiert und erneut geehrt werden. Damit möchte das Verteidigungsministerium (MoD) eine „historische Ungerechtigkeit“ korrigieren.

Im Rahmen eines neuen Programms zur Wiedergutmachung historischer Ungerechtigkeiten sollen alle zu Unrecht entlassenen Soldat*innen die Möglichkeit erhalten, ihre Orden und Auszeichnungen zurückzufordern. In der kommenden Woche will der ehemalige Armeeoffizier und Veteranenminister Johnny Mercer im Rahmen des „LGBT History Month“ alle ehemalige Soldatinnen und Soldaten dazu einladen, sich an das Verteidigungsministerium (MoD) zu wenden, wenn ihnen Auszeichnungen verweigert oder aberkannt wurden. 

Auf Facebook schrieb Mercer, er sei

„erschüttert, dass einige unserer Leute ihre Zeit beim Militär nicht so genießen konnten wie ich und dass sie ernsthaftes Unrecht erlitten haben, nur weil sie schwul waren.

Das Amt für Veteranenangelegenheiten stellt die Beziehung des Vereinigten Königreichs zu seinen Veteranen neu auf, was dieses historische Unrecht einschließt.“

Wie viele Menschen von den neuen Maßnahmen betroffen sein werden, ist nicht bekannt, weil das MoD angeblich keine Aufzeichnungen über Soldat*innen geführt hat, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihres Geschlechtsausdrucks aus der Armee entlassen wurden.

Klage eines Navy-Veterans bringt Stein ins Rollen

Den Stein ins Rollen brachte der bisexuelle Navy-Veteran Joe Ousalice. Erst mit ihm gelangte die Politik des Verteidigungsministeriums, Soldaten durch die Aberkennung ihrer Auszeichnungen unverändert weiter zu schikanieren, an die Öffentlichkeit. Ousalice, der während seiner 17-jährigen Karriere auf den Falklandinseln, in Nordirland und im Nahen Osten gedient hatte, wurde 1995 aufgrund seiner sexuellen Orientierung aus dem Militär entlassen. Alle Auszeichnungen, die er sich verdient hatte, wurden ihm aberkannt.

Die Entscheidung des Verteidigungsministeriums, ihn unehrenhaft aus der Marine zu entlassen, hatte verheerende Auswirkungen auf sein Leben. Seine Freunde wandten sich von ihm ab, er verlor sein Zuhause und wurde obdachlos. Jahrelang versuchte Ousalice vergeblich, das MoD davon zu überzeugen, ihm seine Auszeichnung zurückzugeben. In einem Interview mit der BBC erzählt Joe Ousalice, wie isoliert und verlassen er sich nach der unehrenhaften Entlassung gefühlt hatte.

Erst, als Ousalice 2019 vor Gericht zog, lenkte das Verteidigungsministerium ein. Ousalice erhielt seine „Long Service and Good Conduct“-Medaille zurück. Seitdem setzt er sich gemeinsam mit dem Centre for Military Justice, einer Rechtsberatung für Veteranen, für eine Gesetzesänderung ein, damit andere, denen Ähnliches widerfahren ist, ebenso rehabilitiert werden und ihre Auszeichnungen zurückerhalten. 

Das Centre for Military Justice fordert zudem, dass alle Soldat*innen, deren Militärrente durch die homophobe Politik der Armee geringer ausfiel, jene Rentenansprüche geltend machen können, die sie ursprünglich erhalten hätten sollen.

Hintergrund: „Don‘t ask, don‘t tell“ bei den britischen Streitkräften

Homosexualität war in der britischen Armee bis ins Jahr 2000 verboten, weil man befürchtete, die Zulassung von Homosexuellen würde die Moral und die operative Effektivität der Streitkräfte untergraben. Bis zur Aufhebung des Verbots am 12. Januar 2000 wurde jeder, der als homosexuell oder trans* eingestuft wurde, unehrenhaft entlassen. In einigen Fällen wurden den betroffenen Personen auch ihre Auszeichnungen aberkannt und sie mussten ihre Orden zurückgeben. 

Erst 2017 nahm das House of Commons Änderungen am so genannten „Policing and Crime Bill“ vor und verabschiedete das so genannte „Turing-Gesetz“, benannt nach dem Computerpionier Alan Turing. Die Regierung entschuldigte sich nachträglich bei allen Männern, die aufgrund von inzwischen aufgehobenen Gesetzen für sexuelle Straftaten verurteilt worden waren (wir berichteten). Rund 49.000 verstorbene schwule und bisexuelle Männer wurden posthum begnadigt. Noch lebende Soldaten erhielten die Möglichkeit, eine gesetzliche Rehabilitierung zu beantragen und die Verurteilungen für sexuelle Straftaten aus ihren Unterlagen streichen zu lassen. 

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