Russland: Duma bereitet strengeres Propagandagesetz vor

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Russlands LGBTIQ*-Community ist  besorgt über eine neue Initiative der Staatsduma, das Gesetz des Landes von 2013 gegen die Verbreitung von Informationen über sogenannte nicht-traditionelle Lebensstile unter Minderjährigen zu verschärfen.

Russlands sogenanntes Schwulenpropagandagesetz ist seit fast einem Jahrzehnt in Kraft. Das Gesetz ist ein klassisches Beispiel für politische Homophobie und hat die soziale Feindseligkeit, die sexuelle Minderheiten in Russland seit langem erfahren, verstärkt. „Das Gesetz beeinträchtigt [die] Fähigkeit, ehrliche, wissenschaftlich genaue und offene Beratungsdienste anzubieten“, schrieb die in New York ansässige Organisation Human Rights Watch (HRW) 2018 in einem Bericht zum „Gay Propaganda“-Gesetz.

Aktuell arbeitet die Duma, die untere Kammer des Parlaments, an einer Änderung des Gesetzes aus dem Jahr 2013, genauer an einem vollständigen Verbot von „Propaganda nicht traditioneller sexueller Beziehungen“

Ein unmenschliches Gesetz – nochmals verschärft

Mit einer Gesetzesänderung würden jegliche Informationen über „nicht traditionelle Lebensstile“ oder „die Ablehnung von Familienwerten“ rechtlich mit Pornografie gleichgesetzt. Möglich wäre die komplette Sperrung von Internetressourcen, die LGBTIQ*-Themen behandeln, außerdem würden Filme verboten werden, die von der Regierung entsprechend als Propaganda einstuft wird.

„Wir schlagen vor, das Verbot dieser Art von Propaganda auf ein Publikum aller Altersgruppen auszudehnen – offline, in den Medien, im Internet, in sozialen Medien sowie in Kinos“, schrieb Aleksandr Khinshtein, Vorsitzender des Duma-Ausschusses für Informationspolitik, auf Telegram und fügte hinzu, sein Komitee habe auch strengere Strafen für Gesetzesverstöße vorgeschlagen.

Khinshtein forderte die Öffentlichkeit außerdem auf, ihm Vorschläge für weitere „gesetzgeberische Schritte in diese Richtung“ zuzusenden, und sagte, er halte die Angelegenheit „nicht nur als Vorsitzender eines großen Duma-Ausschusses, sondern auch als Vater von zwei Söhnen für besonders wichtig“.

Obwohl über die Änderungsvorschläge erst noch im Ausschuss beraten werden muss, ist es wahrscheinlich, dass zumindest Teile davon angenommen werden, wenn die Duma im Herbst wieder zusammentritt.

Community besorgt

„Höchstwahrscheinlich wird eine Massenmigration sexueller Minderheiten aus dem Land beginnen“, befürchtet die Webdesignerin Anna Kosvinitseva, die selbst aufgrund ihrer sexuellen Orientierung zahlreiche unangenehme Begegnungen erlebt hat und sich kaum mehr an die Öffentlichkeit traut. Würde das strengere Gesetz verabschiedet werden, käme alles noch schlimmer, dessen ist sie sich sicher. „Tatsächlich könnten unsere Sicherheit und unsere Möglichkeiten, das Land überhaupt zu verlassen, gefährdet sein. Schließlich können wir von niemandem Hilfe erwarten. Uns wird ganz einfach verboten, zu lieben und geliebt zu werden.“

Sergei Alekseyenko, ein Aktivist des russischen LGBT-Netzwerks aus Murmansk, sagte gegenüber Radio Free Europe, 2021 seien über die Hotline seiner Organisation 28.000 Anrufe eingegangen, außerdem über 5.200 Hilferufe über soziale Medien, 330 Rechtshilfeersuchen und 1.200 Ersuchen um psychologische Beratung. Anträge auf Prozesskostenhilfe, sagte er, deckten unzählige Probleme ab, von Diskriminierung am Arbeitsplatz bis hin zur Weigerung der Strafverfolgungsbehörden, homophobe Verbrechen zu untersuchen.

Kürzlich wurde das russische LGBT-Netzwerk zusammen mit vielen anderen LGBTIQ*-Selbsthilfsgruppen auf die Liste ausländischer Agentenorganisationen der russischen Regierung gesetzt (männer* berichtete). „Etwa ein Viertel unserer Aktivisten ist ‚umgezogen‘“, sagte Alexejenko und meinte damit, dass sie Russland verlassen haben. „Wir sprechen von Dutzenden von Menschen. Viele von ihnen stammen aus dem Nordkaukasus und sind nach Armenien oder Georgien, Osteuropa oder sogar Zentralasien abgereist.“ Im überwiegend muslimischen, sozial konservativen Kirgistan und Kasachstan sei es „heute sicherer als in Russland“, sagte er.

Für die Anwältin Yulia Fedotova, die ein LGBT-Zentrum in Nischni Nowgorod berät, ist das Gesetz „ein einziger großer Albtraum“. „Es ist eine fortlaufende Litanei von Diskriminierung und vagen Normen. Man hat auch keine Chance zu erfahren, wofür man möglicherweise zur Rechenschaft gezogen werden kann.“

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