Supreme Court Richter bereut Ehe für alle-Entscheidung des Gerichts

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Richter Samuel Alito (70) fürchtet um die Freiheit gläubiger Menschen, ihre Meinung zu äußern – dieses Gut stellt er über die Rechte von anderen, zu verhüten oder zu heiraten wen sie wollen. Besonders die Ehe für alle macht er verantwortlich für eine zunehmende gesellschaftliche Verfolgung gläubiger Amerikaner.

In seiner Rede zum virtuellen Kongress der Föderalistischen Gesellschaft – einer Vereinigung von Rechtsexperten mit extrem konservativen, rechtsgerichteten Ansichten – setzte Alito sich am 12. November für die Redefreiheit engstirniger Konservativer ein – und gegen die Öffnung der Ehe sowie das Recht auf Abtreibung und Verhütung.

Foto: Screenshot Youtube / The Federalist Society

Bereits letzten Monat, im Rahmen der Ernennung von Amy Coney Barrett als Nachfolge der verstorbenen Gleichstellungs-Ikone Ruth Bader-Ginsburg (wir berichteten) am Obersten Gerichtshof der USA, schrieben die Supreme Court-Richter Samuel Alito und Clarence Thomas einen offenen Brief, in dem sie der Entscheidung von 2015 im Fall Obergefell vs Hodges “ruinöse Folgen für die Religionsfreiheit“ attestierten. Es sei ein Fehler gewesen, durch das Urteil einem demokratischen Prozess vorzugreifen, in dem die einzelnen Bundesstaaten und ihre Bürger das Für und Wider der Entscheidung selbst hätten abwiegen können.

„Aufgrund Obergefell werden diejenigen mit aufrichtigen religiösen Überzeugungen, die die Ehe betreffen, es immer schwieriger haben, an der Gesellschaft teilzunehmen, ohne mit Obergefell und seinen Auswirkungen auf andere Antidiskriminierungsgesetze in Konflikt zu geraten.“


Lasst sie Kuchen essen!

In seiner Rede führte er seinen Kampf gegen die Ehe für alle nun fort. Heute dürfe man nicht mehr sagen, dass die Ehe eine Verbindung zwischen Mann und Frau sei, klagte Alito – dabei habe dies vor einigen Jahren noch die Mehrheit der Amerikaner gedacht. Für ihn, so betonte er erneut, sei es jedoch keine Überraschung, dass es nach dem Supreme Court Urteil von 2015 so kommen musste. Er habe es von Anfang an befürchtet – und davor auch damals schon gewarnt. Alito zitiert sich selbst:

„Ich schrieb Folgendes: Ich gehe davon aus, dass diejenigen, die an alten Überzeugungen festhalten, in der Lage sein werden, ihre Gedanken in den Nischen ihrer Wohnungen zu flüstern, aber wenn sie diese Ansichten in der Öffentlichkeit wiederholen, riskieren sie, als Frömmler abgestempelt und von Regierungen, Arbeitgebern und Schulen als solche behandelt zu werden.“

Alito betont: Es wird eine der großen Herausforderungen der Zukunft für den Supreme Court sein, die Meinungsfreiheit zu schützen. Sie dürften nicht zulassen, dass sie ein verfassungsmäßiges Recht zweiter Ordnung würde. Um seine löchrige Argumentation zu stützen, führte er das Beispiel des Bäckers an, der sich weigerte, einen Kuchen für ein gleichgeschlechtliches Paar zu backen – und verklagt wurde.

Foto: Pixoos / CC BY-SA 4.0 /wikimedia.org


Wenn ein Bäcker einen Kuchen nicht backen wolle, da dies seiner Überzeugung widerspräche, so Alito, dürfe er dazu nicht gezwungen werden. Immerhin – geniales Argument – wäre dem Paar dadurch ja kein Nachteil entstanden, denn sie hätten nach Bekanntwerden des Falles von einer anderen Bäckerei einen Kuchen geschenkt bekommen. Natürlich, man lässt sich ja gerne diskriminieren, als Bürger zweiter Klasse behandeln und sein Leben von anderen kritisieren – wenn dafür ein gratis Kuchen bei rausspringt.


Lüge oder peinliches Unwissen über Verhütung?

Doch bei Alito dreht sich nicht alles um Kuchen und gleichgeschlechtliche Liebe – der strengreligiöse Richter nahm auch Abtreibungsgegner in Schutz. Natürlich. Er kritisierte den Bundesstaat Washington dafür, dass er von Apotheken verlangt, die „Pille danach“ vorrätig zu haben. Es sollte die Entscheidung eines Apothekers sein, ob er diese verkaufen wolle. Aha. Dann stellte Alito eine verheerend falsche Behauptung auf: Die „Pille danach“ würde einen Embyro nach der Befruchtung zerstören und somit abtreiben. Falsch. FALSCH.

Die „Pille danach“, die je nach Präparat bis zu 72 oder 120 Stunden nach ungeschütztem Geschlechtsvekehr eingenommen werden kann, enthält Wirkstoffe, die den Eisprung hemmen oder um fünf Tage verzögern – es kommt also gar nicht zur Befruchtung und somit auch nicht zur „Abtreibung“ einer bereits befruchteten Eizelle.

Abgesehen davon, dass Alito mit seiner Argumentation die Religionsfreiheit des einen über die Freiheit des anderen stellt, einfachen Zugang zu Verhütungsmethoden zu haben und am Ende über den eigenen Körper zu entscheiden, beweist er damit entweder sein peinliches Unwissen über Themen, mit denen er sich besser beschäftigen müsste – oder dass er bereit ist zu lügen und Fake News zu verbreiten, um seine Ziele zu erreichen. Können Richter am Supreme Court eigentlich als Präsident kandidieren?


„Alito ist erledigt“ – Große Kritik in sozialen Medien

Alitos Rede ist vor allem eines: Beunruhigend. So hagelte es auch rasch Kritik in sozialen Medien. Mark Stern, Journalist des US-amerikanischen Magazins Slate und dort zuständig für die Berichterstattung über Recht und Gesetz, twitterte im Anschluss an die Rede:

„Alito ist erledigt. Das war mit Abstand die politischste Rede, die ich je von einem Richter des Obersten Gerichtshofs gehört habe. Wow. Gleichstellung der Ehe, Waffen, Abtreibung, Verhütung, Verfolgung der föderalistischen Gesellschaft ... er hat wirklich alles da reingequetscht. Igitt.“

Der Journalist Jesse Wegman, der derzeit für die New York Times schreibt – vor allem über die Belange des Supreme Court – stimmte seinem Kollegen zu. Er schrieb:

„Ernsthaft: Wer hat ihn so verletzt? Die unerbittliche, bittere Klage, die aus den Menschen strömt, die buchstäblich die ganze Macht haben, ist sowohl unerträglich als auch beängstigend.“

Ein User brachte es auf den Punkt: Wie könne man nach der Rede noch vorgeben, Alito sei in irgendeiner Form unpolitisch? Denn genau dies muss er als Richter am Supreme Court sein. Er muss neutral, unpolitisch und ungeachtet der eigenen Einstellung entscheiden. Die Richter sind dazu eingesetzt, die Verfassung und ihre Gesetze zu deuten und auszulegen.

In der Theorie. In der Praxis ist der Supreme Court mit sechs konservativen und drei liberalen Richtern derzeit eher Coney Barrett und Alito als Bader Ginsburg – und das beunruhigt nicht nur die Queercommunity, sondern einen Großteil der liberalen USA.

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