Die neue Realität in Ungarn: Verbot in Kraft

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Wochenlang sorgte das ungarische Gesetz zur Beschränkung der Information über Homo- und Transsexualität für einen Sturm der Entrüstung in der EU. Aller scharfen Kritik zum Trotz ist es am 8. Juli in Kraft getreten. Während in Budapest mit Flashmobs dagegen protestiert wird, nimmt das Verbot traurige Gestalt an. 

Was ändert sich mit dem Gesetz?

Inhalte, die „Homosexualität fördern“, dürfen unter 18-Jährigen generell nicht mehr zugänglich sein. Auch sollen Sexualerziehungskurse nur noch von staatlich anerkannten Einrichtungen angeboten werden, um „Schaden“ von Minderjährigen abzuwenden. Das umstrittene Gesetz wurde ursprünglich als Maßnahme im Kampf gegen Kindesmissbrauch eingebracht. Die Fidesz-Partei des rechtsnationalistischen Regierungschefs Viktor Orbán weitete es aber aus. Der Regierungschef rechtfertigte das Gesetz mit den Worten, die Novelle gebe ungarischen Eltern das „alleinige Recht auf die Sexualerziehung ihrer Kinder“ zurück. Der EU warf er eine „beispiellose Kampagne“ gegen Ungarn vor.

Foto: JohnThys / Pool / AFP

Im Gegenteil: Die Kampagne ist in Ungarn auszumachen

Ungarn war in Fragen der Rechte sexueller Minderheiten lange eines der fortschrittlichsten Länder der Region. Homosexualität wurde schon in den frühen 1960er Jahren entkriminalisiert – in Deutschland erst 1969 teilweise und 1993 vollständig. Gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften sind in Ungarn seit 1996 anerkannt, die Bundesrepublik führte sie erst 2001 ein. Seit Orbáns Rückkehr ins Amt des Regierungschefs 2010 hat ein illiberaler Rollback eingesetzt, so wurde die Ehe in der Verfassung als „Bund zwischen Mann und Frau“ festgeschrieben.

Im Dezember letzten Jahres sorgte ein weiteres Gesetzespaket für internationale Kritik, das unter anderem eine Änderung des bei Geburt eingetragenen Geschlechts verbietet. Faktisch ist es damit in Ungarn nicht mehr möglich, sich als trans- oder intergeschlechtlicher Mensch anerkennen zu lassen, seinen Namen zu ändern oder medizinische Versorgung zu beanspruchen, die im Zusammenhang mit geschlechtsangleichenden Maßnahmen stehen. Außerdem ist es Homosexuellen seit dem untersagt, Kinder zu adoptieren.

Beobachter gehen davon aus, dass Orbán mit den Gesetzen und ihren Schlagworten wie Tradition und Familie versucht, seine konservative Wählerschaft an sich zu binden. Im nächsten Jahr sind Wahlen. 

Was ist noch verboten?

Das seit heute geltende Gesetz spricht explizit von verbotener „Werbung“ für Homosexualität. Dies betrifft auch Bücher oder Filme, in denen es um Homosexualität geht. Sie müssen mit dem Hinweis „Verboten für unter 18-Jährige“ versehen werden und die Filme dürfen nicht mehr zu Hauptsendezeiten ausgestrahlt werden. Beliebte Filme wie „Bridget Jones - Schokolade zum Frühstück“, „Harry Potter“ und „Billy Elliot“ dürfen gemäß der neuen Rechtsprechung laut dem Fernsehsender RTL Klub Ungarn nur noch spätabends mit einer Freigabe ab 18 Jahren gezeigt werden.

Kritiker sehen darin eine massive Einschränkung der Meinungsfreiheit und der Kinderrechte (wir berichteten). Betroffen sind auch Firmen wie Coca-Cola, die etwa mit Bildern von Homosexuellen werben. Dies ist laut dem neuen Gesetz verboten, wenn als Zielgruppe der Anzeigen Minderjährige ausgemacht werden. Welche Strafen dies nach sich ziehen könnte, wird im Gesetz nicht genau benannt. Es gibt aber einen Verweis auf andere Rechtstexte, in denen Geldstrafen vorgesehen sind.

Selbstzensur aus Protest: Schwules Paar in RTL-Serie

Wie die neue Realität in Ungarn aussieht, verdeutlicht das Beispiel des ungarischen Fernsehsenders RTL Klub. Der Sender musste seine Werbeplakate für die beliebte TV-Serie „Unter Freunden“ über Nacht wechseln. Andernfalls hätte sowohl RTL als Werbetreibender als auch das Plakatunternehmen, das die Anzeige veröffentlichte, von der Behörde mit einer Geldstrafe belegt werden können. Denn auf dem Plakat war ein schwules Paar abgebildet – eine Hochzeitsszene aus einer Episode der Serie. Das Plakat hätte von Personen unter 18 Jahren gesehen werden können.

Während die ursprüngliche Überschrift auf dem Plakat beibehalten wurde –

„Wir werden uns immer an diese Familie erinnern. Unter Freunden, 2018“,

– ist das Foto mit dem schwulen Paar nicht mehr zu sehen. Es wurde mit einem schwarzen Aufkleber überklebt. Der Text auf dem Aufkleber informiert darüber, dass die Szene seit dem Inkrafttreten des homophoben Gesetzes nicht mehr gezeigt werden darf. RTL Klub schreibt: 

„Wir sind besorgt, dass das Gesetz die Meinungsfreiheit ernsthaft verletzt und nicht-heterosexuelle Mitglieder der Gesellschaft diskriminiert.“

Wie Media1 berichtete, verhängte das Regierungsbüro des Landkreises Pest auch bereits eine Geldstrafe gegen eine Buchhandlung für den Verkauf eines Kinderbuchs über Regenbogenfamilien. 

Aktivist*innen protestieren

Luca Dudits, Vorstandsmitglied der Hatter Society, warf dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán vor, den Bürger*innen Rechte wegzunehmen, während er sich im Ausland als „Freiheitskämpfer“ darstelle. Die LGBTIQ*-Aktivistin Dorottya Redai, die an Schulen Vorträge über Homophobie und Mobbing hält, zeigte sich ebenfalls besorgt: „Lehrer werden jetzt Angst haben, uns in ihre Schulen einzuladen“, sagte sie.

Foto: Attila Kisbenedek / AFP

In ganz Ungarn haben zahlreiche Aktivist*innen gegen das Gesetz protestiert. In der Hauptstadt Budapest veranstalteten Aktivist*innen einen Flashmob vor dem Parlament in Budapest. und ließen einen riesigen Herzballon in Regenbogenfarben steigen. „Wir werden keines unserer LGBTQ-Aufklärungsprogramme oder keine unserer Kampagnen wegen eines homophoben und transphoben Gesetzes ändern“, sagte der Leiter von Amnesty International Ungarn, David Vig, in Budapest. Als Zeichen des Protests stand er vor einem zehn Meter hohen regenbogenfarbenen Herz in der ungarischen Hauptstadt. * AFP/sh/ck

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